Starker Test-Auftritt des ET7
Diese 5,10 Meter lange und 1,99 Meter breite Luxuslimousine ist nur ein einzigen Zentimeter kürzer als ein 7er BMW und macht schon optisch schwer was her. Nix China-Brimborium, dieser feine vollelektrische Liner versprüht eine Coolness wie die schönsten nordischen Design-Klassiker, die uns jemals untergekommen sind. Superschlanke zweistrahlige LED-Scheinwerfer, rahmenlose Türscheiben mit Dämmglaseigenschaften. Und hinten dieser sehr lange sanfte Abgang. Der cw-Wert von 0,208 weist uns hier ohnehin auf eine besondere Windschnittigkeit hin.
In diesem Zusammenhang wollen wir ruhig erwähnen, dass NIOs weltweiter Chefdesigner und Vice President Kris Tomasson, 55, gebürtiger Amerikaner ist, der, mit diversen Auszeichnungen überhäuft, interessanterweise mal bei Coca Cola als globaler Designchef wirbelte, später auch bei Gulfstream Aerospace (Flugzeuge!) und bei Ford. Und dann, spannende Wendung, bei BMW für die Optik der elektrischen i-Modelle zuständig war. Der ET7 verkörpere sowas wie die Next-Generation-DNA, hat er schon im letzten Jahr gesagt. Und der ebenfalls an der NIO-Linie beteiligte Andreas Nilsson, der seit Juli letzten Jahres das Shanghaier Designstudio der Marke führt, hat auch einen aufschlussreichen Background. Der war zuletzt Chefdesigner bei der chinesischen Geely-Submarke Lync & Co, die bekanntlich auch gekonnt die jugendliche Frische-Karte spielt.
Genauso schick und schlau geht’s drinnen weiter. Beim Einsteigen öffnet sich die Tür automatisch ein Stück, sobald wir den ausgefahrenen, sehr soliden Griff halten. Und nach dem Hinsetzen wird sie hinter uns sanft geschlossen. Falls die inneren Öffnungstasten mal nicht funktionieren sollten, gibt es weiter unter sogar noch mechanische Türöffner. Da geht, und das beruhigt uns deutsche Angsthasen ungemein, der Chinese netterweise ganz auf Nummer sicher.
Grüner als bei Greenpeace
Und die voluminösen Vordersitze haben wenig mit diesem krawalligen Sportgestühl zu tun, wie wir es von einigen deutschen Konkurrenten kennen. Nein, das sind ziemlich anschmiegsame Sessel mit schlau geflügelten, zweiteiligen Kopfstützen, links und rechts zur besseren Abstützung heranziehbar. Und für diese beigefarbenen Sitze sind auch keine Tiere gestorben. Sie bestehen aus Kunstleder, sind aber fein perforiert, damit wir nicht ins Schwitzen kommen. Vorne 14-fach verstellbar, inklusive ausfahrbarer Schenkelauflage. Sie lassen sich natürlich belüften, und ihre tief knetende Massagefunktion ist, ohne Übertreibung, wirklich der Hammer. Schlagartig fühlen wir uns wie unter den strammen Händen einer chinesischen Wunderheilerin. Und beides, Lüftung und Massage, gibt es auch für die Mitfahrer der zweiten Reihe.
Dazu, Blick nach vorn, rund ums Cockpit diese spacig-futuristische Umgebung. Alles grüner als bei Greenpeace. Zum Beispiel dieser Nichtholzwerkstoff Karuun, ein nachhaltiges „Nature-Tech-Material“, das aus der rasant nachwachsenden Kletterpflanze Rattan entsteht und im ET7 in 14 Elementen der Innenausstattung herumgeistert. Erstmals in einem Serienauto. Super leicht, licht- und luftdurchlässig. Fühlt sich an und sieht aus wie weißes oder graues Holz, ist aber keins. Spannende Textur, die man permanent streicheln möchte.
Auch alles andere fühlt sich in diesem Fünfsitzer erstaunlich gut an. Ist teilweise besser verarbeitet als gängiges Premium-deutsch aus Stuttgart, München oder Ingolstadt. Krass, als ob uns die Chinesen mal zeigen wollen, was da heute so geht. Besonders tricky ist der Deckel des großen Fachs in der Mittelkonsole. Der öffnet nicht (wie fast überall) nach oben, sondern zur Seite. Verrenkungsfrei superpraktisch. Für mich Beifahrer ein bisschen drängelig doof, denkt unser Nebenmann, bis er merkt, dass sich das Ding konstruktiv auch von seiner Seite hochklappen lässt. Unser Favorit für den alternativen Nobelpreis.
Kinder werden NOMI lieben
Ganz zu schweigen von den unsichtbaren Lüftungsdüsen oder den Luftqualitätssystemen des Chinesen, der drinnen nach dem Einsatz des Ionisators wie ein frisch bezogenes Bettlaken duftet. Wer will, kann seinen Mitreisenden noch verschiedene Parfümdüfte (kleine einsetzbare Patronen) gönnen, vom milden Haven bis zum kräftigen Adventure. Und dann dieses dezent herumgeisterndes Ambientelicht in 256 Farben mit dem faszinierenden Wasserfallmodus genießen, das mit einsetzender Dämmerung zur Hochform aufläuft.
Direkt vor uns das 10,2 Zoll große Kombiinstrument mit den wichtigsten Anzeigen. Geschwindigkeit, Restreichweite in Prozent und weitere Fahrdaten. Mittig das scheinbar schwebende, nur 5,5 Millimeter starke, aber 12,8 Zoll große Zentral-Touch-Display für ultrascharfe Bilder in strahlenden Farben, hinten noch ein kleiner 6,6-Zoll-Touchscreen. Genau, über den großen Schirm in der Mitte läuft (wie bei Tesla) das volle Programm mit unglaublich vielen individuellen Einstellungen und Gimmicks jeder Art. Von diversen 3D-Rundumbildern und der Innenraumüberwachung bis zur Steuerung der Luftströme. Wobei manche Buttons etwas fipsig sind, und die genaue Temperatureinstellung über eine Art von digitalem Slider (ähnlich wie bei VW) eine ziemlich anspruchsvolle Fingerübung ist.
Sogar den „Pet Mode“ für Haustiere finden wir hier, der aufgeregten Nachbarn auf dem großen Screen anzeigt, dass hier mit passender Klimatisierung fürs Hundchen alles bestens ist. Sogar eine Dashcam ist serienmäßig an Bord. Und klar, wir können uns hier für Musik ohne Ende mit unserem Account beim Streamingriesen Spotify anmelden. Und so weiter und so weiter. Wird alles über den ADAM-Supercomputer des ET7 gesteuert, der pro Sekunde schnell mal 1016 Operationen durchziehen kann.
Dazu dieser putzige Sprachmanager NOMI („Know me“ -lerne mich kennen), unser eingebauter digitaler Reisebegleiter. Sein schwarzer Kugelkopf, der mit uns im Smily-Stil ständig rumagiert, guckt frech aus dem Armaturenbrett und wir sollen mit ihm zunehmend normal quatschen können, weil er mit Hilfe seiner angedockten Künstlichen Intelligenz ständig dazulernen würde. Bald auch unsere Gewohnheiten und Vorlieben berücksichtigen würde. Und demnächst soll Nomi, der unterwegs auch manchmal nervt, das gesammelte Cloud-Wissen parat haben. Unsere Kids werden ihn lieben.
AR-Brillen für die Beifahrer
Jetzt könnten wir noch einen ganzen Absatz über dieses Immersive-Soundsystem des Autos palavern, das mit 23 Lautsprechern und fetten 1000 Watt Ausgangsleistung powert. Dazu mit Dolby Atmos-Technologie und Raumaudio-Algorithmen hantiert. Hat NIO nach eigener Aussage selbst entwickelt. Kleiner Tip von den Technikern des Hauses: Der Streamingdienst TIDAL habe schon viele im Dolby Atmos-Surround-Sound aufgenommene Songs im Repertoire. Gibt wirklich ein dreidimensionales Klangerlebnis, das uns verträumte Konzertatmosphäre (wir mittendrin) ins Auto zaubert. Bis uns die Hupe eines drängelnden Berliner Hintermanns in die ruppige Realität des Großstadtverkehrs zurückholt.
NIO experimentiert für die Beifahrer (unsere Kids!) sogar schon mit diesen neuartigen, softwaremäßig schwer aufgerüsteten AR-Brillen (Augmented Reality), die uns, wir haben es an einer Teststation ausprobiert, tatsächlich mit einem Klick in einen Kinosaal versetzen. Wir sitzen im Auto, aber vor unseren Augen läuft, dramatisch scharf und bunt, ein Kinofilm im Großformat. Und da sind viele, viele Filme im Angebot, das funktioniert quasi wie ein Auto-Netflix. Diese hübschen Unterhaltungs-Brillen will NIO in absehbarer Zeit („Wir haben da noch keine Preisgestaltung“) sogar offiziell anbieten. Man arbeite auch schon an Versionen, vernehmen wir, welche für den Fahrer die komplette Navigationsführung in realer Umgebung einspiegeln können.
Zurück zum realen Auto. Was nämlich das rein praktische betrifft, da haben wir auch ein paar leichte Moll-Akkorde gefunden. Zum Beispiel das Prozedere, mit dem die Verstellung von Lenkrad und Außenspiegeln bewerkstelligt wird. Das geht wie bei Tesla umständlich erst einmal übers große Zentraldisplay, dann im zweiten Schritt über die Tasten am Lenkrad. Und die Lüftung des Autos bläst uns schon in der ersten Stufe etwas zu kräftig an. Liebe Grüße nach China: Da fehlt ein kleiner Zwischenschritt, gutes Thema für die nächste Software-Auffrischung.
Kleiner Kofferraum, riesiges Glasdach
Und Ladefetischisten oder familiäre Viel- und Weitreisende werden betrübt feststellen, dass es ganz hinten keine große Heckklappe, sondern nur diesen klassischen Limo-Deckel gibt. Leider auch keine geteilt umlegbaren Rücksitzlehnen. Weil im Fond sonst Sitzbelüftung und Massage nicht funktionieren würden, argumentiert man bei NIO. Na schön, für die Fahrt in den Skiurlaub gibt es ja wenigstens eine ordentliche Durchreiche. Andererseits ist das Kofferraumvolumen mit 370 Litern auch nicht so toll für unhandliches Großgepäck. Psst, Abhilfe ist in Sicht, denn ein NIO-Techniker hat uns hinter vorgehaltener Hand verraten, dass beim ET7 bereits an einer Version mit klappbaren Fondlehnen gearbeitet werde.
Und alle, die (wie der Autor) etwas mehr als 1,90 Meter messen, könnten sich auf den Rücksitzen vielleicht über mangelnde Kopffreiheit beschweren. Das reißt das gigantische zweigeteilte Panorama-Glasdach, das nahezu hundertprozentig nervende Sonneneinstrahlung und übermäßige Wärme wegfiltern soll, nicht so richtig raus. Die ganze Angelegenheit hat aber auch damit zu tun, dass die Menschen hinten wie im Kino etwas höher sitzen als die Typen in der ersten Reihe. Da es hier aber eine riesige Kniefreiheit gibt, könnten wir auch einfach etwas tiefer rutschen.
Und wie fährt sich der NIO ET 7? Das erfahren Sie hier im nächsten Teil.