Bei der Windkraft waren die Nordfriesen schon immer ganz vorne dabei. Bereits 1923 entstand unweit von Husum in Eigeninitiative das erste Windkraftwerk. Weil sie ihre Landmaschinen zum Dreschen und Häckseln elektrisch betreiben und ihre Höfe elektrisch statt mit Petroleum erleuchten wollten, hatten acht Bauern aus Pobüll ihre Ersparnisse zusammengeworfen, einen 28 Meter hohen Stahlturm errichtet und auf die Spitze ein Windrad mit 12 Metern Durchmesser gesetzt. Dieses trieb einen „Herkules“-Dynamo der Marke Herkules an, der bei einer frischen Brise in der Stunde immerhin 13 Kilowatt Strom erzeugte. Damit wurden acht Elektromotoren betrieben und eine Bleibatterie gespeist, mit der auch bei Flaute im Dorf 500 Glühbirnen mit Energie versorgt werden konnten – bis zu zwei Wochen lang.

100 Jahre später zeichnet sich in der Region erneut eine nordische Pioniertat ab. In Niebüll, 40 Kilometer nördlich von Pobüll, starteten die Arbeiten am größten deutschen Mobilitätsprojekt, das auf mit Windkraft erzeugten grünen Wasserstoff setzt. Statt im Fernnetz landet der in den älteren Windparks Bosbüll, Langenhorn, Dörpum und Reußenköge produzierte Strom an Ort und Stelle in großen Elektrolyseuren, die ihn zur Gewinnung von Wasserstoff nutzen. Wenn der Wind ordentlich bläst, könnten so im Jahr rund 220 Tonnen Wasserstoff erzeugt werden. Genutzt werden soll der kostbare Stoff ebenfalls gleich an Ort und Stelle: In Niebüll und Husum entstehen gerade zwei neue Wasserstoff-Tankstellen für Autos und zwei Linienbusse mit Brennstoffzellen-Antrieb.

Initiator des 18 Millionen Euro schweren Projekts und Betreiber der „E-Farm“ sind, na klar, Landwirte aus der Region. Dei beiden umweltbewegten Strom-Bauern Heinrich Gärtner und Ove Petersen hatten 2009 quasi zum Nebenerwerb in Reußenköge das mittelständische Unternehmen GP Joule aus der Taufe gehoben, das heute international als Systemanbieter für integrierte Energielösungen aus Wind, Sonne und Biomasse agiert – und die Elektromobilität in ihrer Heimatregion vorantreibt. Nach dem Bau von Wind- und Solarparks beschäftigen sie sich inzwischen intensiv mit der Wasserstoff-Technik.

Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region

„Um die Klimaziele in Verkehr, Wärme und Industrie zu erreichen, müssen wir die Erneuerbaren Energien in allen Sektoren nutzen – und einen großen Teil des Sonnen- und Windstroms in Zukunft in Wasserstoff umwandeln“, ist GP Joule-Co-Gründer Petersen überzeugt. Und das am besten dort, wo der Sonnen- und Windstrom erzeugt wird. Das sei auch wichtig, um die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Windkraft und die „Verspargelung“ der Landschaft mit den riesigen Windrädern an der Nordseeküste zu erhöhen, betont sein Referent und Projektleiter eFarm, Andre Steinau, im Gespräch mit EDISON: „Mit der Erzeugung von Primärenergie allein ist in einer Region noch nichts gewonnen“, sagt er und verweist auf die Kohlekraftwerke in der Lausitz: „Die dort produzierte Energie floss ab und schuf in der Region selbst kaum Wertschöpfung“ – nur tiefe Narben in der Landschaft. Steinau: „Das darf uns in Nordfriesland nicht passieren.“

Windkraft zu Wasserstoff
Im nordfriesischen Bosbüll sollen schon bald zwei Elektrolyseure grünen Wasserstoff produzieren – und mit der Abwärme die Häuser und Höfe im kleinen Dorf heizen. Foto: GP Joule

