1. Forest Gum: Kau‘ Dich glücklich

Manchmal lohnt es sich, in Vorlesungen aufzupassen (okay, fast immer). Thomas Krämer, 40, jedenfalls hörte gut zu, als sein Professor in einem Seminar über Forstwirtschaft über Chicle sprach, einen Baumsaft, den man in Zentralamerika schon vor 500 Jahren wie Kaugummis kaute. Das, sagt Krämer, hat sich leider geändert: „99 Prozent der Leute wissen nicht, dass wir bei heutigen Kaugummis auf Plastik rumkauen, hergestellt aus Erdöl. Denn die Inhaltsstoffe werden maximal verschleiert.“

Krämer wollte es besser machen: „Niemand hinters Licht führen, keine Müllberge, fair produzieren.“ Knapp eine halbe Milliarde Euro ist der Kaugummimarkt in Deutschland groß, 80 Prozent davon räumt der US-Konzern Mars mit verschiedenen Marken ab. Krämers Konkurrenz-Idee: zurück zur Natur aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Heute gibt es Forest
Gum in zwei Geschmacksrichtungen (Minze und Beeren) bereits bei großen Einzelhandelsketten wie Rewe, Rossmann und Müller.

Dass Forrest Gump bestimmt Forest Gum kauen würde, war Thomas Krämer bei der Namensfindung übrigens gar nicht bewusst. An den berühmten, fast gleichnamigen Hollywood-Hit hatte er überhaupt nicht gedacht.

2. TeamClimate: Prima fürs Klima

Karim Abdel-Baky ist ein bemerkenswert gut gelaunter Mensch. Nur eine Frage im Interview lässt ihn kurz ernst werden: Glauben Sie, dass wir den Klimawandel noch rechtzeitig stoppen können?“ Nach einer kurzen Nachdenkpause antwortet Abdel-Baky: „Ich bin überzeugt, durch
Technologie und Verhaltensänderung können wir das gewaltige Problem lösen.“

Der 24-Jährige und sein 23-jähriger Mitgründer Christoph Rebernig wollen ihren Teil dazu beitragen – ihr Ziel sind eine Million Abonnenten für ihr Start-up „mindful mission“ – das inzwischen in TeamClimate umbenannt wurde. Mit 8 Euro im Monat kann man damit seinen CO2-Fußabdruck ausgleichen. TeamClimate berechnet, wie viel CO2 man verbraucht, und finanziert im Gegenzug dann Klimaschutzprojekte, die CO2 einsparen. „Unser Motto ist dabei: erst vermeiden, dann kompensieren.“ Als ein Kreuzfahrtunternehmen seine CO2-Bilanz mit mindful mission verbessern wollte, lehnten Abdel-Baky und Rebernig ab, weil sie keine Möglichkeit sahen, bei dem Konzern CO2-Emissionen zu reduzieren.

„Wir haben viel Zeit in einen Algorithmus investiert, der jedem Nutzer regelmäßig Tipps gibt, wie er seinen Fußabdruck reduzieren kann“, sagt Abdel-Baky. Kurz vor dem Abitur nahm seine Klasse den Klimawandel durch, und er bemerkte: Niemand wusste, wie groß sein CO2-Fußabdruck ist. Aber wie soll man etwas bekämpfen, was man nicht kennt? Seither beschäftigt ihn das Thema.

Und wie sparen die beiden selbst CO2? Abdel-Baky ernährt sich überwiegend vegan und fährt schon mal 15 Stunden Zug, um einen Flug zu sparen. Eine Fernreise gönnte er sich aber: nach Kalifornien, zu einer einmonatigen Start-up-Schulung.

3. Kleiderly: Gib Stoff

Als Alina Bassi Verwandte im afrikanischen Tansania besuchte, fielen ihr Marktstände auf, die gebrauchte Kleidung aus Europa verkauften. „Werden die das alles los?“, fragte sich die in Berlin lebende Britin. Sie begann zu recherchieren und war geschockt: 87 Prozent unserer Kleidung landet auf Müllhalden, ein voller Lastwagen pro Sekunde, wo sie wegen des hohen
Plastikanteils bis zu 200 Jahre lang nicht verrottet. Oder sie wird verbrannt und verursacht Unmengen CO2.

