Mitten im grünen Marschland Niedersachsens liegt Jemgum. Das Örtchen mit seinen 3500 Einwohnern und den typisch roten Backsteinhäusern ist eines der Energie-Zentren Deutschlands. Nicht nur wegen der Windparks im Gemeindegebiet – die alte Galerieholländer-Windmühle im Ortskern zeigt, dass die Bewohner den Wind schon 1756 zu nutzen wussten. Unter der Erde liegen Salzkavernen, die nun zum zentralen Baustein der Energiewende werden könnten.
Schon jetzt dienen die Höhlen als Speicher für Erdgas. Sie fassen genug, um etwa ein Zehntel von Niedersachsen mit Gas versorgen zu können – für ein ganzes Jahr. Der Betreiber EWE plant nun aber, die Salzstöcke als Stromspeicher zu benutzen. Und zwar in Form eines riesigen, modernen Redox-Flow-Speichers.
Dazu braucht es eigentlich nur Salzwasser und sogenannte organische Polymere, also abbaubare Kunststoffe. Denn anders als bei Lithium-Batterien speichern Redox-Flow-Batterien die Energie nicht in einer festen Elektrode, sondern in einer Flüssigkeit, auch Elektrolyt genannt. „Während andere Batterien Seltene Erden benötigen, brauchen wir hier nur Salzwasser und Polymere“, erklärt EWE-Sprecher Dietmar Bücker.
2023 soll der Speicher ans Netz gehen
Ende des Jahres sollen in einem Container auf dem Gasspeichergelände bei Jemgum erste Tests des Projekts „Brine for Power“ (kurz b4p) beginnen. „Brine“ bedeutet Sole. Denn wenn Ende 2023 die Pilotanlage startet, entsteht die Sole direkt vor Ort; ein großer Vorteil der Kavernen. Zumal diese je 100.000 Kubikmeter Volumen haben, das entspricht 100 Millionen Litern. Zum Vergleich: Das größte Freibad Europas, das Bretanobad in Frankfurt, fasst im größten Becken 9,5 Millionen Liter.
Entsprechen groß ist auch die Speicherkapazität von 700 Megawattstunden. Das reicht, um alle Haushalte von Lüneburg oder Bayreuth für einen Tag mit Strom zu versorgen. Aber darum geht es ja gar nicht. Ein Speicher dieser Größenordnung könnte den unbeständigen Windstrom der Nordseeanlagen abfangen und in dem Maße abgeben, wie der Strommarkt es benötigt. Regelleistung heißt das und wird von den Netzbetreibern gut bezahlt.
„Wenn alles funktioniert, kann dies den Speichermarkt beziehungsweise den Markt für Regelenergie grundlegend verändern“, hofft auch EWE-Chef Peter Schmidt. „Die Strommenge, die ein Speicher dieser Art beinhaltet, – der aus zwei mittelgroßen Kavernen besteht – reicht aus, um eine Millionenmetropole wie Berlin für eine Stunde mit Strom zu versorgen. Damit würden wir die größte Batterie der Welt bauen.“ Und man speichere den Strom direkt – kein Power-to-Gas, kein Druckluftspeicher.
Das Oldenburger Energie- und Technologieunternehmen betreibt bereits acht Kavernen, um darin Erdgas zu speichern. Sie für das Redox-Flow-Speicherprinzip zu benutzen, ist dagegen neu. In Kombination mit einem passenden Windpark würde jede Batterie ein regelbares 120 Megawatt-Kraftwerk ersetzen. Eine Flexibilität, von der auch Braunkohle- und Atomkraftwerke nur träumen können. Letztere benötigen ja ebenfalls Salzstöcke, um radioaktive Abfälle zu lagern.
So funktioniert Redox-Flow
Zunächst werden die Elektrolytlösungen aber testweise in zwei getrennten Tanks gelagert und bilden den Plus- und Minuspol der Batterie. Ähnlich wie bei einer Flüssig-Brennstoffzelle wird der Elektrolyt durch eine Wandler-Einheit gepumpt. Bei der Aufladung der Batterie sorgt der Ladestrom dafür, dass Elektronen an den Polymeren des Anolyts angelagert werden. Gleichzeitig gibt der Katholyt seine Elektronen ab. Weil diese Vorgänge REDuktion und OXidation heißen und der Elektrolyt fließt, heißt die Speichertechnologe eben „Redox Flow“.
In Pfinztal bei Karlsruhe hat kürzlich ein solcher Speicher oberirdisch seine Arbeit aufgenommen. Fünf Jahre Entwicklungszeit, 19 Millionen Euro und eine Menge Know-How aus dem Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie stecken drin. Die 20 Megawattstunden Kapazität werden auch hier mit Windenergie befüllt.
Und sie hat viele Vorteile: Zunächst die hohen Ladezyklen. 10.000 Ladevorgänge sind für diesen Speicher kein Problem. Außerdem können Leistung (kW) und Speicherkapazität (kWh) je nach der Anwendung angepasst werden. Das ist nicht nur sehr effizient sondern trägt zum ohnehin längeren Leben bei, dass Redox-Flow-Speicher im Vergleich zu herkömmlichen Batterien haben.
Es gibt natürlich auch Nachteile. Die geringe Energiedichte sorgt dafür, dass sich nur große Speicher lohnen. Und für die Elektrolyt-Lösung werden bislang häufig Schwefelsäure und Schwermetalle wie Cadmium und Vanadium verwendet. Um das zu ändern, ist der Jenaer Professor Ulrich S. Schubert von der Friedrich-Schiller-Universität mit an Bord. Statt Schwefelsäure nutzt er eine ungefährlichen Kochsalzlösung und statt Schwermetallen kommen die organischen Polymere zum Einsatz. „Organische Batterien sind im Zeitalter von immer knapper werdenden Ressourcen eine hervorragende Alternative, elektrische Energie zu speichern“, ist Schubert überzeugt.
Für die Entwicklung haben Schubert und sein Team den Thüringer Forschungspreis 2017 für Angewandte Forschung vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft erhalten. „So können wir grüne Windenergie in einer grünen Speichertechnologie speichern“, freut sich EWE-Sprecher Bücker. Und anders als bei den Windrädern werden sich auch Landschaftsfreunde nicht beschweren können.
Zudem bleibt die Wertschöpfung in Europa. „Durch die Möglichkeit, große Energiemengen zu speichern wird Strom günstiger“, erklärt Bücker. Er ist überzeugt: „Durch diese Megabatterien könnte erneuerbare Energie zukünftig rund um die Uhr in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.“ Es sind zwar noch sechs Jahre. Aber das Potenzial ist immens.