Das Problem ist nur: Der Strombedarf ist an der Nordseeküste deutlich geringer als etwa in den Industriegebieten etwa in NRW oder Baden-Württemberg. Auch wenn im Kreis Nordfriesland, gemessen an der Gesamtzahl der Fahrzeug-Zulassungen, inzwischen die meisten Elektroautos unterwegs sind: etwa vier Mal so viel wie im Bundesschnitt. Deren Reichweite sei allerdings eingeschränkt: „Für die Strecke nach Hamburg und zurück reicht es meist nicht, sagt Steinau, der seinen BMW i3 deshalb gegen ein Brennstoffzellenauto vom Typ Hyundai Nexo eintauschte: „Seitdem fahre fahre ich viel entspannter.“

Verkehrsminister trägt Hälfte der Kosten

Die Idee der GP Joule-Gruppe zum Aufbau eines Wasserstoff-gestützten Mobilitätsnetzwerks fand entsprechend schnell Unterstützung. In kürzester Zeit waren 19 Privat-Investoren gefunden (darunter viele Landwirte), die bereit waren, größere Summen in das insgesamt 16 Millionen Euro schwere Projekt eFarm zu stecken und damit regional Wertschöpfung und Arbeitsplätze zu schaffen. 4,4 Millionen Euro steuerten Banken und Sparkassen aus Nordfriesland bei. Aber auch außerhalb der Region fanden sich Unterstützer: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer machte aus seinem Etat acht Millionen Euro locker. Denn ein Teil des Geldes wird dazu genutzt, um zwei Brennstoffzellenbusse für den Nahverkehr anzuschaffen.

Noch in diesem Jahr soll das Netzwerk stehen, sollen die ersten Tonnen grünen Wasserstoffs zwischen Husum und Niebüll produziert und mit Kesselwagen zu den beiden Tankstellen transportiert werden. Unter idealen Bedingungen, rechnet Steinau vor, könnten die Windräder im Jahr an rund 3000 Stunden Strom produzieren und die fünf Elektrolyseure daraus 219 Tonnen Wasserstoff generieren: „Damit kann man eine Menge Autos und Busse betreiben.“ Die Wärme, die bei der Elektrolyse entsteht, soll entweder in Biogasanlagen genutzt werden. Am Standort Bosbüll wird sie die Häuser und Höfe des 200 Einwohner zählenden Dorfes heizen. Die Betreiber wollen so unter dem Strich auf einen Wirkungsgrad der Anlagen von 85 Prozent kommen.

Hyundai will Fahrzeuge liefern

Allerdings rechnet sich die eFarm auch nur, wenn sich möglichst schnell möglichst viele Abnehmer für den grünen Wasserstoff finden. Klar, die beiden Busse werden einen Teil abnehmen. Aber Personen- und Lieferwagen, die in Brennstoffzellen Wasserstoff in Fahrstrom umwandeln, sind hierzulande noch rar. Mercedes-Benz hat kürzlich angekündigt, die Produktion des GLC Fuel Cell demnächst einzustellen. Und um das Audi-Konzeptauto h-tron von 2016 ist es ebenso still geworden wie um die Power-to-Gas-Anlage im niedersächsischen Werlte, in der Audi seit 2013 mit Windenergie synthetisches Erdgas für die Modelle A4 und A5 g-tron produziert. Pkw mit Brennstoffzellen können derzeit nur Hyundai, und Toyota liefern.

Projektleiter Steinau ist trotzdem zuversichtlich, dass in Nordfriesland schon im nächsten Jahr eine größere Flotte von Fahrzeugen mit dieser Technik unterwegs sein wird. Hyundai habe versprochen, eine größere Anzahl von Fahrzeugen zu liefern. Zusätzlichen Schwung erhofft er sich vom neuen Toyota Mirai, der im kommenden Jahr nach Deutschland kommen soll. Angepeilt wird eine Flotte von 100 Wasserstoff-Fahrzeugen in der Region.

Pionier der Energiewende
Ove Petersen, Mitgründer und CEO der GP Joule-Gruppe aus dem nordfriesischen Reußenköge, in einem der Container-großen Elektrolyseure des Tochterunternehmens HTec Systems. Foto: GP Joule

Ein billiges Vergnügen wird der Betrieb der Autos allerdings nicht: Verkauft werden soll der grüne Wasserstoff an den beiden Tankstellen zu einem Kilopreis von 10 Euro, verrät Steinau. Allein die Vertriebskosten seien mit sechs bis acht Euro pro Kilo anzusetzen. Hinzu kämen Produktionskosten zwischen drei und fünf Euro. Sein Hyundai Nexo kommt mit einem Kilo Wasserstoff etwa 100 Kilometer weit. Mit einem Batterieauto etwa vom Typ Hyundai Kona Elektrik müsste er für die Strecke mit Stromkosten von nur etwa sechs Euro rechnen.

