„Komm mal wieder runter, Junge“, kreischt meine Freundin und zeigt entsetzt auf meine verheerenden Blutdruckwerte, die gerade life über den großen Screen im Cockpit unseres Autos flimmern. Blöd, aber gegen diese Zahlen ist nichts zu sagen, und mein Puls spielt offenbar auch verrückt. Anhalten, Fahrerwechsel. Sie übernimmt, ich muss pausieren. Verdammte Digitalisierung.
Science Fiction? Nicht bei Mercedes. Die Stuttgarter sind dabei, sich mit dem israelischen Start-up ContinUse Biometrics zu verbinden, das diese Technologie schon heute beherrscht. Aktuell zu testen auf dem World Mobile Congress in Barcelona, wir haben es natürlich ausprobiert. Bitte Platz nehmen in dieser ziemlich echten, aber nach allen Seiten offenen Fahrersitz-Cockpit-Installation.
Okay, die Hände mal hübsch aufs Lenkrad und möglichst tief entspannen. Denn schräg über uns lauert quasi der elektronische Arzt in einer Ufo-ähnlichen Apparatur im Format einer kleineren Suppenschüssel. Und von diesem Ding aus werden wir jetzt gerade life gecheckt. Sieht alles gut aus, was da nun auf dem Bildschirm zu sehen ist: ruhiger Puls, Blutdruck 116/79. Ziemlich beeindruckend.
Das elektronische High-Techgerät registriert mit Bio-Sensoren auf Nanobasis die winzigen Mikrovibrationen und -Schwingungen, die mit den Bewegungen unserer inneren Organe und Moleküle zusammenhängen. Durch die komplette Bekleidung hindurch mit beeindruckender Genauigkeit, selbst ein Sakko ist da kein Hindernis. Blutdruck, Herzschlag oder die Lungenfunktion – alles messbar und dann in Echtzeit gut sortiert auf dem Bildschirm.
Auf Wunsch könnte die Start-up-Truppe, deren Experten nicht nur in Tel Aviv, sondern auch in Spanien und im Silicon Valley sitzen, gleich noch die entsprechende Auswertung liefern, nachdem man die Daten mit Algorithmen künstlicher Intelligenz in der firmeneigenen Health Cloud mal fix analysiert hätte. Über 20 medizinische Parameter können auf diese Art unentwegt beobachtet werden.
Und diese Technologie, entstanden aus über zehnjähriger Universitätsforschung, kann quasi überall eingesetzt werden. In Krankenhäusern und Rettungswagen genauso wie in der privaten Krankenpflege. Und natürlich im Auto für die permanente Beobachtung unserer körperlichen Verfassung oder die des Babys (oder des Hundes) auf dem Rücksitz. Auch unsere Krankenversicherungen dürften am Thema brennend interessiert sein.
Mercedes ist da schon ziemlich engagiert und überlegt, diese Technologie in seine Autos zu integrieren, hören wir. Offizielle Statements möchte man dazu aber noch nicht geben. Man sei da ja noch ganz am Anfang. Immerhin, das Cockpit in der Versuchsanordnung ist eindeutig eins von Mercedes.
Beim Start-up wagt man sich schon weiter aus der Deckung. „Das ist womöglich der Beginn einer interessanten Zusammenarbeit“, sagt Eran Hochstadter, medizinischer Entwickler und Chef der Business-Vermarktung bei ContinUse Biometrics, der uns auf dem Fahrersitz betreut hat. Der 45-Jährige ist sich sicher, dass das System, falls gewünscht, in spätestens eineinhalb Jahren in diversen Mercedes-Modellen arbeiten könnte. Das coole Start-up redet aber auch mit anderen Autoherstellern, zum Beispiel mit VW, Skoda und Seat. Auch Spezialisten von Bosch saßen hier interessiert auf dem simulierten Fahrersitz, haben wir gerade beobachtet. Und Hochstadter verrät auf Nachfrage lächelnd, dass man tatsächlich auch mit Krankenversicherungen in Gesprächen sei.