Bereits Ende letzten Jahres hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den „European Green Deal“ vorgestellt. Als Herzstück dieses Klimaschutzpakets rief sie das Ziel aus, die Europäische Union bis 2050 klimaneutral zu machen. Zu den zahlreichen Maßnahmen, die dafür nötig sind, gehört es auch, Gebäude energie- und ressourceneffizienter zu machen. Schließlich entfallen nach EU-Angaben rund 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs der Union auf Gebäude und somit auch 36 Prozent der durch Energieverbrauch verursachten Treibhausgase. Im Zuge dessen hat die EU-Kommission am 14. Oktober ein Strategiepapier veröffentlicht, das eine sogenannte „Renovierungswelle“ auslösen soll.
Zahl der Renovierungen verdoppeln
Die Idee dahinter: Während bei Neubauten heute von vorneherein auf eine möglichst hohe Umweltverträglichkeit geachtet wird, hinken ältere Bestandsgebäude meist hinterher. So sei bei Neubauten der Energie- verbrauch nur halb so hoch wie bei Gebäuden von vor 20 Jahren, teilt die Kommission mit. Jedoch seien 85 Prozent aller momentan existierenden Gebäude älter als 20 Jahre. Insofern könne man eine Optimierung der Gebäudeeffizienz in Europa nur durch eine umfangreiche Renovierung der Altbauten erreichen.
Deshalb lautet der Vorsatz der Kommission fortan, in den kommenden 10 Jahren die Renovierungsquote privater und öffentlicher Gebäude in allen Mitgliedsstaaten mindestens zu verdoppeln. Bislang werde nur etwa ein Prozent des Gebäudebestands jedes Jahr durch Renovierungen energie-effizienter. Bis 2030 sollen durch die angestrebte „Renovierungswelle“ sukzessive 35 Millionen Gebäude in Europa renoviert werden.
Eckpunkte zur Förderung von Renovierungen
Natürlich braucht es Anreize und Hilfen, um dieses umfangreiche Vorhaben zu verwirklichen. Deshalb sieht die EU-Kommission Maßnahmen vor, um bisherige Renovierungshindernisse zu beseitigen und private sowie öffentliche Besitzer zum Handeln zu bewegen. Dazu gehören:
Einführung von Mindestnormen bei der Energieeffizienz von Gebäuden;
Finanzielle Unterstützung, etwa durch Mittel aus dem Programm NextGenerationEU;
Technisches Know-how bei nationalen und lokalen Behörden stärken;
Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden fördern;
Markt für nachhaltige Werkstoffe und Bauprozesse stimulieren.
Wertschöpfungskette im Bausektor erzeugen
Der wirtschaftliche Nutzen der Renovierungsoffensive steht für die EU-Kommission ebenso im Zentrum wie ein möglichst hoher Vorteil für die Bevölkerung. Auf ökonomischer Seite soll eine Art Wertschöpfungskette entstehen. Wenn der Plan der Kommission aufgeht, schaffen die Renovierungsaktionen viele zusätzliche Arbeitsplätze (bis zu 160.000 sind vorgesehen) und sorgen für Investitionen im Bausektor, was wiederum die lokalen Lieferketten stärkt und die Nachfrage nach energieeffizienten Geräten, Werkstoffen und Baulösungen erhöht. Durch deren häufigere Nutzung nimmt die Ressourceneffizienz der älteren Gebäude zu und der Wert dieser Immobilien steigt.
Energiearmut bekämpfen
Doch damit ist die Theorie der Kommission noch nicht vollständig. Während durch die Renovierung öffentlicher Gebäude mehr klimaneutrale Arbeitsplätze in ebendiesen geschaffen werden sollen, ist im Privatbereich die Bekämpfung der „Energiearmut“ in Europa ein Beweggrund für die Renovierungswelle: „In Europa sollen Beleuchtung, Heizung oder Kühlung der eigenen vier Wände kein Luxus sein, der verheerende Folgen für die Finanzen oder den Planeten hat“, sagt dazu Klimaschutz-Kommissar Frans Timmermans.
Laut EU können sich derzeit rund 34 Millionen Europäer kein Heizen ihrer Wohnungen leisten. Doch auch beim Stromverbrauch sind viele Verbraucher darauf angewiesen, ihre jährlichen Kosten durch diverse Maßnahmen möglichst gering zu halten. Dank einer effizienteren Energienutzung im Zuge der Renovierungen erhofft sich die Kommission eine überschaubarere Energierechnung für die armutsgefährdeten Menschen in der Union.
Neue Baukonzepte für mehr Energieeffizienz
Nicht zuletzt soll die Renovierungswelle zudem eine teilweise Veränderung der Stadtbilder in der Europäischen Union mit sich bringen. Dabei spricht die Kommission einerseits von „stadtteilbezogenen Konzepten“, die lokalen Gemeinschaften die Nutzung erneuerbarer Energien erleichtern und ein bezahlbares Wohnen ermöglichen sollen. Offenbar ist geplant, dass Bewohner ihre Energie selbst alternativ erzeugen und sogar einen Teil davon dem öffentlichen Netz entgeltlich zur Verfügung stellen.
Andererseits setzt die Kommission auf ein regelrechtes Prestige-Projekt, um die Zukunft des Bauens attraktiver zu machen: In einem interdisziplinären Vorhaben soll, in Anlehnung an den praktischen Bauhaus-Stil der 1920er Jahre, ein neues europäisches Bauhaus entwickelt werden. Wissenschaftler, Architekten, Künstler und Bürger würden demnach gemeinsam in einen Gestaltungsprozess eintreten, der im Jahr 2022 in fünf prototypische Gründungsbauhäuser in verschiedenen EU-Staaten münden soll. Energieeffizienz und modernes Design würden durch dieses Leuchtturmprojekt zusammengeführt.
