Peter Bieker reist regelmäßig vom oft vernieselten Münster in die staubtrockene Sahara, manchmal mehrmals am Tag. Er muss dazu nur eine Schleuse durchqueren, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen: ein Trockenraum für die Montage hochempfindlicher Akkuprototypen. Dort drinnen ist die Luftfeuchtigkeit extrem niedrig, schlimmer als in der Wüste – kein Vergnügen für den Körper, dem viel Wasser entzogen wird. „Wer hier länger als eine Stunde arbeitet, verliert ordentlich Gewicht“, weiß Bieker aus Erfahrung. Da helfe nur viel trinken.
Der 37-jährige Chemiker arbeitet am Meet, was für „Münster Electrochemical Energy Technology “ steht, einem der führenden Zentren für Batterieforschung in Deutschland. Hier tüfteln 140 Fachleute an den Stromspeichern von morgen und hoffen dabei die Zutaten für den „Super-Akku“ zu stoßen – eine Batterie, die nicht nur länger hält als ein Lithium-Ionen-Akku heutiger Machart, sondern der sich auch schneller laden lässt, der preisgünstiger ist und obendrein weniger Ressourcen verbraucht. Der Bedarf dafür ist gigantisch: Handys, deren Akkus nicht ausgerechnet beim entscheidenden Telefonat leer sind, Bohrmaschinen, die ohne lästiges Kabel stundenlang durchhalten, sind ungeheuer praktisch. Erst recht gilt das für die gesamte Elektromobilität. Denn sie droht ohne leistungsstarke, bezahlbare und umweltfreundliche Energiespender eine Nischentechnik zu bleiben. Nur Luxuskarossen von Tesla, Jaguar oder Audi schaffen heute mehr als 300 Kilometer mit einer Ladung seiner großen und entsprechend schweren Akkus. Um endlich Reichweiten von über 500 Kilometern zu ermöglichen, setzen die Forscher in aller Welt auf zwei Strategien: Sie versuchen, die gängige Lithium-Ionen-Technik auf neue Rekordwerte zu pushen. Und sie fahnden nach Alternativen – und der nach der Blei-Säure (1880), Nickel-Cadmium (1900), Nickel-Metallhydrid (1980) und Lithium-Ionen (1990) fünften Entwicklungsstufe von Batteriesystemen.
Abhängig von Asien
Das Interesse von Politik und Industrie an der Arbeit der Forscher ist riesengroß, speziell in Deutschland. Denn auch wenn das Land lange führend in der Grundlagenforschung war – das Geschäft mit Hochleistungsspeichern machen heute fast ausnahmslos asiatische Hersteller. Praktisch alle Batteriezellen kommen aus Fernost, aus Japan, Südkorea und China – oder aus den Vereinigten Staaten. Die deutschen Autohersteller sind von ihnen abhängig, sowohl was Liefermengen als auch Konditionen anbetrifft. Anders als der E-Autopionier Tesla, der sich früh mit dem japanischen Zellfertiger Panasonic verbündet und eine riesige Akkufabrik in Nevada errichtet hat. In Europa gibt es bislang keine vergleichbare Gigafactory, nur Pläne und Absichtserklärungen. So haben jüngst die Wirtschaftsministerien von Deutschland und Frankreich die EU-Kommission wissen lassen, dass sie den französischen Autokonzern PSA mit der deutschen Tochter Opel sowie den französischen Batteriehersteller Saft beim Aufbau einer Batteriefabrik finanziell fördern wollen. Ähnliche Konsortien schmieden derzeit der Volkswagen-Konzern mit dem schwedischen Startup Northvolt sowie Ford mit Varta. Am konkretesten ist noch der Plan des chinesischen Branchenriesen CATL zum Bau einer neuen Batteriefabrik in Thüringen.
Doch die Erhöhung der Produktionskapazitäten für Lithium-Ionen-Akkus heutiger Machart allein hilft den deutschen Autobauern nicht aus der Klemme. Sie würde nur den Preiskampf anheizen. Betriebswirtschaftlich Sinn macht nur eine Gigafactory, in der eine völlig neue Generation von Hochleistungsbatterien vom Band läuft. Klar, man kann die Lithium-Ionen-Batterien noch ein wenig optimieren. Etwa durch Elektroden, die mehr Lithium speichern. Oder mit Elektrolyten, die Lithium besser leiten. Auch durch raffiniertere Architekturen mit einem Maximum an Speichermaterial und einem Minimum an Verpackung drumherum. Helfen könnten auch Verbesserungen bei der Anode, dem Pluspol einer Batterie. Doch das alles bringt die Technologie nur in kleinen Schritten voran.
Auf dem Weg zum Festkörper-Akku
Ein weiterer Angriffspunkt: der Elektrolyt – jene Flüssigkeit, in der die Lithium-Ionen von einer Elektrode zur anderen schwimmen. „Bisher nehmen die Hersteller organische Flüssigkeiten“, sagt Franziska Klein, Chemikerin am Helmholtz-Institut Ulm (HIU), einem weiteren Schwergewicht der deutschen Batterieforschung. „Doch die brennen leicht.“ Daher wollen die Wissenschaftler die Flüssigkeiten durch weniger heikle Stoffe ersetzen – etwa durch feste Elektrolyte aus pulverförmiger Keramik. Doch für Ionen ist es kräftezehrend, sich durch das feste Material zu schlängeln.
