Das Design des iVision Circular ist schon gewöhnungsbedürftig, oder?

Das gebe ich zu. Wir müssen doch auch optisch aufrütteln. Mein Albtraum ist, dass wir etwas Neues generieren – und niemand merkt es. Schritte nach vorne sollten auffallen. Wenn sich ein Einzelner aus einer Gruppe löst, dann fragen sich die anderen, was der denn so macht. Und möglicherweise folgt dann die Gruppe dem Einzelnen. Elvis Presley hat die Generation der Alten auch erst verschreckt – heute tanzt meine Oma nach seinen Liedern. Die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Musik hat sich komplett verändert.

„Schritte nach vorne sollten auffallen.“

Es braucht immer eine Avantgarde, die den Wandel einleitet.

Ohne die würde sich die Gesellschaft nie verändern.

Und wir haben ja noch bis 2040 Zeit, uns an die neue Ästhetik zu gewöhnen. Ich möchte noch einmal auf Herrn Ingenhoven zurück kommen: Sein Ideal ist das Produkt, das „für immer nutzbar“ ist. Der iVision scheint zumindest für eine lange Lebensdauer konzipiert – bestimmte Module lassen sich leicht austauschen.

Oder einfach auch nur neu programmieren. Bei dem Auto ist vieles anders als wir es heute machen würden. Facelifts etwa braucht es nicht mehr, weil viele Digitalinformationen updatefähig sind. Ein Facelift muss deshalb keine Geometrieänderung mehr bringen, die neue Werkzeuge erfordern und neue Ressourcen verbrauchen würden, auch jede Menge CO2 verbrennen. Stattdessen füllt man das Auto mit Digital-Updates mit neuen Inhalten. Nicht nur die Optik, sondern auch bestimmte Funktionalitäten werden darüber neu gestaltet. Die Modellzyklen von Autos liegen derzeit bei etwa sieben Jahren. Das muss man sich mal vorstellen: Man baut ein Auto im Wissen, dass es nach sieben Jahren schon zum alten Eisen zählt. Wäre es nicht sinnvoller, das Produkt in seiner Grundästhetik, in seiner Ikonographie zeitlos zu halten und langlebig zu gestalten, sie aber in anderen Bereichen deutlich einfacher updatefähig zu machen, damit sie auf einen Zeitgeist reagieren können. Das ist eigentlich die Grundphilosophie des iVision Cicular. 

Umweltschützer werden den Ansatz begrüßen. Bei Tesla werden diese Updates bereits regelmäßig aufgespielt.

Wir setzen da noch eins drauf, weil wir auch die Ästhetik digital updaten, regelmäßig auffrischen wollen – nicht nur die Betriebssoftware.

So wie es seinerzeit Nicolas Hayek für den Smart geplant hatte?

Der Ansatz war stark von der Swatch-Philosophie geprägt: Durch den Austausch von Armbändern und Zifferblättern ein Produkt zu aktualisieren. Aber damals ging es nicht um Nachhaltigkeit, sondern um das Geschäft. Für die Altteile gab es ja keine Verwendung. Wir haben uns bei dem Projekt immer gefragt, wo nach Abfall anfällt und wie wir den vermeiden oder anderweitig verwenden können.

„Wir müssen wieder näher zum Menschen zurück“
Entwicklung der Sitze für den BMW iVision Circular am Computer. Foto: BMW

Sie haben das Produkt schon vom Ende her gedacht?

Das war für uns das zentrale Thema: Was passiert mit einem Auto am Ende seines Lebens? Nach unserer Überzeugung sollte es leicht und sichtbar auseinanderbau- und komplett recycelbar sein. Es muss trotzdem stabil sein und nach Premium aussehen.

Und wie haben Sie das geschafft?

Indem wir auf Fügungen mit Klebern oder auch auf Verbundwerkstoffe komplett verzichtet haben. Denn die sind im Recycling ein absoluter Albtraum.

