Als der Postbote zum ersten Mal ein Paket bei Peter Lustig aus „Löwenzahn“ abliefern musste, war er ziemlich perplex. „Also das ist Ihr Haus?“, fragt er, gleichzeitig entgeistert und leicht amüsiert. „Das ist mein Haus“, versichert ihm Peter Lustig. „Sie meinen diesen Wagen da?“ – „Ja, es hat vier Ecken wie jedes anständige Haus. Es hat Fenster, eine Tür, eine Türschwelle. Und es hat etwas, das andere Häuser nicht haben: Es hat vier Räder.“

Was Peter Lustigs Unterkunft allerdings nicht hat, ist viel Wohnraum. Bei seinem Einzug in den ikonischen blauen Wohnwagen in der zweiten Löwenzahn-Folge muss er schnell feststellen, dass es ganz schön knifflig ist, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Arbeitszimmer, Küche und Bad zusammen in einem einzigen Raum unterzubringen. Eine Gruppe Kinder beobachtet ihn dabei, wie er zunächst an diesem Problem scheitert. „Wir wollten dir nur sagen, dass dein Wagen zu klein ist“, lautet ihr wenig hilfreicher Tipp.

Wohnungen werden immer größer

Ratlos überlegt Peter Lustig: „Es muss doch außer mir noch andere Menschen geben, die in ganz winzigen Stuben wohnen oder in einem einzigen Zimmer.“ Zum Zeitpunkt der Ausstrahlung der Folge im Jahr 1981 dürfte die Suche nach jenen Menschen noch schwergefallen sein, denn der Tüftler war mit seinem winzigen Zuhause noch ein Pionier. Heute würde er aber deutlich mehr Mitstreiter finden. Und statt von Peter Lustigs Wohnwagen würde man von Peter Lustigs „Tiny House“ sprechen.

Tiny Houses sind allerdings keine Wohnwagen. Sie sind – wie der Name schon vermuten lässt – winzige Häuser, in der Regel mit einer Wohnfläche zwischen 15 und 55 Quadratmetern. Vor allem in den USA liegen sie schon länger im Trend, in Deutschland sind sie mittlerweile auch angekommen. Sie sind die Gegenbewegung zur Entwicklung des Immer-größer-werdens. Wohnflächen wachsen konstant. Im Jahr 2000 lag die durchschnittliche Wohnfläche pro Wohnung bei 84,7 Quadratmetern, 2016 waren es schon 91,7. In den USA stieg die Größe neuer Häuser von rund 142 Quadratmetern in 1973 auf 241 Quadratmeter in 2013. Gleichzeitig sank die durchschnittliche Personenzahl pro Haushalt.

Minimalistisch, günstig, nachhaltig und mobil

Ein bescheidenes Tiny House klingt für viele Menschen verlockend. Für sie bieten die kleinen Häuser einen alternativen Lebensstil: Minimalistisch und entschlackt lebt man nur mit dem wesentlichen, jede Neuanschaffung muss genau überdacht werden, da dafür ein anderer Gegenstand ausgemistet werden muss. Dazu kommt, dass die meisten Tiny House Bewohner Wert auf ökologische Nachhaltigkeit legen. Die Häuser sind oft aus Holz oder anderen umweltschonenden Materialien gebaut, alle Applikationen sind energiesparend, Solarpanels sitzen auf dem Dach, Wasser wird sparsam verbraucht. Wer besonders ambitioniert ist, versucht sogar komplett autark auszukommen.

Und gerade bei explodierenden Mieten in Städten wirkt ein kleines Eigenheim ab 25.000 Euro auch finanziell wie eine sinnvolle Alternative. Jährliche Mieterhöhungen oder das Abbezahlen des eigenen Hauses bis zur Rente kann man sich so sparen. Und wenn man mal umziehen möchte, ist das auch nicht schwierig. Denn obwohl sie eigentlich keine Wohnwagen sind, besitzen viele der Tiny Houses nach Peter Lustigs Vorbild Räder oder lassen sich einfach per Anhänger transportieren.

Auch Tiny Houses müssen die Vorgaben des Baurechts erfüllen

Wer allerdings davon träumt, sein Tiny House einsam und idyllisch im Wald, am See oder in naturumwachsenen Hügellandschaften zu bauen, muss aber zumindest in Deutschland seine Vorstellungen der Wohn-Romantik zurückschrauben. Denn auch die Minihäuser unterliegen dem Baurecht. Sie sind keine Wohnwagen und gelten somit als „Gebäude“ – egal ob mit Rädern oder nicht. Wie Peter Lustigs Postbote anmerkt: „Wenn Sie hier länger wohnen bleiben wollen, dann brauchen Sie eine Hausnummer.“

Bevor man mit einem richtigen, feststehende Tiny House loslegt, muss man sich eine Baugenehmigung holen. Das ist in Deutschland oft kompliziert. Egal ob das kleine Haus autark werden soll oder nicht, es dürfen nur erschlossene Grundstücke bebaut werden. Das sind solche, die an die Verkehrs-, Energie-, Kanalisations- und Wasserinfrastruktur angeschlossen sind. Oder, wie es der Postbote ausdrückt: „Sie brauchen Wasser. Und Gas, zum Kochen und zum Heizen. Und Strom brauchen Sie außerdem. Müssen Sie alles bedenken.“

Einfach so ein Haus in die Natur bauen geht also nicht. Und selbst wenn man die Kosten tragen würde, um ein neues Gebiet zu erschließen: Vorher müsste noch ein Bebauungsplan erstellt werden, an dem alle möglichen Parteien vom Wasserwirtschaftsamt bis hin zu Naturschutzbünden beteiligt sind.

Selbst Tchibo ist dabei

In den USA reicht es oft schon, Räder an das Haus zu montieren, um vielen der Vorschriften aus dem Weg zu gehen. In Deutschland ist das nicht ganz so einfach, oft wird dann im Einzelfall entschieden, ob ein Tiny House als Gebäude oder Wohnwagen eingestuft wird. Und auch die Regelungen zum Abstellen von Wohnwagen auf öffentlichem Gelände sind nicht unkompliziert.

Trotzdem wächst das Interesse an günstigen und ökologischen Tiny Houses. Auch in Deutschland bieten zahlreiche Unternehmen wie Reset House, Raumwerk, Schwörer Haus oder TechTinyHouse die Mini-Eigenheime an. Und das sicherste Zeichen, dass Tiny Houses im deutschen Mainstream angekommen sind: Sogar Tchibo hat die kleinen Häuser seit neustem im Angebot.

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