Die Wohnung im zweiten Stock des Forschungsgebäudes NEST in der Schweizer Gemeinde Dübendorf trägt den Namen „Umar“ und sieht auf den ersten Blick, wenn auch ziemlich groß, völlig normal aus: Zwei Schlafzimmer, zwei Bäder und ein großer Aufenthaltsraum mit Kochinsel befinden sich auf einer Fläche von 120 Quadratmetern.
Die Innovation steckt hier im Detail. Denn die Wohnung besteht ausschließlich aus recyclebarem Material. Die Wände sind aus Filz, Lehm oder alten Tetrapak-Schnipseln, die Backsteine halten ganz ohne Baumörtel zusammen und greifen stattdessen ineinander wie Legosteine. Statt Styropor finden sich Dämmplatten aus Sägespänen und den Fasern zerschlissener Jeans.
Das Kürzel Umar steht für „Urban Mining and Recycling“. Die Wohnung soll zeigen, wie man allein mit Abfall und Recycling-Material modern bauen kann. „Wir brauchen Umdenken im Bauwesen“, sagt Werner Sobek, Leiter des Instituts für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart. Zusammen mit Dirk Hebel und Felix Heisel vom Karlsruher Institut für Technologie hat er das Umar entworfen.
Alle Materialien sollen wiederverwendet werden
Die komplett recyclebare Wohnung ist die Antwort der Wissenschaftler auf die Frage, wie eine nachhaltige Bauwirtschaft aussehen könnte. Die Verwendung vollständig kompostierbarer und recyclebarer Materialien ist dabei nur eine Facette des Forschungsprojekts. Wichtig sei vor allem der Kreislaufgedanke, erklärt Hebel. „Die verwendeten Materialien werden nicht verbraucht und dann entsorgt. Sie sind vielmehr für eine bestimmte Zeit aus ihrem Kreislauf entnommen und werden später wieder in diesen zurückgeführt“, sagt der Wissenschaftler. Entsprechend wichtig bei dieser Bauweise: keine Klebeverbindungen. Alles wird verschraubt, verschränkt oder geklemmt, damit die Forscher es später problemlos wieder auseinander nehmen können.
Das Umar ergänzt seit Februar 2018 als experimentelles Wohnmodul das Forschungsgebäude NEST auf dem Campus der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in der Schweizer Gemeinde Dübendorf. Vor kurzem sind zwei Studenten eingezogen. In den kommenden fünf bis sieben Jahren werden sie im Umar wohnen und ihre Erfahrungen dokumentieren. Dabei teilen sie sich ihr neues Zuhause mit bis zu 1000 Bewohnern monatlich.
„Mit der Umsetzung und der Demonstration des konsequenten Kreislaufkonzepts in einem realen und bewohnten Bauprojekt, erhoffen wir uns natürlich, dass wir ein Umdenken im Bauwesen anstoßen können“, sagt Enrico Marchesi, verantwortlicher Innovation Manager im NEST. Geht es nach den Schweizer Wissenschaftlern, sollen Gebäude in Zukunft nicht nur Wohn- und Arbeitsraum bieten, sondern gleichzeitig auch als Materiallager für die nächste Generation dienen.