Der Industrieverband CTA, die Consumer Technology Association der USA, hat sich alle nur erdenkliche Mühe gegeben und keine Kosten gescheut, um die weltgrößte Technik-Messe CES in Las Vegas wieder in alter Größe erstrahlen zu lassen. Doch Corona machte wie schon im Vorjahr einen Strich durch die Rechnung: Aufgrund der rasanten Verbreitung der Omicrom-Variante und stark steigenden Inzidenz-Werte in den USA sagten viele Tech-Schwergewichte wie Intel, Google, Amazon, Lenovo und Harman, aber auch Vertreter der Autoindustrie wie Daimler, BMW, General Motors und Continental ihr Präsenz vor Ort ab. Die Messe schließt deshalb schon am Freitag, 7. Januar, ihre Tore – einen Tag früher als geplant.
Was nicht heißt, dass auf der Messe trotz dieser harten Realitäten keine spannenden Neuheiten und schönen Visionen präsentiert wurden. Zum Teil livehaftig, zum großen Teil aber auch nur virtuell.
Farbspielereien und Gedankenspiele
Über die Präsentation des vollelektrischen Konzeptautos Vision EQXX von Mercedes mit dem weltbesten cW-Wert von 0,17 und 1000 Kilometer Reichweite bei einer Akkukapazität von nur knapp 100 kWh und haben wir hier schon ausführlich berichtet – darauf müssen wir nicht mehr eingehen.
Auch BMW nutzte das Umfeld der Tech-Messe, um zwei spektakuläre Innovationen vorzustellen: eine Karosserieoberfläche, die dank Elektrophorese ihre Farbe wechseln kann. Und den „Theatre Screen“, ein Panorama-Display im 32:9-Format, das den Fond einer Luxus-Limousine vom Kaliber des geplanten i7 in eine private Kino-Lounge mit Surround-Sound und voller 5G-Konnektivität verwandeln könnte. Wenn wir alle eines (angeblich nicht mehr ganz so) fernen Tages von Robotern durch die Gegend chauffiert werden, könnte das ein nettes Feature sein.
Die e-Ink genannte Folierung, die am Beispiel eines BMW iX demonstriert wurde, ist hingegen eher eine nette Spielerei: Elektrophoretische e-Paper-Folien, wie man sie auch von E-Book-Readern kennt, sorgen dafür, dass das Auto blitzschnell seine Farbe ändern kann. Etwa von Schwarz auf Weiß, wenn die Sonne einmal besonders heftig vom Himmel strahlt. Die Karosserie ist dazu mit Millionen Mikrokapseln von der Stärke eines menschlichen Haares überzogen, in denen sich negativ aufgeladene weiße und positiv aufgeladene schwarze Pigmente befinden. Je nach gewählter Einstellung steigen durch einen elektrischen Impuls entweder die weißen oder die schwarzen Pigmente an der Oberfläche der Mikrokapseln und geben dem Auto den gewünschten Farbton. Komplett oder auch nur in Teilen.
Für mehr Diskussionsstoff sorgte allerdings der Auftritt von Sony – und der Prototyp eines neuen Elektro-SUV namens „Vision SO-2“. Bereit im Vorjahr hatte der japanische Elektronik-Konzern ein scheinbar schon sehr seriennahes Fahrzeug präsentiert. Alle Welt rätselt nun, wie ernst es Sony mit dem Einstieg in das Automobilgeschäft meint. Zumal Firmenchef Kenichiro Yoshida die Gründung einer neuen Mobilitäts-Tochterfirma namens „Sony Mobility“ ankündigte, die eine kommerzielle Markteinführung der beiden Fahrzeuge prüfen soll. Bislang war Sony im Automobilgeschäft lediglich als Zulieferer von Sound- und Kamerasystemen sowie Sensoren aktiv. Die Tatsache, dass schon am Vision SO-1 namhafte Autozulieferer wie Magna Steyr und Bosch mitarbeiteten, macht deutlich: Die beiden Autos sind mehr als nur Spielereien.