Gesunder Kreislauf 
Aus alter Kleidung recycelt Alina Bassi, 31, ein Material, aus dem sich Mode oder Möbel fertigen lassen. Foto: 

Gesunder Kreislauf
Aus alter Kleidung recycelt Alina Bassi, 31, ein Material, aus dem sich Mode oder Möbel fertigen lassen. Foto: Jonas Holthaus

Das kam der Chemieingenieurin so sinnlos vor, dass sie jahrelang an einer
Recylingmethode tüftelte. Nun macht sie aus Altkleidern ein plastik- ähnliches Material, das sie als Rohstoff verkauft. Daraus entsteht neue Mode, aber auch Kleiderbügel oder Möbel.

Ihre 2018 gegründete Firma Kleiderly hat erst sieben MitarbeiterInnen,
aber die Industrie signalisiert großes Interesse. Der Name Kleiderly ist eine Hommage an Deutschland, ihre neue Heimat. Dass das sehr niedlich klingt angesichts des Problems, das die Firma löst, erfuhr Bassi erst später. „So
gut war mein Deutsch nicht.“

4. For super Heroes: Ab jetzt immer flüssig

Das kann man als Jung­unternehmer auch mal machen: auf seine Eltern hören. Ursprünglich wollten Friedrich Klinger und seine Mitstreiter
eine Ernährungs-­App starten. „Aber wenn selbst die Eltern nach zwei Wochen aufhören, sie zu nutzen, ist das bezeichnend“, erzählt er.

Nach dem Rückschlag fiel ihnen auf, dass die Lebensmittel in ihren Kühlschränken oft vergammelten, weil sie nicht zum Kochen kamen. So entstand die Idee für ForSuperHeros: Trinkmahlzeiten für alle, die es eilig haben, sich trotzdem gesund ernähren und Ressourcen schonen wollen. Sie bestehen aus rein pflanzlichen Zutaten wie Beeren, Nüssen oder Algen, die nach saisonaler Ernte gefriergetrocknet werden. Das Pulver 30 Sekunden mit Wasser aufgießen, umrühren – fertig sind Smoothie oder Shake.

Bislang sind ihre Mahlzeiten alle süß, bald sollen herzhafte Varianten folgen. „Eines Tages möchten wir alle Fast­-Food-­Produkte gesund herstellen“, so Klinger. Klingt nach einer Aufgabe für Superhelden.

5. Epap: Weg mit dem Wisch

Bei der Wahl zum deutschesten aller deutschen Worte hat die „Belegausgabepflicht“ gute Siegchancen. Wie sehr das nach Amtsstube und
Currywurstflecken auf Kurzarmhemden klingt! Man kann die 2020 eingeführte Belegausgabepflicht aber auch als Basis für ein Start­up nutzen,
indem man die gedruckten Kassenzettel im Einzelhandel durch eine digitale Spielart ersetzt.

Man empfängt die Rechnung auf der epap­-App und spart so bergeweise Papier. Die Idee dazu kam Mitgründer Sebastian Berger im
Auslandssemester. Den Ordnungsfan machten insbesondere die langen Kassenzettel bei Ikea wahnsinnig. Das musste doch schlauer gehen.
Drei andere Studenten dachten das auch, und so entstand
das gemeinsame Start­up.

Das funktioniert schon mit 18 der 20 großen Kassenhersteller in Deutschland. Die Integration erfolgt über die Kassensoftware, die Anschaffung oder Befestigung eines Zusatzgeräts ist nicht nötig. Händler, die epap einsetzen, zahlen eine Gebühr, für Kunden soll es bald kostenpflichtige Zusatzangebote geben – wie ein digitales
Haushaltsbuch.