Statt dessen nutzen Sie Kordeln, Knöpfe und Schnellverschlüsse bei Sitzen, der Instrumententafel und auch bei den Felgen.

Das E-Auto ist nur der Anfang
Das Interview mit Kai Langer ist Teil der Titelgeschichte des EDISON-Magazins, das am Donnerstag, 9. Dezember, wieder zusammen mit der AutoBild erscheint.

Richtig. Wir haben uns angesehen, wie man früher solche Fragen handwerklich gelöst hat. Wir verwenden beispielsweise auf den Vordersitzen und der Rücksitzbank den gleichen Stoff, der aber unterschiedlich gewebt ist. Darüber erzielen wir ganz unterschiedliche, auch emotionale Wirkungen. Wir müssen wieder näher zum Menschen zurück. Der Tastsinn verliert im Zeitalter der Digitalisierung ja an Bedeutung, weil wir viele glatte Flächen haben. 

Die Beispiele zeigen: Der Designer darf sich nicht allein auf die schöne Form beschränken, sondern muss wesentlich früher und wesentlich stärker auch an Materialien und Produktionsverfahren denken.

Korrekt. Unser Job hat sich schon geändert. Die Ästhetik ist immer noch wichtig, aber der Designer muss sich heutzutage auch mit den Materialien auseinander setzen, mit Fügetechniken. Ich muss neue Werkzeuge suchen, neue Fähigkeiten erlernen, auch die Teams neu ausrichten.  

Ingenhoven sagte in jenem Interview, um die Schönheit einer Architektur mache er sich keine Gedanken – er führe die Diskussionen mit seinen Mitarbeitern allein über Inhalte. Wie sieht das bei Ihnen aus? Die Schönheit kommt zum Schluss?

Ha, schwere Frage.

Wie ist die Form des iVision Circular entstanden?

Aus der Ehrlichkeit, aus der Authentizität heraus. Es gab verschiedene Anforderungen, die man zuerst in das Gesamtkonzept integriert. Und dann schaut man, mit welcher Klammer man alle Themen verbindet. Die Klammer wäre in dem Fall das Design.

„Wirklich Neues entsteht nur außerhalb der Komfortzone.“

Also doch: Erst die Inhalte, dann die Form.

Wir hatten ein paar Parameter, die wir uns streng gesetzt hatten – zusammengefasst unter den Schlagworten RE:THINK, RE:DUCE, RE:USE und RE:CYCLE. Und RE:DUCE und RE:THINK war für uns Designer ganz wichtig: Wir bauen nicht mehr als nötig ans Exterieur dran, kein Schnickschnack, kein Schi-Schi. Dafür mussten wir auch ein RE:THINK machen, mussten also das Konzept neu denken. Wenn Sie so wollen, dann haben wir uns selbst das bequeme Sofa entzogen und haben die Arbeit im Stehen erledigt. Denn wirklich Neues entsteht nur außerhalb der Komfortzone. Und ja, noch eines haben wir beschlossen.

Was?

Dass wir die Ratio zwischen Innenraum und Verkehrsfläche nicht verlassen, dass wir also im Innenraum mehr bieten, als vom Fußabdruck zu erwarten wäre. Dann ist man sehr schnell von einem Mono-Volume, einem Fahrzeug, was die gesamte Verkehrsfläche nutzbar macht. Dann war auch klar, dass wir, um den Premiumanspruch und Sitzkomfort zu erhalten, die Passagiere auf der Rücksitzbank in so etwas wie eine „Theater“-Position bringen müssen.

Das heißt?

Dass sie etwas höher sitzen als die Menschen in der Reihe davor. Das macht Rolls-Royce auch so. Daraus ergibt sich eine Kopfglocke im hinteren Bereich und einen Bogen, der sich von vorne nach hinten spannt mit einem Schwerpunkt im hinteren Bereich über der hinteren Sitzbank. Dann war es uns aber auch wichtig, dass das Fahrzeug eine BMW-typische Dynamik ausdrückt – nicht die klassische BMW-Dynamik, sondern eine neue Dynamik unter den vorgenannten Prämissen.

