Mit PS-Bolzerei und scharfen Formen ist es beim Kampf um die potenziellen Kunden längst nicht mehr getan. Besonders die Sportwagenhersteller müssen einen schwierigen Spagat hinlegen, um nicht ins Abseits zu geraten. Bestes Beispiel ist Lamborghini. Es ist noch nicht lange her, da drehte sich beim Sportwagenbauer aus Santa Agata beinahe alles um brüllende Verbrenner mit zehn oder zwölf Zylindern, martialisches Design und Bestwerte bei Tempo oder Beschleunigung. Aktuell entwickelt der Sportwagenbauer aus der Nähe von Bologna sein erstes Elektromodell namens Lanzador. Und dieser Elektro-SUV soll mehr bieten, als cooles Design und 1.000 Kilowatt.

Lamborghini mit Teilen aus zweiter Hand

In seinem Innenraum bietet der Elektrocrossover vier Einzelsitze, wegklappende Bildschirme und eine puristische Bedienung. Vor allem aber eine Vielzahl wiederverwendeter oder wiederverwendbarer Materialien. Armaturenbrett, Sitze und Türverkleidungen bestehen aus edler Merinowolle, während der farbige Faden aus recyceltem Nylon stammt. Die meisten unsichtbare Kunststoffe, wie der Schaumstoff der Sportsitze, sind aus 3D-gedruckten recycelten Fasern hergestellt. Auch die Karbonfasern, die für die Mittelkonsole und die Türverkleidungen verwendet werden, kommen aus zweiter Hand. Der neue zweischichtigen Verbundwerkstoff wurde wiederaufbereitet. Entwicklungschef Rouven Mohr bestätigt, dass derartige Materialien auch ihren Weg ins spätere Serienmodell finden werden.

Zweite Heimat 
Lanzdador heißt das erste Elektroautos von Lamborghini. Auch bei der Auskleidung des Innenraums hatte das Thema Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert: Bei vielen Teile kommen Recyclingmaterialien zum Einsatz. Foto: Lamborghin
Zweite Heimat
Lanzdador heißt das erste Elektroautos von Lamborghini. Auch bei der Auskleidung des Innenraums hatte das Thema Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert: Bei vielen Teile kommen Recyclingmaterialien zum Einsatz. Foto: Lamborghini

Bei aller Nachhaltigkeit setzt Lamborghini ebenso wie die meisten Premiummarken auch weiterhin auf edles Rindsleder. Dieses ist allerdings nachhaltig gegerbt. Das Wasser dafür stammt aus der Olivenölproduktion. Wegen seines hohen Säuregehalts und seiner antimikrobiellen und phytotoxischen Wirkung muss dieses in Kläranlagen behandelt werden. Dieses Restwasser kann aber auch von Chemikalienherstellern für die Produktion von Gerbstoffen wiederverwendet werden. Weitere Ressourcen werden zudem durch ein neu entwickeltes 3D-Druckverfahren für Kunststoffe geschont, aus dem unter anderem die Sitzschäume gefertigt wurden. Das Material für das sogenannte „Fused Deposition Modelling“-Druckverfahren stammt aus recycelten Abfällen wie gebrauchten Plastikflaschen. Und nach seiner Nutzungsdauer kann es leicht erneut recycelt werden.

Ferrari setzt auf Alcantara

Auch der direkte Wettbewerber Ferrari muss sich zumindest im Kleinen auf ungewohntem Terrain neu erfinden. Die Innenausstattung des Nobel-SUV Purosangue ist nachhaltiger denn je. Denn ab Werk sind die Sitze und andere Teile des Innenraums erstmals nicht mit Lederhäuter, sondern mit einer neuen Variante der Kunstfaser Alcantara bezogen, die in Sachen Nachhaltigkeit neue Maßstäbe setzt: Es ist zu 68 Prozent recycelt.

Ferrari Purosangue 
Der Sportwagen wird weiterhin von einem klimaschädlichen Zwölfzylinder angetrieben. Aber durch die Auskleidung des Innenraums mit Alcantara versuchen die Italiener immerhin den CO2-Fußabdruck des Autos zu verkleinern. Foto: Ferrari
Ferrari Purosangue
Der Sportwagen wird weiterhin von einem klimaschädlichen Zwölfzylinder angetrieben. Aber durch die Auskleidung des Innenraums mit Alcantara versuchen die Italiener immerhin den CO2-Fußabdruck des Autos zu verkleinern. Foto: Ferrari

„Der Bezug mit Alcantara hat Vorteile, die gerade für sportliche Fahrzeuge wichtig sind“, erläutert Alcantara-Vertriebsleiter Marco Scuotto. „Das Material ist nicht nur nachhaltig, sondern spart im Vergleich zu Leder rund die Hälfte des Gewichtes und lässt sich leicht reinigen.“ Das neue Material wurde mit einem Nachhaltigkeitssiegel nach dem Recycled Claim Standard zertifiziert, was die einzelnen Komponenten von der Quelle bis zum Endprodukt verfolgt. Überhaupt ist der Purosangue der nachhaltigste Ferrari, den es je gab. 85 Prozent der Ausstattungselemente wurden nachhaltig produziert. So besteht der Dachhimmel zum Beispiel aus recyceltem Polyester oder die Teppiche aus Polyamid, das aus Fischernetzen recycelt wurde.

