In Ingolstadt drückt trübes Novemberwetter aufs Gemüt. Doch mehr noch verhagelt die erschreckende Bilanz des größten Arbeitgebers der Region die Stimmung. Das Betriebsergebnis der Vorzeigemarke Audi brach gegenüber dem Vorjahr um 91 Prozent ein, der Gewinn nach Steuern um 47 Prozent, nicht zuletzt in Folge von Rückstellungen für die anstehende Werkschließung in Brüssel. Die Gründe sind komplex, branchenweit teilweise vergleichbar. Audi macht mangelnde Profitabilität zu schaffen. Sie ist nicht nur Folge politischer Fehlentscheidungen, die den Standort Deutschland zum weltweit teuersten gekrönt haben, sondern basiert auch auf markenspezifischen Fehlentscheidungen angesichts des internationalen automobilen Trends zur E-Mobilität.
So sieht sich der Audi-Vorstand aktuell mit schleppender Nachfrage nach Premium-Benzinfahrzeugen konfrontiert sowie dem mageren Interesse an teuren batterie-elektrischen Fahrzeugen. Vor allem dort, wo bisher satte Gewinne erwirtschaftet wurden: in China. In Folge verkauft Audi weltweit elf Prozent weniger Autos als im Vorjahr, insbesondere die teuren e-tron Elektrofahrzeuge stehen wie Blei. Derweil verbreitet Audi-Vorstandsvorsitzender Gernot Döllner am anderen Ende der Welt gute Stimmung.
Auf der riesigen Autoshow in Guangzhou, einer der wichtigsten Verkaufsmessen Chinas, hat Döllner dieser Tage nicht weniger als eine neue Submarke ins Leben gerufen – die rein chinesische Marke AUDI mit neuem Schriftbild und in Versalien, doch ohne die vier markentypischen Ringe. Sie soll eine beispiellose Produktoffensive im Schlüsselmarkt China einläuten. Mit batterie-elektrischen Fahrzeugen für junge, Technik affine Chinesen, denen klassische Fahreigenschaften weniger wichtig sind als hochautonome Fahrfunktionen, die ihren Spieltrieb auch im Auto ausleben – und ja, die zunehmend von chinesischen Autos gefahren werden möchten. Sie treibt ein nicht zu unterschätzendes neues Selbstwertgefühl, getragen vom Stolz auf weltweit führende Innovation aus ihrem Heimatland.
Technische Impulse von SAIC
Die technischen Impulse müssen aus China kommen, lautet deshalb offenbar die Erkenntnis in Ingolstadt. Folgerichtig setzt die neue Marke auf den langjährigen Kooperationspartner SAIC und nutzt die Expertise des Staatsbetriebs für eine komplett neue 800-V-Elektronikplattform mit state-of-the-art-Konnektivität. Die „Advanced Digitized Platform“ sei eine Gemeinschaftsentwicklung von Audi mit SAIC, heißt es. Sie vereine die Kompetenz von Design- und Produktqualität aus Ingolstadt mit der Innovationskraft aus Shanghai. Dass der langjährige Leiter der elektrischen Audi-Baureihen, Fermin Soneira, die neue Submarke als CEO führt, deutet darauf hin, dass die Ingolstädter Markenbildung und Produktionsabläufe weiterhin in der Hand behalten möchten. Soneira verspricht, Premium-Qualität auch für die Submarke zu pflegen.
Die seriennahe Studie AUDI Concept E zeigt als erstes Modell, wohin die Reise geht. Mit 4,87 Metern Länge, 1,99 Meter Breite und einer Höhe von 1,46 Meter überbaut dessen schnittige Karosserie einen Radstand von fast drei Metern. Insbesondere die üppig beleuchteten Umrahmungen der charakteristischen, minimalistisch wirkenden Bug- und Heckplatten folgen ästhetischen Vorlieben chinesischer Kunden. Ähnlich im Interieur, das die drei Funktionsbereiche Lenkrad, Breitband-Touchdisplay und KI-Assistent gliedert. Riesige Bildschirme werden in China als Statussymbole geschätzt, im AUDI E reichen die nahtlos aneinander gefügten Cockpit- und Entertainment-Displays über die gesamte Innenraumbreite von der linken bis zur rechten A-Säule.