Die BMW-typische Niere hat sich dabei über die gesamte Fahrzeugfront ausgebreitet.

Die hat sich in zwei digitale Anzeigenflächen integriert.

Noch einmal einen Schritt zurück: RE:THINK kam vor RE:DUCE?

Das hat sich oft abgewechselt. RE:DUCE ist ein großer Bestandteil der Nachhaltigkeits-Thematik – also nur zu nutzen, was man tatsächlich braucht. Darüber kommt man schnell zu RE:THINK, einer neuen Herangehensweise, einer neuen Perspektive. Das waren die beiden wichtigsten Themen für uns. RE:USE und RE:CYCLE waren eher technische Themen, so etwas wie der Hygienefaktor.

„Öko ist kein Premiumaspekt“
Wie die Welt 2040 aussehen wird, weiß niemand. Der BMW iVision Cicular versucht trotzdem die Welt von morgen zu denken.

Haben Sie schon ein Gefühl, wie sich die neue Methodik, auch die neuen Materialien auf das Preisniveau auswirken werden? Steigen die Autopreise – und wird das Fahrzeug darüber erschwinglicher?

Ich bin kein Betriebswirt. Aber sicher wird das eine oder andere Material teurer sein. Auf der anderen Seite werden aber auch Einsparungen erzielt werden. Etwa durch den Einsatz von 3-D-Druckern. Sie erlauben es, nur das zu produzieren, was man braucht. Es gibt keinen Verschnitt, auch keinen Abfall. Deshalb ist der Energieeinsatz dort auch sehr effizient. Und stellen Sie sich mal vor, was es bedeuten würde, wenn man nicht mehr Teile in rauhen Mengen um die Welt schippern müsste, sondern nur noch eine Datei verschicken und die Teile in der exakt benötigten Menge lokal ausdrucken könnte. Das hätte nicht nur einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck zur Folge, sondern auch sicher deutlich niedrigere Kosten. Diese Veränderungen werden sicher noch bis 2040 brauchen, um in der Industrie umgesetzt zu werden. Also: Wenn wir konsequent daran arbeiten, die Nachhaltigkeit der Produkte zu verbessern, werden wir heutige Preisstrukturen beibehalten können, in einigen Bereichen vielleicht sogar noch günstiger werden können.    

Aber die Premiumpositionierung von BMW bleibt?

Öko ist kein Premiumaspekt, sondern ist grundsätzlicher Bestandteil unseres Premium- und Luxusangebots der Zukunft. Mit dem i3 haben wir seinerzeit Elektromobilität gepredigt. Das müssen wir heute nicht mehr tun – die Leute haben es kapiert. Die Nachhaltigkeitsaspekte implementieren wir jetzt auf breiter Front. Auch um der Welt zu zeigen, dass Nachhaltigkeit keinen Verzicht bedeutet, sondern einen echten Mehrwert bringt. Man kann auch Spaß damit haben.

Auch als privater Käufer? Oder ist der iVision Circular ein Fahrzeug für Sharing-Dienste?

Nein, das ist ganz klar ein Auto für Selbstfahrer und Fahrzeugbesitzer. Andere Mobilitätskonzepte haben wir natürlich auch auf dem Schirm. Mit dem Urban Street haben wir schon gezeigt, wie das aussehen könnte. Aber der iVision ist dafür nicht konzipiert.    

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1 Kommentar

  1. FreemanT

    Den Weckruf hat aber bei BMW so mancher nicht gehört. Ich sag nur iXxx 7/8/9.Bald kann man einen BMW mit LKW Zulassung fahren, spart man wenigstens die KFZ Steuer… ach ja die gibts ja bei Elektro noch nicht mehr.
    Aber echt mal wieso müssen es immer solche Monsterfahrzeuge sein. Nur um die Gewinnspanne für Klatten und Co. zu optimieren?

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