Verkehr, Kohlekraft, Landwirtschaft: Die Hauptverantwortlichen für die globalen CO2-Emissionen scheinen schnell gefunden. Sie tragen wesentlich dazu bei, dass es schwieriger und schwieriger wird, die globale Klimaerwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten. Ein Emissionsverursacher wird allerdings häufig erst in zweiter Reihe erwähnt, obwohl er ganz vorne unter den Klimaschädlingen steht: die Textilindustrie.

Ein Bericht der gemeinnützigen Ellen MacArthur Foundation schreibt der Textilproduktion rund 1,2 Milliarden Tonnen Treibhausgasausstoß pro Jahr zu – mehr als alle internationalen Flüge und die Meeresschifffahrt zusammen. Falls sich in der Branche nichts wandele, werde die Branche laut dem Bericht bis 2050 über 26 Prozent des Kohlenstoffbudgets einnehmen, das zur Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels zur Verfügung steht.

Bei solchen Zahlen muss man natürlich vorsichtig sein, manche Studien sehen schon Rinder und Schiffe hauptverantwortlich für den Treibhauseffekt. Aber allein die Massen an Erdöl-basierter Kunststoffkleidung, die in immer kürzeren Trendzyklen auf den Markt kommen, illustrieren das Problem.

Schuhe und Shirts aus Seetang

Tessa Callaghan hat nach einer Möglichkeit gesucht, das zu ändern. „Wir haben unsere Lösung im Ozean gefunden“, erklärt sie bei einem Vortrag in Amsterdam. Zusammen mit ihren Mitgründern startete sie 2016 ihr Unternehmen AlgiKnit. AlgiKnit will T-Shirts, Schuhe und Accessoires produzieren – und als Basismaterial dient Seetang.

Aus dem Tang gewinnt das Unternehmen Alginsäure, ein Biopolymer. Diesem werden Wasser und komplementäre Biopolymere zugemischt, bis eine Paste entsteht. In einem Gerinnungsbad wird die Paste solange gepresst, bis sie zu einem Bio-Faden wird, der stabil genug ist, um beim Stricken per Hand oder Maschine nicht kaputtzugehen.

Zum Färben des Stoffs nutzt AlgiKnit Farben auf pflanzlicher und bakterieller Basis, damit auch dieser Vorgang möglichst nachhaltig ist. Ein weiterer Vorteil: Es kann genau die benötigte Menge Stoff produziert werden, die für ein Textil nötig ist, sodass weniger bei der Herstellung verschwendet wird.

Wollrohstoff vom Meeresgrund
An der Küste wird der Seetang in Aquafarmen gezüchtet. Davon profitieren auch die Meeresbewohner.
© Copyright AlgiKnit

Algenfarmen an der Küste

„Wir arbeiten an einer Zukunft, in der Mode im Einklang mit den natürlichen Ökosystemen steht und nicht im Konflikt“, so Callaghan. Mit dem Seetang Kelp glaubt sie, die ideale Lösung gefunden zu haben: Kelp wird in Aquafarmen in Küstennähe gezüchtet. Es ist einer der am schnellsten wachsenden Organismen der Welt, sodass es immer wieder schnell „aufgeforstet“ werden kann.

Da es im Ozean wächst, braucht es keine schädlichen Düngemittel, nimmt kein Farmland ein, das für andere Zwecke genutzt werden könnte und braucht kein Süßwasser zur Bewässerung. Außerdem nimmt es bis zu fünfmal so viel CO2 auf wie Landpflanzen, säubert das Wasser in der Umgebung und dient als Lebensraum für zahlreiche Meeresbewohner.

Am Ende ihres Lebenszyklus kommen AlgiKnit-Shirts, -Schuhe oder -Taschen dann auf den Komposthaufen, wo sie sich schnell zersetzen. Aber keine Sorge: Die Kleidung fängt nicht schon beim Tragen an, sich aufzulösen. Erst unter den Kompost-Bedingungen setzt der Prozess ein. Von der Herstellung bis zur Entsorgung sparen AlgKnit-Textilien laut Unternehmen bis zu 80 Prozent CO2 gegenüber einem Kleidungsstück aus recyceltem Polyester ein.

Kosten senken für Wettbewerbsfähigkeit

Mit dem steigenden Bewusstsein für die Auswirkungen der konventionellen Textilproduktion entstehen auch immer mehr Unternehmen, die ihr Augenmerk auf Mode auf biologischer Basis legen. Wie die meisten von ihnen muss auch AlgiKnit aber noch einige Hürden überwinden, bevor es wirklich marktfähige Produkte liefern kann. Mit der Stabilität und Haltbarkeit des Stoffs hat AlgiKnit eines der größten Probleme aber bereits gelöst.

Das AlgiKnit-Team
Auch wenn es die Outfits der Teammitglieder nicht vermuten lassen – die Seetang-Kleidung soll es auch in bunt geben.
© Copyright AlgiKnit

Als nächstes geht es um die Kosten, schließlich ist für die meisten Konsumenten der Preis ein entscheidender Faktor beim Klamottenkauf. Bisher war diese bei Bio-Textilien deutlich höher als bei konventionellen. AlgiKnit hofft, auch hier einen Vorteil zu haben, weil sie schon bestehende Kapazitäten nutzen können. „Bei unserer Methode müssen wir die bereits vorhandene mechanische Infrastruktur der Textilindustrie nicht ersetzen“, sagt Callaghan.

In Zukunft auch selbstwachsende Schuhe?

Momentan ist AlgiKnit aber noch in der Entwicklungsphase im Labor. Mit Unterstützung durch das Fashion Institute of Technlogy (FIT) in New York, der Colombia University und den Investoren RebelBio und SOSV wollen Callaghan und ihre Kollegen 2020 an den Markt gehen. Bis dahin wollen sie die Technik noch verfeinern.

Außerdem experimentieren die Gründer auch mit ganz neuen Ideen. Die AlgiKnit-Mitarbeiterin Theanne Schiros, die auch am FIT lehrt, hat beispielsweise mit ihren Studenten einen Schuh aus Bakterien, Pilzen und Kompostabfällen gezüchtet. Die Mischung kam in eine Art Schuh-Gussform, wo der Sneaker gewachsen ist. Später haben die Studenten ihn mit Fäden aus weggeworfenen Ananas-Resten genäht und Farbe aus Avocadokernen verziert. Mehr als ein Experiment wird diese Technik aber erstmal wohl nicht werden: Seetang hat Vorrang.

Artikel teilen

Kommentar absenden

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert