Fußmatten aus gesammeltem Meeres-Plastikmüll? Türverkleidungen aus alten PET-Flaschen? Oder am besten sogar plastikfrei: 100 Prozent pflanzenbasiertes Material aus Industriehanf? Gute Ideen! Solche und weitere innovative Stoffe entwickelt das StartUp-Unternehmen Revoltech aus Darmstadt in Kooperation mit diversen Auto-Herstellern wie Volkswagen, Kia & Co. für Autos der Zukunft. Und zwar nicht nur mit Liebe zum Detail und für die Umwelt, sondern auch mit „LOVR“: Der Name ist ein Akronym für „lederähnlich, ohne Erdöl, vegan und reststoffbasiert“. 

Ziel ist dabei die Erforschung und Entwicklung nachhaltiger Materialien auf Basis von Industriehanf als veganer Alternative zu Leder oder auch Kunst-Leder, das meist viel Microplastik enthält: „Das aus 100 Prozent biobasiertem Hanf gewonnene Material nutzt Reststoffe der regionalen Hanfindustrie, die ansonsten keine Verwendung mehr finden würden. Es kann auf bereits bestehenden Industrieanlagen gefertigt und nach seinem Einsatz im Fahrzeug am Ende recycelt oder kompostiert werden“, erklärt Lucas Fuhrmann, CEO und Co-Founder der Revoltech GmbH aus Darmstadt.

Neues aus der Hexenküche 
Revoltech-Co-Gründer Montgomery Wagner im Labor der TU Darmstadt, wo die neuen Stoffe entwickelt werden. Foto: Jan Schölzel
Neues aus der Hexenküche
Revoltech-Co-Gründer Montgomery Wagner im Labor der TU Darmstadt, wo die neuen Stoffe entwickelt werden. Foto: Jan Schölzel

Doch nicht nur im Automotive-Bereich, auch in der Modewelt gilt es, vegane Alternativen zu Leder zu generieren. Hier arbeitet Revoltech eng mit der bekannten Designerin Melina Bucher zusammen, die sich intensiv mit den ökologischen und ethischen Herausforderungen der konventionellen Lederproduktion auseinandergesetzt hat.

„Zusätzlich zur ethischen Problematik der Tierhaltung“ erklärt die Designerin, „verursacht die Lederproduktion auch in ökologischer Hinsicht enorme Folgeschäden: Neben hohen CO₂-Emissionen werden für die Lederproduktion auch große Mengen Wasser benötigt – oft unter fragwürdigen Bedingungen – und nach wie vor schädliche Chemikalien – Stichwort Chromgerbung – eingesetzt.“ All dies führe zu Umweltbelastungen und einem enormen Ressourcenverbrauch. Bucher will diese problematischen Auswirkungen der konventionellen Lederproduktion nicht mehr hinnehmen.

LOVR für Kreislaufwirtschaft entwickelt

Und exakt hier setzt die Idee von Revoltech an mit LOVR als regenerativem, plastikfreien Material. Das StartUp hat damit bereits zahlreiche Auszeichnungen gewonnen wie den German Design Award 2025, den Techtextil Innovation Award 2024, Green Product Award 2024 und – bereits im Gründungsjahr der Firma – den Hessischen Gründerpreis 2021. Der CO2-Fußabruck von LOVR beträgt gerade einmal 0,51 Kilogramm pro Quadratmeter Fläche – der von tierischem Leder ist mit 12-30 kg/m³ (je nach Verarbeitsprozess) 20- bis 60-mal so groß. Für Revoltech-CEO Lukas Fuhrmann ist das ein klarer Beweis: „Circular Materials sind keine Option mehr – sie sind notwendig.“ LOVR belaste das Klima nur minimal, enthalte keine toxischen Chemikalien und reduziere obendrein den Ressourcenverbrauch. Fuhrmann: „LOVR ist von Anfang an für die Kreislaufwirtschaft entwickelt – mit einer klaren End-of-Life-Strategie.“

Apfel, Kaktus, Ananas 
Pflanzenbasierte Leder sind beschichtete Textilien, bei denen Früchte, Blätter oder andere pflanzliche Bestandteile zusammen mit Stabilisatoren so bearbeitet sind, dass das Material am Ende gleiche Eigenschaften wie tierisches Leder aufweist. Foto: Melina Bucher
Apfel, Kaktus, Ananas
Pflanzenbasierte Leder sind beschichtete Textilien, bei denen Früchte, Blätter oder andere pflanzliche Bestandteile zusammen mit Stabilisatoren so bearbeitet sind, dass das Material am Ende gleiche Eigenschaften wie tierisches Leder aufweist. Foto: Melina Bucher

Diese und weitere Leder-Substitute könnten perspektivisch ab 2028 als nachhaltiges Oberflächenmaterial in ersten VW-Modellen zum Einsatz kommen. Doch wie werden diese Materialien konkret entwickelt und getestet?

Dazu durften wir einen Blick hinter die Kulissen des Future Materials Labder Volkswagen Forschung und Entwicklung werfen: Überall liegen Stoffproben bereit zum Ansehen, Betasten, Riechen, Fühlen und Kratzen – all das probieren, was die Stoffe im Innenraum eines Autos so aushalten müssen. Die professionelle Erprobung der Kratzfestigkeit und Abriebbeständigkeit übernimmt dabei ein kollaborativer Roboter, der stundenlang unermüdlich mit definiertem Druck über die Stoffmuster kratzt und reibt.

Eine Frage der Komposition

Doch neben der Material-Beschaffenheit kommt es auch auf die Material-Komposition für die Bauteile in den Fahrzeugen an, erklärt uns Thomas Taddigs, Leiter Werkstofftechnik Interieur in der Technischen Entwicklung der Volkswagen AG: „Neben der Vermeidung oder Minimierung des Ressourcenverbrauchs ist auch das Recycling ein wichtiger Baustein beim Thema Nachhaltigkeit. Denn nur, wenn verschiedene Materialien auch leicht trennbar sind, können sie recycelt und weiter genutzt werden“.

Frugale Nachhaltigkeit 
Im Future Material Lab von Volkswagen in Wolfsburg werden Materialien für die Auskleidung von Fahrzeugen entwickelt, die nicht nur gut aussehen, sondern auch das Klima nur geringfügig belasten und vollständig recycelbar sind. Foto: VW
Frugale Nachhaltigkeit
Im Future Material Lab von Volkswagen in Wolfsburg werden Materialien für die Auskleidung von Fahrzeugen entwickelt, die nicht nur gut aussehen, sondern auch das Klima nur geringfügig belasten und vollständig recycelbar sind. Foto: VW

„Deshalb müssen wir schon bei der Entwicklung der Bauteile eine einfache Trennung in sortenreine Materialien mitdenken“, ergänzt Timo Achtelik, Doktorand zum Thema „Frugale Nachhaltigkeit“. Frugal? Das ist auch für uns ein Fremdwort und wir fragen nach: Es bedeutet „einfach, bescheiden, nicht üppig“ in Bezug auf die Lebensweise oder Essen und Trinken. Ein interessanter Ansatz – nicht nur, aber auch – für Volkswagen. Achtelik führt weiter aus: „Der Ansatz lautet: Was braucht man wirklich? Und vor allem: Was ist verzichtbar?“

Zweite Karriere für den Joghurtbecher

Deshalb hat das Future Materials Lab in Kooperation mit Entwicklungspartner Revoltech schon frühzeitig Kundenbefragungen gestartet wie beispielsweise im Rahmen der IAA Mobility 2023. „Seit Sommer 2024 läuft darüber hinaus eine Ausstellung in der Autostadt Wolfsburg, wo die Besucher ihre Lieblings-Designs auswählen können“, verrät Taddigs.

Wir waren mal Blaumänner 
Aus verschlissener Arbeitskleidung von VW-Mitarbeitern wird im "Future Material Lab" neues Garn für Sitzbezüge gewonnen. Foto: VW
Wir waren mal Blaumänner
Aus verschlissener Arbeitskleidung von VW-Mitarbeitern wird im „Future Material Lab“ neues Garn für Sitzbezüge gewonnen. Foto: VW

Und welche Ideen favorisierten die IAA-Besucher? Platz drei belegt die sortenreine Fußmatte aus recyceltem Polyester, bei der die verklebte Plastikumrandung durch enger gewebtes, sortenreines Material ersetzt wurde. Platz zwei schafften die Sitzbezüge aus recycelten Blaumännern. Und Platz eins hat ein Stoff geschafft, der sich fast wie Leder anfasst und ebenso flexibel verarbeitbar ist, den Taddigs als „lederähnlich, ölfrei, vegan und auf Reststoffen aus der industriellen Hanfernte basierend“ umschreibt: LOVR. Oder wie es der Werkstofftechnikleiter Interieur auf den Punkt bringt: „Bei uns macht der Joghurtbecher aus dem Gelben Sack noch Karriere als Bestandteil der Mittelkonsole“.

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