6. Active Giving: Laufend pflanzen

Hat jemand die Handynummer von Cristiano Ronaldo? Dann bitte bei Laurent Petit melden. „Es wäre mein Traum, ihn für unseren guten Zweck
zu gewinnen, aber noch traue ich mich nicht, jemand so Berühmten zu fragen“, sagt der 33-jährige Belgier.

Beim Berühmtwerden ist es wie beim Laufen – kleine Schritte führen zum Ziel. Vor vier Jahren zog Petit nach Berlin. Er trat einer Laufgruppe bei und beschäftigte sich mit dem Thema Umweltschutz. So entstand die Idee, den Community-Gedanken der Läufe mit Nachhaltigkeit zu verbinden.

„Meine Freunde nutzten Fitness-Apps, die kein höheres Ziel hatten, als
fit zu bleiben. Das wollte ich ändern.“ Petit ging auf Betriebe zu: „Ich sagte, ich habe 250 Leute, die laufen wollen, wie wäre es, wenn ihr für die
zurückgelegten Kilometer Bäume pflanzt?“

Die Idee kam an, zwei Mitgründer stießen dazu. Seit Juni 2020 ist die App „Active Giving“ fertig, wer mit ihr läuft, kann laufend Bäume pflanzen – finanziert durch Unternehmen, die in der App Werbung schalten. Auch Radfahren, Surfen, Yoga oder Schwimmen zählen. Nach sechs Monaten hatten 13.000 aktive User mehr als 160.000 Bäume gepflanzt. Das müsste mal jemand Cristiano Ronaldo erzählen.

7. Gitti: Good Lack

Manchmal ist die innere Stimme der beste Karriere-Coach. Etwa im Fall von Jennifer Baum-Minkus. Als sie Anfang 2018 mit Freunden in einem Berliner Lokal saß und die Frage aufkam, was jeder tun würde, wenn er keine Angst
hätte, schoss ihr – zur eigenen Überraschung – „Glitzernagellack“ in den Kopf. Es auszusprechen traute sie sich nicht, doch gleich nach ihrer Heimkehr morgens um vier recherchierte sie und konnte kaum fassen, wie viele Schadstoffe gängige Produkte beinhalten, die im Verdacht stehen, Krebs und Unfruchtbarkeit zu verursachen. Vom CO2-Fußabdruck der Verpackungen ganz zu schweigen.

Ihren Konzern-Job bei Coca Cola hatte sie – ebenfalls aus dem Bauch heraus – ohnehin gerade gekündigt, also machte sie sich an die Arbeit. Eineinhalb Jahre entwickelte sie mit einem Labor eine Nagelfarbe, die zu 55 Prozent auf Wasser basiert. „Damit er sich genauso gut auftragen lässt wie konventionelle Produkte, müssen die Farbpigmente im Wasser stabil bleiben können“, erklärt Baum-Minkus. Das chemische Kunststück gelang, die erste Kollektion ihres Labels Gitti war 2019 binnen zwei Wochen ausverkauft.

Ohne 16 giftige Stoffe kommen die Nagelfarben bereits aus, 100 Prozent Schadstofffreiheit ist das Ziel. Über 20 Mitarbeiter zählt das Team, zum Sortiment zählen auch Handpflegeprodukte. Derzeit arbeitet
Baum-Minkus an der ultimativ nachhaltigen und dennoch stylischen Verpackung. Ihrer inneren Stimme gefällt das.

8. Okapiorbits.Space: All Stars

Ein Metallstück mit einem Durchmesser von einem Zentimeter wirkt nicht sehr bedrohlich. Außer es rast mit 28.000 km/h durch die Gegend. Rund 900.000 Teilchen Elektroschrott wie inaktive Satelliten, Raketenoberstufen oder eben kleinste Kollisionsfragmente umkreisen die Erde inzwischen.
Sie können Satelliten stören oder zerstören. So sehen also Abfallprobleme im All aus – und erste Start­ups arbeiten bereits an Lösungen.