General Motors musste im vergangenen Jahr zwar die Position des Marktführers auf dem Heimatmarkt zwar an Toyota abtreten. Doch an der Wallstreet kletterte die Aktie des Traditionsunternehmens diese Woche einen neuen Höchstwert. GM-Chef Mary Barra hatte da gerade auf einer virtuellen Pressekonferenz auf der CES ihre neue Elektro-Strategie, neue Kooperationspartner und Kunden für einen neuen Elektro-Transporter vorgestellt, der noch in diesem Jahr auf den Markt kommen soll. Die neuen Lieferwagen vom Typ EV600 und EV410 werden von der GM-Tochter „Bright Drop“ vermarktet. FedEX hat bereits 500 Exemplare des Elektro-Transporters geordert, Walmart 5000 Exemplare für die eigene Flotte reserviert. Entwickelt wurden die Fahrzeuge, wie Barra verriet, in nur 20 Monaten – noch nie in der langen Geschichte des Konzerns sei ein neues Modell marktreif gemacht worden.
Stellantis holt Alexa an Bord
Die Kursentwicklung war also möglicherweise so etwas wie ein „Ultium-Effekt“ – Ultium heißt die neue Plattform, auf der GM in den kommenden Jahre eine Flotte neuer Stromer aufbauen will. Unter anderem den neuen Cadillac-SUV LYRIQ, den Pick-up Chevrolet Silverado EV und den kompakten E-SUV Chevrolet Equinox – alle mit Reichweiten von angeblich deutlich über 400 Kilometern. Ob eines der Modelle auch in Europa angeboten wird, steht allerdings noch nicht fest.
Auch die Stellantis-Gruppe meldete sich während der CES zu Wort – nicht auf dem Messe-Gelände, sondern in einer virtuellen Pressekonferenz. Anlass war die Präsentation der neuen Technologieplattform Citroën Skate sowie die Bekanntgabe einer engeren Zusammenarbeit mit Amazon: Wie Konzernchef Carlos Tavares während eines Live-Webcasts erklärte, wird der Konzern mit seinen 14 Marken- darunter Opel – Amazons Sprachassistentin Alexa in sein neues digitales Cockpit einbetten. Sorge um den Datenschutz, versicherte Tavares, brauche sich der Autofahrer nicht zu machen: Was das System aufzeichne und welche Informationen es in die Cloud schicke, werde der Fahrer selbst festlegen können.
Intelligentes Wohnmobil als Heimstatt
In einer weiteren Vereinbarung wird Amazon der erste Abnehmer des ersten Elektro-Lieferwagen des Stellantis-Konzerns für den US-Markt sein: Vom Ram ProMaster, der 2023 auf den Markt kommen soll, werde Amazon wolle jedes Jahr „Tausende“ Exemplare abnehmen, um seinen Lieferverkehr zu dekarbonisieren.
Das Ziel verfolgt auch der koreanische Elektronikkonzern und Batteriehersteller LG. Der Konzern präsentierte auf der Tech-Messe nicht nur eine neue Generation von smarten Waschmaschinen, Bakterien-tötenden Luftreinigern sowie Fernsehern, deren OLED-Bildschirm mit Künstlicher Intelligenz ausgesteuert wird. Für Aufsehen sorgte LG auch mit einem Konzeptfahrzeug namens „Omnipod“ – einem elektrisch angetriebenen und selbstfahrenden Luxus-Van. Der LG Omnipod, der in Kooperation mit Hyundai entwickelt wurde, soll eine Art Wohnmobil sein – voll mit Kühlschränken, ausziehbaren Möbeln und einem „Meta Environment“ genannten System hochauflösender Displays. Wer braucht da noch eine Wohnung?
Von Menschen, Robotern und Avataren
Der Blick von Hyundai selbst ging auf der CES noch viel weiter in die Zukunft: Die Koreaner, die kürzlich den Roboter-Hersteller Boston Dynamics übernommen haben, präsentierten auf der Messe Exoskeletette, einen vierbeinigen Roboter-Hund namens Spot, Service-Roboter, aber auch „Urban Air“-Transporter – autonom steuernde Flug-Taxen für Megacities.
Virtuelles Reisen durchs „Metaverse“
So man sich denn in Zukunft überhaupt noch aus den eigenen vier Wänden hinausbewegt. Die Notwendigkeit dafür könnte schwinden, wenn das „Metaverse“ Realität wird, das den Hyundai-Ingenieuren vorschwebt: Eine Welt gefüllt mit intelligenten und vernetzen Robotern und Avataren, die virtuelles Reisen selbst auf ferne Planeten ermöglichen und allen Menschen (oder deren Repräsentanten) eine unbegrenzte Bewegungsfreiheit zwischen virtuellem und realem Raum geben.
Hyundai sprach von „Metamobilität“ und einer fernen Zukunft – in Las Vegas wurde sie in diesem Jahr fast schon Realität.