Zwei weitere Modelle noch 2025
Ganz außen werden die Daten von Kameras abgebildet, die beide Außenspiegel ersetzen. Zentral ist ein Avatar verbaut, über den berührungsempfindlich oder sprachgesteuert sämtliche Sekundärfunktionen des Fahrens bedient werden. Wenn die Fondpassagiere zur Markteinführung noch ausklappbare Bildschirme im Kuchenblech-Format bekämen, scheint ein Erfolg versprechendes China-Paket geschnürt. Ein ähnliches Layout kennen wir übrigens aus dem AVATR 12, einer Premium-E-Limousine des chinesischen Herstellers Changan zum Preis eines VW Golf. Die hochwertigen Materialien des AUDI E folgen der bekannten Audi-Tradition.
Der vorgestellten Studie folgen auf gleicher Plattform ein weiteres Mittelklasse-Fahrzeug (B-Segment) sowie ein Oberklasse-Produkt (C-Segment). Weil SAIC gut „geölte“ Lieferketten beisteuert, können sie schon ab Mitte 2025 in rascher Folge auf chinesische Straßen fahren. Wesentliche E-Komponenten sind vorentwickelt, was die gesamte Entwicklungszeit um 30 Prozent verkürzt. Weitere Modelle könnten je nach Akzeptanz der neuen Marke etwas später folgen, ist zu vernehmen.
Preis von unter 40.000 Euro?
Das aktuell vorgestellte Concept E beeindruckt als SUV-Coupé (Sportsback, um in der Audi Nomenklatur zu bleiben) mit beachtlichen Daten. Zwei E-Motoren mit zusammen 570 kW/775 PS Leistung sorgen für einen Sprint auf 100 km/h in 3,6 Sekunden. Der Allradantrieb heißt in den chinesischen AUDI übrigens weiterhin „quattro“. Gespeist werden die Motoren vermutlich von einer 100 kWh Batterie. Sie könnte aus dem Audi A6 e-tron stammen und soll für eine Reichweite von mehr als 700 Kilometer nach chinesischem Messverfahren reichen, was etwa 500 Kilometer im realen Fahrbetrieb entspricht. In nur 10 Minuten soll man für 370 Kilometer Reichweite nachgeladen können, verspricht der Hersteller. Was einem beachtlichen Wert entspricht.
Chinesische Beobachter vor Ort kommentieren das erste gemeinsam entwickelte Produkt von Audi mit dem nicht als Premiumhersteller anerkannten SAIC unterschiedlich. Einerseits wird das Concept E als eigenständige Erscheinung gelobt sowie deren hohe Vernetzung, die bisherige Audi-Modelle bei Weitem nicht bieten und deshalb als rückständig gelten. Andererseits fordert man eine erfolgsentscheidende Preisgestaltung ein. Das Produktionsmodell dürfe im starken chinesischen Konkurrenzumfeld die Schwelle von 300.000 RMB, umgerechnet 40.000 EUR, keinesfalls überschreiten, wünscht man.
Vorbild BMW
Andere glauben an das Geschäftsmodell, das auch BMW mit Spotlight Automotive in ähnlicher Form führt. Das Joint-venture der Bayern mit Great Wall Motor (GWM) baut den batterie-elektrischen MINI Cooper. Jeder wisse um die verbaute chinesische Massenware. Dennoch verkaufe sich der Wagen gut. Bleibt nur einzuwenden, dass dieser MINI zwar als Premiumprodukt angepriesen wird, diesen Anspruch aber in Materialwahl und Verarbeitung nicht halten kann. Und der MINI wird vorwiegend wegen seines einzigartigen Designs und über die kultige Markenwelt verkauft.
Wenn die neue Marke AUDI bisher geschätzte Werte der „alten Autowelt“, wie Chinesen mit Blick auf europäische Hersteller sagen, weiter pflegen und mit innovativer IT aus China anreichern kann, bestehe die Chance auf ein Comeback der Ingolstädter im Reich der Mitte, so der Tenor.
Genau diese Vision verfolgen Gernot Döllner und sein Team: „Mit der Premiere der Marke für intelligente Modelle in China geht Audi neue Wege, um zusätzliche, technikaffine Kundengruppen zu erschließen.“ Wünschenswert wäre, dass auch europäische Technikfreaks in den Genuss der neuen, mobilisierten Innovationskraft kommen – wenngleich in Modellen der Marke mit den vier Ringen, für die der Slogan „Vorsprung durch Technik“ auch weiterhin gelten sollte.