Höhenflug
Als Mitgründerin eines Space-Start-ups schaffte es Kristina Nikolaus, 26, in die
„30 under 30“-Liste des US-Magszins "Forbes"
Höhenflug
Als Mitgründerin eines Space-Start-ups schaffte es Kristina Nikolaus, 26, in die
„30 under 30“-Liste des US-Magszins „Forbes“. Foto:

Zum Beispiel okapiorbits.space, hervorgegangen aus der Technischen Universität Braunschweig. Gegen Bezahlung bietet das Forscher­Team
Kollisionswarnungen und Empfehlungen für Ausweichmanöver mit einer Sicherheit von stolzen 99,999 Prozent. Dafür wertet eine Künstliche
Intelligenz GPS­Daten von Satelliten aus, Datenkataloge und Observationsdaten.

„Im Low Earth Orbit zwischen 400 und 900 Kilometer Höhe um die Erde ist super viel los“, sagt Mit­gründerin Kristina Nikolaus. Kollisionen sind selten, die kommerzielle Raumfahrt dürfte das Risiko aber erhöhen. Für noch mehr Nachhaltigkeit im Erdorbit könnten eines Tages Roboterarme den Schrott einsammeln, aber hier steht die Forschung noch am Anfang.

9. Klang Games: Neue Welt

Ívar Emilsson ist Experte für Neuanfänge. Aufgewachsen in Island, studierte er in Schottland, arbeitete in Shanghai und landete im Winter 2012 als Spieleentwickler in Berlin. Sein erster Eindruck? „Grau, morbid, furchtbar.“ Doch mit dem Frühling erwachte seine Liebe zur Stadt und er startete mit zwei Co-Gründern die Gaming-Schmiede Klang Games. Seit 2017 entwickeln sie „Seed“ – ein Spiel, das, Überraschung!, von einem Neuanfang handelt.

Überlebende einer Erdkatastrophe gründen eine Weltraum-Kolonie mit diversen Ökosystemen und Wetterkapriolen. Die Spieler entwickeln eine eigene Gesellschaftsform und müssen Wege finden, mit den Ressourcen umzugehen. Ein Versuchslabor, eine Vision, „eine nischige Nische“, so Emilsson. Aber daraus entstehen ja oft die größten Hits. 2022 soll „Seed“ als Beta-Version starten.

10. Sirplus: Essen retten

Eine Weltreise ohne Geld, ein Konsumstreik mit Frau und zwei Kindern, ein Buch über das Leben mit bewusstem Verzicht: An Ideen mangelt es Raphael Fellmer, 37, nicht, um für sein Herzensthema zu werben – den Kampf gegen die Verschwendung von Lebensmitteln.

„Mit nur einem Viertel unserer Nahrungsabfälle könnten wir alle Hungernden der Erde versorgen“, sagt er. Allein in Deutschland werden pro Jahr 18 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet, das verursacht
vier Prozent der bundesweit produzierten Treibhausgase.

„Manche Produkte landen nur im Müll, weil etwa das Design ihrer Verpackung veraltet ist oder weil ihr Mindesthaltbarkeitsdatum abzulaufen
droht“, sagt Fellmer. Dabei sei vieles sogar noch Jahre später genießbar. Die von ihm mitgegründete Bewegung foodsharing.de vermittelt nun aussortierte, aber noch genießbare Lebensmittelkostenlos weiter. Tausende Betriebe spenden entsprechende Produkte, über 100.000 Freiwillige helfen.
Und weil trotzdem noch Millionen Tonnen übrig bleiben, gründete Fellmer
Sirplus, einen Supermarkt mit Filialen in Berlin und einem bundesweit liefernden OnlineShop, in dem jeder die vorab auf Qualität kontrollierten
Lebensmittel günstig kaufen oder im Abo beziehen kann.

So kann wirklich jeder dabei helfen, das von der Bundesregierung ausgerufene Ziel zu erreichen, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung
um 50 Prozent zu reduzieren.

Das Stück basiert auf einem Beitrag des Print-Magazins INNOVATOR by The Red Bulletin. Das Magazin erzählt von innovativen Menschen und zukunftsträchtigen Ideen und inspiriert uns damit, die Welt von morgen mitzugestalten.




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