Wenn zwei Autos technisch sehr ähnlich sind wie der Audi e-tron GT und der Porsche Taycan, stecken die Ingenieure in einem Dilemma. Wie kann man die Charakteristik des Wagens so verändern, dass er den Ansprüchen der Kunden gerecht wird, ohne als Plagiat rüberzukommen? Geht es bei den beiden Fahrzeugen noch um Elektromobile der ersten Generation, mutiert die Herausforderung zur Königsdisziplin, wenn Motoren sowie Akkus identisch sind und die Energiespeicher schon viel vom Budget des Autos auffressen.
Bei der Erstauflage des e-tron GT 2021 sind die Audi-Techniker der Zwickmühle entronnen, indem sie den Ingolstädter Dynamik-Stromer nicht ganz so kompromisslos auf sportliche Agilität trimmten wie der Porsche Taycan. Natürlich konnte man mit dem Audi sehr flott unterwegs sein. Aber in erster Linie war der e-tron GT ein Gran Turismo – ein Elektroauto für die große Fahrt.
Die Gleichung mit zwei Bekannten haben die Bayern offenbar gut gelöst. Seit seiner Vorstellung 2021 haben sich bis Ende 2023 rund 30.000 Käufer in 90 Ländern für das Ingolstädter Elektro-Topmodell entschieden. Etwa 10.000 dieser e-tron GTs wurden gar in der Top-RS-Version geordert. „Der e-tron GT ist als Flaggschiff-Modell strategisch sehr wichtig“, erklärt Stefan Holischka vom Produktmarketing.
Mehr Alltagsnutzen und Reichweite
Jetzt stehen die Modellpflege an und das Technikspiel geht in die zweite Runde. Die J1-Architektur kommt immer noch von Porsche, aber die Techniker aus Zuffenhausen haben an einigen Stellen kräftig nachgebessert. Unter anderem an den Batterien und vor allem am Fahrwerk. Das macht die Aufgabe für die Tüftler in Ingolstadt nicht einfacher, den e-tron GT vom Porsche Taycan des Modelljahrs 2024 unterscheidbar zu machen. „Die Entwicklungsziele sind mehr Alltagsnutzen, mehr Reichweite, ein optimiertes Fahrwerk und Lenkung. Unterm Strich eine nochmals verbesserte Fahrbarkeit“, verdeutlicht Chefingenieur Stephan Reil. Unterm Strich müssen sich das Elektroauto aber weiterhin „anfühlen wie ein Audi.“
Also ist im Grunde alles wie bisher – nur mit anderen Vorzeichen. Wie der Porsche Taycan bekommt auch der Audi e-tron das aktive Fahrwerk bestehend aus einer Einkammer-Luftfeder, kombiniert mit einer aktiven Dämpferregelung. Dabei gleichen die hydraulischen Dämpfer die Bodenunebenheiten permanent aus, um die Karosserie stets waagrecht halten und das Nicken (beim Bremsen) sowie Wanken (in den Kurven) zu minimieren. Zu diesem Zweck wurde jeder Dämpfer mit einer separaten Hydraulikpumpe versehen, die den Bewegungen des Aufbaus sofort entgegenwirkt, sobald der Radsensor Alarm schlägt. Das funktioniert deswegen so gut, weil die Zug- und Druckstufe der Dämpfer getrennt aktiv regelbar sind.
Aktives Fahrwerk mit hydraulischen Pumpen
Droht die Karosserie einzutauchen, drückt die Pumpe blitzschnell Hydrauliköl in die Kammer der Dämpfer und hält den Aufbau so gerade. Das passiert an allen vier Rädern. Und nicht nur das: Beim Einsteigen fährt das Auto etwa fünf Zentimeter nach oben und macht das Entern des Innenraums komfortabler. Den Energieverbrauch der Pumpen bezeichnen die Audi-Techniker als „marginal“, da die Batterie mehr Kapazität hat.
Aufgrund der 800-Volt-Technik können die hydraulischen Pumpen zudem mit mehr Leistung angesteuert werden, als das bei einem 400-Volt-System möglich ist. Dadurch reagiert das Fahrwerk schneller auf die Anweisungen der Elektronik. So viel ist jetzt schon klar: Das aktive Fahrwerk ist ein echter Zugewinn. Es kaschiert die gut 2,3 Tonnen Gewicht des Audis deutlich besser als bisher.
Die aufwendigste Technik ist aber nur dann wirkungsvoll, wenn auch der Rest des Dynamikpakets mitspielt. Da geht es beim e-tron GT in erster Linie um die Lenkung, bei der sich Audi in den letzten Jahren nicht immer mit Ruhm bekleckert hat. Doch das hat sich geändert und kommt auch dem Stromer-GT zugute. Grundsätzlich haben die Techniker die Übersetzung der Lenkung nun im Verbund mit der Hinterachslenkung (bewegt die Räder bis zu 2,8 Grad) um 15 Prozent direkter gestaltet. Der Kniff zeigt die erwünschte Wirkung: Der Vorderwagen lenkt agiler als bisher ein. Passend dazu hat die Mitteilungsfreude des Volants deutlich zugenommen. Man spürt jederzeit, wie es um die Traktion der Vorderräder bestellt ist.
In leichter Schräglage in die Kurve
Das Fahrwerk verrichtet seinen Dienst und hält die Karosserie auch bei schnellen Richtungswechseln stabil. Wem das alles zu digital ist, der schaltet in dem Komfort-Fahrmodus, bei dem sich der Aufbau in den Kurven etwas neigt.
„Das Auto ist mehr Gran Turismo als für die Rennstrecke“, erklärt Fahrwerksexperte Carsten Jablonowski und lächelt bei der Frage, welche Version unter der güldenen Folierung steckt, höflich. Aufgrund des RS Performance-Fahrprogramms gehen wir stark davon aus, dass wir mit dem Topmodell RS e-tron GT unterwegs sind. Diese Einstellung halten wir auch für die beste, da das Ansprechverhalten des Gaspedals nicht ganz so unmittelbar ist, wie das bei Dynamic der Fall ist. Dadurch lässt sich die Beschleunigung besser dosieren.
Audi macht aus der Antriebsleistung noch ein großes Geheimnis. Nimmt man den Porsche Taycan Turbo S als Maßstab, der künftig über eine Spitzenleistung von bis zu 570 kW (775 PS) verfügt und geht man davon aus, dass der Audi zur Wahrung des Abstandes mit weniger Power auskommen muss, sollte der Audi mit deutlich mehr als 500 kW um die Ecke kommen. Aktuell sind es beim RS 440 kW.
Leistungsdaten bleiben noch ein Geheimnis
Auch bei dem Mysterium der Rekuperation lohnt sich ein Blick nach Zuffenhausen. Der Taycan schaufelt beim Verzögern bis zu 400 kW Strom in die Energiespeicher. Viel anders dürfte es beim Audi e-tron GT auch nicht sein. Das gilt auch für die Batterie, die beim neuen Porsche eine Kapazität von bis zu 105 Kilowattstunden (97 kWh netto) hat, mit maximal 320 kW lädt und den Taycan nun bis zu 634 Kilometer weit trägt.
In der zweiten Jahreshälfte werden wir erfahren, was der neue Audi e-tron GT diesbezüglich in die Waagschale wirft. Und natürlich auch beim Preis: Bei den Audi-Händlern werden für Restexemplare der alten Baureihe derzeit wenigstens 106.900 Euro aufgerufen, für RS-Modelle wenigstens 126.700 Euro. Der neue wird sicher noch ein paar Tausender teurer werden.