Wohnen zwischen Vergangenheit und Moderne, am Hafen und doch mitten in der Stadt. Direkt an die historische Speicherstadt in Hamburg grenzt die HafenCity. Europas größtes Flächenrecycling ist ein Ort, an dem Stadtentwickler und Architekten ihrer Kreativität freien Lauf lassen und die Zukunft von Wohnen und Leben aufzeigen.
Auf der einstigen 157 Hektar großen Industrie- und Hafenfläche ist Nachhaltigkeit das Maß aller Pläne. 12.000 Menschen sollen hier wohnen, 40.000 einen Job finden. Es ist die Kompatibilität von Wohnen und Hafenbetrieb, die Entwicklung einer energieeffizienten, klimaschonenden Wärmeversorgung, ein Mobilitätskonzept mit einem wasserstoffbasierten Busverkehr und eine Gebäudezertifizierung, durch die die HafenCity in Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen will.
Die Gebäude tragen klangvolle Namen wie „Oceans’s End“, „H2O“, „Dock 4“ oder „Harbour Cube“ und erhielten Preise für Architektur und Nachhaltigkeit. Berühmt ist vor allem das Unilever-Gebäude, das für seine nachhaltige, innovative und effiziente Architektur bei den World Architecture Festival Awards in Barcelona als bestes Bürogebäude der Welt ausgezeichnet wurde.
Die 25.000 Quadratmeter große Konzernzentrale ist das weltweit größte Gebäude, das komplett mit energieeffizienten LED-Leuchten ausgestattet ist. Eine Bauteilaktivierung zur Kühlung, eine Wärmerückgewinnungsanlage auf dem Dach des Atriums und der umfassende Einsatz von ökologisch optimierten Baustoffen sind in das Gebäude integriert.
Neues Haus heißt Wildspitze
Der daran angrenzende Marco-Polo-Tower wurde mit dem European Property Award in der Kategorie „Bestes Hochbauprojekt“ ausgezeichnet. Jetzt kommt ein neues Projekt hinzu, das ebenfalls für Aufmerksamkeit sorgen wird. Der Name: „Wildspitze“. Er verrät, worum es geht – um Natur und um Nachhaltigkeit.
Die „Wildspitze“ ist ein Gebäude ganz aus Holz. Mit 19 Etagen wird es das höchste Holzhochhaus Deutschlands werden. Es überragt damit das mit zehn Geschossen versehene, 34 Meter hohe Holzhochhaus SKAIO, das in Heilbronn entsteht. Auf einen dreigeschossigen Sockel wird das Hamburger Haus ein länglicher Komplex mit sieben sowie einen Turm mit 19 Etagen gesetzt.
Abgesehen von den Treppenhauskernen ist alles aus Holz: die tragenden Bauteile, die Geschossdecken und Außenwände. In Flammen geht es nicht so schnell auf. Im Gegensatz zu leichten Holzkonstruktionen gilt Massivholz als nicht leicht brennbar und daher als sicher. Umhüllt wird der Turm mit einer individuell zu öffnenden, gläsernen zweiten Fassadenhaut als Lärm-, Witterungs- und als Brandüberschlagsschutz.
CO2-armer Bau
Es wird dem Umweltgedanken gerecht. 26.000 Tonnen Kohlenstoffdioxid werden bei diesem Haus eingespart, die ansonsten bei Herstellung, Transport oder Entsorgung anderer Baumaterialien anfallen würden. Elektromobilität gehört ganz selbstverständlich dazu. In der Tiefgarage gibt es 100 Stellplätze für Elektroautos, 23 davon ausschließlich für ein Car-Sharing Konzept.
Rund 100 Millionen Euro kostet das Gesamtprojekt. Etwa acht bis elf Prozent über den herkömmlichen Baukosten. Noch erhoffen sich die Planer Kostenvorteile vom Bauablauf.
Viele Bauelemente sollen als Module vorgefertigt und vor Ort nur noch montiert werden. In Heilbronn haben die Planer angekündigt, ein Stockwerk pro Woche zu bauen. In der Hansestadt ist es noch nicht so weit. Erst in drei Jahren wird die „Wildspitze“ fertiggestellt sein. Läuft alles wie geplant, soll das Haus ein Vorzeigeprojekt zum Nachverdichten von Flächen werden. 180 Mitwohnungen soll es geben, davon 60 öffentlich gefördert.
Dichte Städte
Bezahlbarer Wohnraum ist vor allem in Großstädten ein kostbares Gut. Wird gebaut, sind die Anwohner von Baulärm, Staub, Lieferfahrzeug und Schmutz genervt. „Hier könne der modulare Holzbau eine umwelt- und anwohnerfreundliche Alternative sein“, erklärt Sabine Djahanschah, Fachreferentin für Architektur und Bauwesen bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), die das Projekt mit 492.000 Euro fördert.
DBU-Generalsekretär Alexander Bonde ist überzeugt, dass dieser Holzbau ein innovatives Modell für die gesamte Baubranche ist.
Das Hamburger Immobilienunternehmen Garbe will von dem Projekt lernen und neue Erkenntnisse von der Verwendung von Holz im Hochbau gewinnen. „So schaffen wir uns eine immer größere Basis, auch zukünftig verantwortungsvoll und nachhaltig zu bauen“, so Projektleiter Georg Nunnemann.
Für Architekten ist der natürliche Rohstoff nicht eine bautechnische Herausforderung. Es ist auch eine Chance. „Das Spektrum an intelligenten und zukunftsweisenden Ansätzen im gesamten Planungs- und Bauprozess mit Holz ist groß – die Zeit ist reif, die vielfältigen Möglichkeiten auszuschöpfen“, erklärt der Hamburger Architekt Jan Störmer, der das Gebäude entworfen hat.
Holz-Renaissance
Früher als Baumaterial für Öko-Architekten verschrien, erlebt der Rohstoff aus dem Wald seinen zweiten Frühling. Daraus Hochhäuser zu bauen, scheint en vogue zu sein: In der westkanadischen Provinz British Columbia hält zurzeit ein 18-geschossiges, 53 Meter hohes Studentenwohnheim den Weltrekord bei Holzhochhäusern.
Die Führungsfunktion halten die Kandier nicht mehr lange. Das „HoHo Wien“ soll mit 24 Stockwerken 84 Meter in den Himmel ragen. Drei Viertel des Gebäudes ab dem Erdgeschoss bestehen aus Holz, die Treppenhäuser sind aus Beton. Es geht noch höher hinaus: In Chicago ist der „River Beech Tower“ mit 244 Meter und 80 Etagen geplant. Den Spitzenplatz nimmt aber der „Oakwood Tower“ ein. Der Turm in London soll 300 Metern hoch sein und 80 Stockwerke haben.
Einziger Wermutstropfen: Der erste Mieter ist nicht unumstritten. Die Deutsche Wildtier Stiftung setzt sich zwar vordergründig für die Umwelt ein und will in Hamburg eine multimediale Ausstellung zu Nachhaltigkeitsstrategien im Umweltschutz und der Landwirtschaft einrichten, hochmodern und mit Deutschlands erstem Naturfilm-Kino. Nur sitzen an ihrer Spitze mit dem Ex-RWE-Manager Fritz Vahrenholt und dem Autor Michael Miersch zwei prominente Leugner des menschlichen Einflusses auf den Klimawandel.
Die Stiftung agitiert beispielsweise seit Jahren aufs Schärfste gegen die Windkraft. Offenbar ein einträgliches Geschäftsmodell – die Stiftung wird gleich Eigentümerin der 4400 Quadratmeter im Neubau.
(Mitarbeit: Peter Vollmer)