Nach starken Minderungen beim Treibhausgasausstoß im vergangenen Jahr ist das Klimaziel für 2020 doch wieder in Reichweite. Die CO2-Emissionen gingen 2019 um mehr als 50 Mio. Tonnen zurück und liegen damit 35 Prozent unter dem Niveau von 1990, geht aus der Jahresauswertung der Politikberatung Agora Energiewende (PDF) hervor. Damit rücke das 2020er-Ziel einer Minderung um 40 Prozent „überraschend in greifbare Nähe“, heißt es in einer Mitteilung von Agora. Die Bundesregierung hatte das Klimaschutzziel für 2020 eigentlich bereits aufgegeben. Nun beträgt die Lücke zur Erreichung des 2020er-Ziels nur noch gut 65 Mio. Tonnen CO2, was mit Blick auf mögliche Abschaltungen von Kohlekraftwerken einen erreichbaren Wert darstellt.
Agora Energiewende betonte, dass der Rückgang alleinig auf das Konto des Stromsektors ginge: Während erneuerbare Energien ihren Anteil am Stromverbrauch auf 42,6 Prozent ausbauten, ging die Verstromung von Steinkohle (-31 %) und Braunkohle (-22 %) deutlich zurück. Insbesondere der gestiegene Preis für CO2-Zertifikate habe diese Verschiebung begünstigt, schreibt Agora. Fossile Kraftwerke hätten mangels Wettbewerbsfähigkeit an vielen Stunden des vergangenen Jahres ihre Stromproduktion reduziert. Den Fortschritten im Stromsektor stehen indes steigende Emissionen in den Sektoren Gebäude und Verkehr entgegen. So seien im vergangenen Jahr der Verbrauch von Erdgas, Heizöl, Benzin und Diesel gestiegen, hieß es weiter.
Aber auch im Stromsektor besteht aus Sicht von Agora kein Anlass zur Euphorie, denn die Energiewende starte mit einer „schweren Hypothek“ ins neue Jahrzehnt, so Direktor Patrick Graichen. Er verwies auf den stockenden Ausbau der Windenergie, der in den vergangenen zwei Jahren um mehr als 80 Prozent eingebrochen ist. Weil zudem die Ausschreibungsrunden 2019 nicht voll ausgeschöpft wurden, werde es auch in den Folgejahren „keine beeindruckenden Zubauzahlen“ geben. So erwarten die Politikberater für das neue Jahr einen Zubau bei Onshore-Windkraft von rund 1.000 MW.
Emissionen könnten wieder steigen
Graichen warnte gar davor, dass in den Jahren bis 2022 die Emissionen wieder ansteigen könnten, da insbesondere im Wärme- und Verkehrssektor weitere Ambitionen fehlten. Zugleich befürchtet Agora, dass Betreiber von Kohlekraftwerken vorerst auf Stilllegungen verzichten könnten, da sie im Zuge des Kohleausstiegs auf Entschädigungen spekulieren könnten. „Wir müssen mehr erneuerbare Energien zubauen, um den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 auszugleichen und auch genügend Strom für Elektroautos und Wärmepumpen zu erzeugen“, forderte der Agora-Direktor.
Die Zahlen von Agora riefen in der Großen Koalition ein geteiltes Echo hervor. Die CDU-Bundestagsfraktion sah darin insbesondere einen Beleg, dass der Emissionshandel funktioniere und der eingeschlagene Weg beim Klimaschutz der richtige sei. „Deutschland leistet beim Klimaschutz weit mehr, als manchen in ihr ideologisches Bild passen mag“, sagte etwa der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Georg Nüsslein. Die SPD-Fraktion sieht derweil „keinen Grund sich auszuruhen“. So forderte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dazu auf, „das Kohleausstiegsgesetz unverzüglich vorzulegen und einen verlässlichen Ausbaupfad für erneuerbare Energien gesetzlich zu verankern“.
Auch der Stadtwerkeverband VKU warnte die Bundesregierung davor, ihre Bemühungen beim Klimaschutz und insbesondere zur Umsetzung des Kohlekompromisses einzustellen. „Dafür, dass das Ergebnis der Kohlekommission seit fast einem Jahr auf dem Tisch liegt, hat die Bundesregierung bisher zu wenig geliefert“, kritisierte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Michael Wübbels.