Schön ist er immer noch nicht. Ein Designer würde sagen: Die Linien und Flächen unterstreichen den hohen Nutzwertcharakter. Der war beim elektrisch angetriebenen Streetscooter ohne Zweifel schon von Anfang an stark ausgeprägt – die Modellbezeichnung WORK unterstich es deutlich. Und er wird in Zukunft noch stärker sein, wie sich jetzt bei der Präsentation der Nachfolgeversionen in Berlin zeigte.
So punktet die neue Fahrzeug-Generation in der so genannten Kofferversion vor allem mit einer höheren Zuladung von über einer Tonne. Bis zu vier Europaletten können somit auf der Ladefläche verstaut werden, ohne dass die Polizei einschreitet. Obendrein werden die Lieferwagen nun mit einem automatischen Notrufsystem und einer akustischen Warneinrichtung ausgestattet – der Gesetzgeber will es so. Was aber für die Fahrer und Nutzer des Streetscooter wichtiger sein dürfte: Dank einer größeren Batterie mit einer Speicherkapazität von 43,4 Kilowattstunden (kWh) – die erste Generation des WORK konnte lediglich 20 kWh Strom puffern – soll der neue Streetscooter nun im Alltagsbetrieb mit einer Akkuladung deutlich über 100 Kilometer weit kommen und bis zu 120 km/h schnell fahren. Bislang war der Stromer auf der Autobahn mit einer Höchstgeschwindigkeit von 85 km/h eher ein rollendes Hindernis.
Sitzheizung serienmäßig
Auch die Ladeleistung wurde kräftig erhöht: Wechselstrom kann an der Stockdose nun dreiphasig, also mit einer Ladegeschwindigkeit von bis zu 11 Kilowatt in der Stunde gezapft werden, was die Tauglichkeit als Flottenfahrzeug deutlich erhöht: Nach etwa fünf Stunden an der Steckdose ist der Akku wieder zu 80 Prozent voll. Um Schnellladesäulen mit Gleichstrom muss der Streetscooter allerdings weiterhin einen Bogen machen. Das dürfte die Hauptnutzer der Fahrzeuge – die Deutsche Post DHL, aber auch Handwerker, Metzger und Bäcker – nicht weiter stören: Deren Autos sind fast ausschließlich im Stadtverkehr unterwegs.
Zum Basispreis von 42.750 Euro für den Streetscooter WORK und von 47.650 Euro für den längeren, aber ansonsten baugleichen Streetscooter WORK gibt es künftig serienmäßig sogar Sitzheizungen für die beiden Insassen, elektrisch einstellbare Außenspiegel sowie ein Digitalradio und eine Bluetooth-Freisprechanlage. Zu hoffen ist aber, dass nicht nur die Ausstattung, sondern auch die Zuverlässigkeit der Fahrzeuge im Alltagsbetrieb gestiegen ist. „Sie wollen einen Streetscooter besichtigen? Dann müssen wir in die Werkstatt gehen“, lautete die flapsige Antwort eines Ford-Händlers und Streetscooter-Verkäufers aus dem Rheinland, als sich der Autor nach der Möglichkeit einer Probefahrt erkundigte. Auch unter Postzustellern auf dem Land erfreut sich nach Recherchen von EDISON der Streetscooter wegen seiner Pannenhäufigkeit nicht unbedingt großer Beliebtheit.
Volkswagen winkte ab
Vielleicht ist das mit auch ein Grund, warum die Deutsche Post DHL die Freude an dem Unternehmen verloren hat, das sie 2014 von den beiden Aachener Professoren Günther Schuh und Achim Kampker erworben hatte: Konzernchef Frank Appel sucht seit Monaten nach einem Käufer für die StreetScooter GmbH, die im vergangenen Jahr einen Verlust von 70 Millionen Euro erwirtschaftet hatte und wohl auch in diesem Jahr dem Konzern trotz eines Verkaufs von inzwischen über 12.000 Fahrzeugen ein Defizit in zweistelliger Millionenhöhe kosten wird.
Aber wer könnte Streetscooter übernehmen? Volkswagen Nutzfahrzeuge hatte Interesse, konnte sich aber mit der DHL nicht über den Kaufpreis einigen. Mit Ford kooperiert die Post nicht nur im Vertrieb. Aber die Europa-Tochter des US-Konzerns hat derzeit mit sich selbst genug zu tun, um wieder in die Gewinnzone zu kommen. Und vor dem Hintergrund eines knallharten Sparprogramms werden sich die Kölner keinen Verlustbringer ans Bein binden. Zumal sie durch die Kooperation mit dem Volkswagen-Konzern die technischen Möglichkeiten erhalten, die Transporter-Baureihe Transit kostengünstig selbst zu elektrifizieren.
Expansion in USA und China
Jörg Sommer, der im April die Nachfolge von Kampker als Streetscooter-Chef antrat, will den Karren nun offenbar mit eigener Kraft aus der Verlustzone fahren. Dabei setzt der frühere COO des amerikanischen E-Nutzfahrzeughersteller Chanje nicht nur auf die Modernisierung und Optimierung der Produkte, sondern auch auf einen Ausbau der Geschäfte in USA und China. Und er holt frisches Blut ins Unternehmen: Der frühere Tesla-Direktor Peter Bardenfleth-Hansen kümmert sich seit wenigen Tagen als neuer Chief Growth Officer um den Aufbau der internationalen Vertriebsorganisation sowie innovative Energie- und Logistikservices. Und Ex-Ford-Manager Ulrich Stuhec soll als Chief Technology Officer (CTO) die Entwicklung neuer Produkte vorantreiben und das China-Geschäft ausbauen. Gelingt dem Trio der Turnaround, sollte sich schnell ein Käufer für das Aachener Unternehmen finden.