Aber wenn es allein nach den Kosten gegangen wäre, wäre das erste Windkraftwerk in Pobüll vor 100 Jahren sicher auch nicht ans Netz gegangen: In der Kreisstadt musste man noch über zehn Jahre lang mit Petroleumlampen zurechtkommen.

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7 Kommentare

  1. Kai Neumann

    Tolles Projekt, nur ist es ein riesiger Fehler, auch Autos mit Wasserstoff betreiben zu wollen. Wir haben hierzu für das Umweltbundesamt einmal ein Simulationsmodell gebaut: https://www.imodeler.de/a/ConsideoPaper-BEM-Dt.pdf Den Wasserstoff brauchen wir für die Industrie, die Rückverstromung, den Flug- und den Seeverkehr. Autos und LKW/Busse können batterieelektrisch mit höherem Wirkungsgrad betrieben werden. Bei den Studien zu den Akkus werden zumeist falsche Daten zitiert und selbst bei den korrigierten Studien wird das Recycling des einmal aus dem Boden zu holenden Lithiums nicht mitbewertet.

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    • Sebastian

      Der Wirkungsgrad ist nicht relevant, wenn ausschließlich grüner Strom eingesetzt wird. Daher sollten alle Fahzeuge zukünftig mit Wasserstoff fahren. Batterien passen nicht in eine Kreislaufwirtschaft. Und LKW machen mit Batterien keinerlei Sinn, die Nutzlast ist viel zu gering. Mit dem Batterie-LKW über die Alpen? Viel Spaß! Deshalb kommen jetzt die ersten Wasserstoff-LKW in die Schweiz.

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  2. Klaus Burkhart

    Das Thema hat Greenpeace(-Energie) seit Jahren auf der Agenda -> https://www.greenpeace-energy.de/privatkunden/oekogas/unser-windgas-im-detail.html
    Ein Teil des Konzeptes sieht vor, dass das vorhandene Erdgasnetz als Zwischenspeicher für überschüssiges Gas genutzt werden kann. Nur Politik und Energiewirtschaft haben sich wenig mit dem Thema beschäftigt –
    und unsere Bundesregierung hatte auch jetzt wieder nicht den Mut, Kaufprämien für KFZ mit Verbrennermotoren sofort und endgültig abzulehenen.

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  3. FD

    Es ist hinlänglich wissenschaftlich, betriebswirtschaftlich fundiert, dass H2 unwirtschaftlich ist, selbst grün angestrichen.
    Für die vielen Millionen Steuergelder kann man an den Windmühlen Akku-Anlagen bauen, die sofort im Millionenbereich Geld verdienen, siehe Hornsdale. Die paar km Erdkabel fallen dabei auch noch ab.

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    • Sebastian

      Mal abgesehen davon, dass Akkus in der Produktion extrem umweltschädlich sind (hoher CO2-Ausstoß, Verbrauch wertvoller Rohstoffe wie Nickel oder Kobalt): Akkus sind nicht skalierbar. Wollen Sie dann immer mehr teure Akkus dazukaufen, wenn immer mehr Energie gespeichert werden muss? Bei Wasserstoff tut es weiterer Tank, der im Vergleich kaum etwas kostet.

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    • P.K.

      Die Kosten für Wasserstoffanwendungen werden wahrscheinlich, wie es bei regenerative Energien und Akkus auch passiert ist, schnell sinken.

      Gründe dafür sind:

      1)positive Skaleneffekte bei zunehmender Produktionsmenge
      2)technischer Fortschritt
      3)Lernkurveneffekte

      Zu diesem Thema gibt es vom Jahresanfang auch Studien.

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  4. Sebastian

    Ein vorbildliches Projekt, das hoffentlich noch sehr viele Nachahmer findet.

    Würde ich in der Region wohnen, hätte ich mich mit dem Kauf eines Wasserstofffahrzeugs beteiligt, vermutlich den neuen Mirai. Dass die deutschen Autobauer bis heute nicht liefern können, zeigt einmal mehr, dass sie keine Zukunft mehr haben.

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