Praxistauglichkeit der Maßnahmen fraglich
So weit steht die Theorie der EU-Kommission. Ob die Vorhaben aus Brüssel allerdings auch in der regionalen Praxis derart leicht umsetzbar sind wie es zunächst den Anschein erweckt, steht auf einem anderen Blatt. Entsprechend fallen die öffentlichen Reaktionen geteilt aus.
So ist beispielsweise vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zu vernehmen, dass die Renovierungswelle grundsätzlich erst einmal „vernünftig“ sei, da sie dem lokalen Baugewerbe als „Konjunkturmotor“ dienen könne. Allerdings müsse die EU-Kommission die angekündigten Finanzhilfen „praktikabel und unbürokratisch“ ausrichten und die Bundesregierung diese auch erst einmal abrufen. Zudem sei fraglich, ob der Impuls für die Einhaltung der Klimaziele wirklich ausreiche.
Der Eigentümerverband Haus & Grund rügt den Vorstoß der EU dagegen als „unbezahlbaren Irrweg“. Die Renovierungswelle würde die Wohnkosten „massiv in die Höhe treiben“ und die finanziellen Möglichkeiten der Eigentümer nicht berücksichtigen. Die Deutsche Umwelthilfe begrüßt die Pläne erwartungsgemäß und mahnt zugleich die Bundesregierung, die Maßnahmen auch umzusetzen, da gerade Deutschland dringenden Nachholbedarf bei der Energieeffizienz von Gebäuden habe.
Corona legt neuen Fokus auf Gebäude
Die EU-Kommission betont bei der Vorstellung ihrer Renovierungswelle indes auch noch einmal, wie sehr sich der Blick auf unsere Gebäude durch die Corona-Pandemie in den vergangenen Monaten gewandelt habe. Da sich das alltägliche Leben viel mehr im eigenen Heim abgespielt hat, seien die Privathäuser mitsamt ihrer energetischen Schwachstellen mehr ins Bewusstsein der Menschen gerückt. „Der grüne Aufschwung beginnt bei uns allen zuhause“, betont die EU-Kommissarin für Energie, Kadri Simson.
Zugleich nimmt die EU aber auch öffentliche Gebäude wie Krankenhäuser, Schulen oder Verwaltungsgebäude in den Fokus. Bis 2030 sollen die Gesamtemissionen in der Europäischen Union bereits um 55 Prozent gemindert sein. Das bedeutet, bis dahin die Gebäudeemissionen kollektiv um 60 Prozent senken zu müssen. Zudem soll der Energieverbrauch um 14 Prozent und jener für Heizung und Kühlung um 18 Prozent reduziert werden.
Sanierungsförderung in Deutschland
Hierzulande stellt bereits seit Langem die staatliche Förderbank KfW Investitionszuschüsse und vergünstigte Kredite für die energetische Sanierung von Gebäuden bereit. Erst zu Beginn dieses Jahres wurden die entsprechenden Förderbeträge durch das Klimapaket der Bundesregierung erhöht. Davon können Privatpersonen, Unternehmen und Kommunen profitieren. Die Höhe der Förderung richtet sich dabei nach der Einhaltung sogenannter Effizienzhaus-Standards, welche die KfW selbst festgelegt hat. Der Schwerpunkt liegt auf einer Verminderung des Heizens durch gezielte Wärmedämmung. Um die staatlichen Förderungen zu erhalten, muss stets ein Sachverständiger die Sanierungsmaßnahmen begleiten und ihre Förderungswürdigkeit bestätigen.
Zusätzlich zu den bundesweit geltenden KfW-Programmen bieten allerdings auch die Bundesländer und einige Kommunen Unterstützung bei der energetischen Haussanierung an. Diese lässt sich in vielen Fällen mit den KfW-Förderungen kombinieren. Abseits solcher Zuschüsse können zumindest Privatbesitzer die ökologischen Sanierungsmaßnahmen an ihren Gebäuden alternativ auch steuerlich geltend machen.
Seit Anfang 2020 kann mit bis zu 20 Prozent Steuererlass über einen Zeitraum von drei Jahren gerechnet werden. Bei einer fachlichen energetischen Bauplanung und Begleitung lassen sich sogar bis zu 50 Prozent der Kosten steuerlich absetzen. Geht den Sanierungsmaßnahmen bei Wohngebäuden eine umfassende Energieberatung voraus, übernimmt das Bundesministerium für Wirtschaft 80 Prozent der Kosten. Ebenfalls seit Jahresbeginn gilt eine Austauschprämie für alte Ölheizungen, die beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle beantragt werden kann.
Gebäudeenergiegesetz in Planung
Während die Konzeption der EU-Renovierungswelle einheitliche Mindeststandards für die Energieeffizienz von Gebäuden bislang nur als Vorhaben andeutet, ist die Bundesregierung schon weiter. Eine Gebäudeenergiegesetz ist bereits ausgearbeitet, abgestimmt und wird Anfang November in Kraft treten. Es regelt die Anforderungen an Neubauten, Bestandsgebäude und an den Einsatz erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteversorgung von Gebäuden. Bisherige Einzelregelungen sollen dadurch zusammengeführt und angeglichen werden.