Günther Hambitzer, 64, geht deshalb einen anderen Weg – der Erfinder aus Bonn und außerordentliche Professor für physikalische Chemie an der Universität Witten/Herdecke setzt auf ein anorganisches Elektrolyt, das er in 30-jähriger Grundlagenforschung (unter anderem für ein Batteriesystem aus den USA für militärische Anwendungen) entwickelt oder besser gesagt: enttarnt hat. Der Festionenleiter, den er kürzlich zum Patent angemeldet hat, ist nicht entflammbar und tiefentladefest, er altert nicht und könnte damit die Grundlage sein für eine Batterie, die praktisch ewig hält, ohne Kobalt und andere kritische Stoffe auskommt und obendrein auch noch kostengünstig herzustellen ist. Zusammen mit dem Zentrum für Brennstoffzellen-Technik (ZBT) in Duisburg und mit der Unterstützung unter anderem der Steag und von IBM will die von Hambitzer und zwei Kompagnons gegründete High Performance Battery Technology (HPBT) GmbH in den kommenden 18 Monaten im Rheinland erste Prototypen des neuen Feststoff-Akkus produzieren, der anschließend zu Demonstrationszwecken bei einem Autarkieprojekt in Österreich als Pufferspeicher eingesetzt werden soll.
30.000 Ladezyklen
Als „Geniestreich“ bezeichnet Sebastian Heinz im Gespräch mit EDISON Hambitzers Entdeckung, auf der die neue Speichertechnologie beruht. Der frühere Telekom-Manager ist bei der HPTB für die Unternehmensstrategie und die Vermarktung der Erfindung zuständig – Hambitzer selbst ist dafür zu sehr Techniker und hat obendrein in den zurückliegenden zehn Jahren bittere Erfahrungen mit institutionellen Investoren machen müssen, die erst zu einem Streit führten und dann in einer Insolvenz mündeten. Der Wissenschaftler konzentriert sich deshalb heute lieber auf die Laborarbeit.
Dort war es ihm schon 2010 erstmals gelungen, Batteriezellen herzustellen, welche die „Koppelung der Innenwiderstandszunahme an die Kapazitätsabnahme überwanden“, die also auf gut deutsch nicht alterten und auch noch über 30.000 Lade- und Entladezyklen die volle Speicherkapazität aufwiesen. „Heutige Lithium-Ionen-Zellen mit organischen Elektrolyten erreichen in der Regel nach 3000 Ladezyklen ihr Lebensende“, streicht Hambitzer im Gespräch den Unterschied heraus. Die stetig sinkende Leistungsfähigkeit ist der Tatsache geschuldet, dass bei den elektrochemischen Prozessen in der Zelle unter erheblicher Salzbildung ein Stoff entsteht, der sich an den Elektroden anlagert und so den Innenwiderstand erhöht. Die elektrische Leitfähigkeit der Ionenleiter sinkt darüber. Am Ende kollabiert die Zelle.
Hambitzer gelang es nach eigenen Worten, den Alterungsprozess zu entschlüsseln, aber auch die Substanz zu identifizieren und zu isolieren, die bei dem Alterungsprozess des ursprünglichen Elektrolyts entsteht. In weiteren Experimenten stellte er fest, dass diese Substanz ein sehr guter Festionenleiter ist, der, wenn man ihn direkt in die Zelle einbringt, die Salzbildung und damit die Alterung unterbindet. Hambitzer: „Das war der Durchbruch“. Und das schöne daran: „Die Rezeptur ist einfach. Und sämtliche Zutaten für den Cocktail kriegt man in der Apotheke“, freut sich Kompagnon Thomas Lützerath, der früher Elektromotoren – unter anderem für den VW e-Golf und den Renault Twizy mitentwickelt hat. Benötigt werden für den neuen Batterietyp weder seltene Erden, weder Gold oder Kobalt. Einzelheiten? Sind noch Betriebsgeheimnis.
Großspeicher für die Energiewende
Bis zur Serienproduktion liegt aber trotzdem noch einige Arbeit vor dem Bonner Team. Hambitzer schätzt, dass ein erstes Muster des neuen Zelltyps mit einer Kapazität von 1,4 Amperestunden schon im Frühsommer fertig sein könnte, wenn alles planmäßig läuft. Aber zusammen mit den Industriepartnern will man auch die industrielle Fertigung des Akkus perfektionieren und die Speicherkapazität der Zelle weiter erhöhen, um in 18 Monaten dann einen vorindustriell gefertigten Prototypen mit einer Kapazität von 50 Amperestunden vorzeigen zu können. Zu dem Zweck bemühe man sich gerade beim Bundeswirtschaftsministerium um Mittel aus dem Fördertopf des Forschungsprogramms „Innovationen für die Energiewende“, berichtet Heinz.
Denn die Festkörperbatterie biete die Chance, den mit Hilfe von Windrädern und Photovoltaik-Zellen gewonnenen Ökostrom zu speichern, wenn das Stromnetz aufgrund eines Überangebots gerade ausgelastet sei. Puffer- und Heimspeicher sind für Hambitzer die ersten Einsatzfelder, er hat bereits Großspeicher im Containerformat vor Augen, ein Paket aus 14.000 Batteriezellen mit einer Speicherkapazität von 2 Megawattstunden : „Erst die besondere Kombination positiver Eigenschaften unserer Batterietechnologie erlaubt einen derartigen Einsatz, der die überlegene Energieeffizienz elektrochemischer Batteriespeicher mit einer hohen Wirtschaftlichkeit und verbesserter Ökobilanz verbindet.“
Autoindustrie muss warten
Und was hat die Autoindustrie davon? Erst einmal nichts. Feststoff-Zellen für den mobilen Einsatz sieht Hambitzer erst in etwa drei Jahren. „Elektromobilität ist derzeit ein sehr emotionales Thema – aber der Bedarf für Hochleistungsspeicher und die Not der Industrie aufgrund der Energiewende derzeit ungleich größer.“ Aber wenn ein Autohersteller oder Zulieferer nicht so lange warten mag – die Bonner wären auch offen für eine Lizenzproduktion.