Porsche wählt Leder sorgsam aus

Porsche hingegen setzt bei der Auskleidung des Innenraum seiner Sportwagen weiterhin auf Rinderhäute. „Leder ist für die Porsche Kunden ein Qualitätsmerkmal“, weiß Barbara Frenkel, die bei Porsche die Beschaffung leitet. Das Unternehmen wähle aber inzwischen das Material sehr sorgfältig aus und schaue sich bei den Zulieferern die Produktion an. Anfang 2022 hat Porsche ein materialspezifisches Lastenheft für Leder erstellt, das alle Zulieferer seither einhalten müssen. Unter anderem muss das Herkunftsland der Rohware offengelegt werden und die Firmen maximales Tierwohl sowie eine verantwortungsvolle Lederproduktion garantieren. „Mit der Rückverfolgbarkeit der Lieferketten können Unternehmen sicherstellen, dass sie Leder auf verantwortungsvolle Weise beschaffen. Das steht im Kern unserer Bemühungen“, sagt Christina Trautmann, Leiterin der Leather Working Group.

Volle Kontrolle
Porsche-Käufer wollen auf Lederbezüge bislang nicht verzichten. Der Sportwagenbauer achtet aber darauf, woher das Material kommt und dass das Leder umweltverträglich gegerbt wurde. Foto: Porsche
Volle Kontrolle
Porsche-Käufer wollen auf Lederbezüge bislang nicht verzichten. Der Sportwagenbauer achtet aber darauf, woher das Material kommt und dass das Leder umweltverträglich gegerbt wurde. Foto: Porsche

BMW hat ein großes Ziel und das lautet „Neue Klasse“, auf der in den Jahren 2025 bis 2027 insgesamt sechs neue Elektromodelle anrollen. Beim kommenden neuen i3 als erstem Modell der Familie wird beispielsweise das Armaturenbrett mit einem nachhaltigen Cordstoff bezogen sein. BMW will bei seiner nächsten Fahrzeuggeneration den Anteil von Sekundärrohstoffen deutlich erhöhen und auch mit einer geringeren Materialvielfalt die Recyclingmöglichkeiten verbessern.

Mercedes experimentiert mit Papier

Ein ähnliches Konzept fährt Mercedes mit der seriennahen Studie des CLA Concept. Bei dem Elektroauto, das Ende 2024 zum Kunden kommt, sind die Karosserie und viele Teile des Fahrwerks aus CO2-freiem Stahl und CO2-reduziertem Aluminium gefertigt. Im Innenraum glänzt das neue Einstiegsmodell auf der MMA-Plattform unter anderem mit nachhaltigen Lederbezügen und Zierelementen aus Papier. Viele der Komponenten wurden beim Mercedes-Konzeptauto EQXX ausprobiert. „Ich bin mir sicher, dass wir mit unserer MMA-Plattform unseren Kunden in diesem Marktsegment eine klassendefinierende Kombination aus Leistung, Nachhaltigkeit, Sicherheit und Komfort gepaart mit einem herausragenden digitalen Erlebnis bieten können“, sagt Mercedes-Entwicklungsvorstand Markus Schäfer.

Veganer Innenraum 
Im vollelektrischen Cupra Born finden sich längst keine Bezüge aus Leder mehr. Dafür jede Menge edler Ersatzstoffe aus Kunststofffasern oder Recyclingmaterialien. Foto: Seat
Veganer Innenraum
Im vollelektrischen Cupra Born finden sich längst keine Bezüge aus Leder mehr. Dafür jede Menge edler Ersatzstoffe aus Kunststofffasern oder Recyclingmaterialien. Foto: Seat

Bekannte Materialien wie Aluminium, Kunststoff oder Karbon werden allerdings nicht nur in der Luxusklasse durch Naturstoffe ersetzt. Auch Volumenhersteller wie die Volkswagen-Tochter springen auf den Zug. „Wir wollten uns von den in der Automobilindustrie typischerweise verwendeten Materialien lösen“, erklärt Francesca Sangalli, die bei Seat – und der sportlichen Schwestermarke Cupra – für Color, Trim und Concept verantwortlich ist. „Wir experimentieren mit natürlichen Materialien, die in der Automobilindustrie normalerweise nicht verwendet werden.“

Seat-Produktion ohne Abfälle

Neben Leder als dem natürlichsten aller Innenraummaterialien spielen je nach Fahrzeugsegment auch Recyclate eine zunehmend große Rolle. Einige Hersteller setzen auf Kunstleder, andere haben eine 3D-Flachstricktechnologie eingeführt, bei der die Stoffe komplett nach Maß gefertigt werden. Um Abfälle zu vermeiden, geht man bisweilen noch einen Schritt weiter. „Dank der additiven Fertigung können wir die Architektur des Designs von einer anderen Perspektive betrachten. Es handelt sich nicht nur um ein neues, leichtes Material. Es fallen auch keine Abfälle an und wir können Grafiken innerhalb des Materials selbst erstellen, was zu einem einzigartigen Ergebnis führt“, erläutert Sangalli.

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