Längsbeschleunigung ist nicht alles. Es kann ein berauschendes Gefühl sein, die Trägheit mit Hilfe drehmomentstarker Elektromotoren zu überwinden und im „Ludicrous“-Modus in weniger als drei Sekunden auf Tempo 100 zu beschleunigen. Aber das Aberwitzige wird schnell lächerlich und aus Übermut ein gefährlicher Leichtsinn, wenn Fahrzeug und Fahrer nicht auch die Querbeschleunigung beherrschen.

Diese Erfahrung musste vor Jahren der Fahrer eines Tesla Model S bei einem Track Day auf dem Rennkurs von Zolder machen. Im Rahmen der eCross Germany trat er mit seinem bärenstarken Stromer gegen Jutta Kleinschmidt an, die mit einem BMW i8 Plug-in Hybrid an den Start ging. Am Ende der Startgeraden hatte der Tesla einen Vorsprung von fast einer Wagenlänge. Doch dann kam mit der „Eerste“ eine 110 Grad-Kurve Links – die sowohl den Fahrer wie das Fahrzeug überforderten. Ergebnis: Trotz Allradantrieb flog der Tesla mit Karacho aus der Kurve und grub sich im Kiesbett ein.

Faszinierendes Spiel der Kräfte

Mit dem neuen, 370 Kilowatt (503 PS) starken e-tron S Sportback wäre das sicher nicht passiert. Auch dieser Elektro-Allradler versteht sich auf atemberaubende Sprints: Die insgesamt drei Elektromotoren – einer vorne und zwei an der Hinterachse – bringen im Sport-Modus bis zu 973 Newtonmeter Drehmoment auf die Räder. Tempo 100 wird so in 4,5 Sekunden erreicht. Wahnsinn.

Aber fast noch atemberaubender als die Art, wie das immerhin 2,6 Tonnen schwere Fahrzeug durch eine intelligente Verteilung der Kräfte auch die Herausforderungen der Querbeschleunigung meistert. Das rubbeln in Haarnadelkurven zwar schon einmal die Reifen über die Fahrbahn. Aber das Auto bleibt brav in der Spur – und nimmt ausgangs der Kurve blitzschnell wieder Geschwindigkeit auf.

Rückenpflege
Der Sportback ist an sich schon die sportlichere Variante des e-tron. In der Version S erhält er nun auch noch einen kleinen Heckspoiler – und dicke „Backen“. Foto: Audi

Elektrisches Torque Vectoring im Millisekundentakt macht es möglich. Nahe am physikalischen Limit wird dabei das entlastete kurveninnere Vorderrad über die Radbremse leicht verzögert, um den Schlupf zu reduzieren. Sollte das noch nicht reichen, reagieren die Bremsen blitzschnell und pressen in nur 150 Millisekunden die Beläge auf die Scheiben. In Kombination mit einer dynamischen, direkt ansprechenden Lenkung werden so Fahrmanöver hart am Grenzbereich selbst für Menschen ohne Rennfahrer-Lizenz möglich.

Was einfach klingt und aussieht, ist das Ergebnis jahrelanger Erfahrungen mit Allradantrieben und monatelanger Abstimmungsarbeit am neuen e-tron S. Das „S“ steht in der Nomenklatur von Audi für Sport, in dem Fall aber auch für Sicherheit und Stärke. Beim e-tron bedeutet es 20 Kilowatt (kW) mehr Leistung gegenüber einem „einfachen“ e-tron 55 und im Normal-Fahrmodus. Und statt 664 Newtonmeter wirken deutlich mehr als 800 Newtonmeter auf die Achsen – im Boost-Modus sogar von fast 1000 Newtonmeter.

Erster Serien-Stromer mit drei E-Motoren

Um auf solch atemberaubende Werte zu kommen, wurde der 150 kW starke Asynchronmotor, der beim e-tron 55 an der Hinterachse werkelt, nach vorne geholt. Und an der Hinterachse wurden gleich zwei Elektromotoren mit jeweils 132 kW verbaut. Sie sitzen in einem Gehäuse, sind aber nur über einen Kühlkreislauf miteinander verbunden, können also von der Leistungselektronik einzeln angesteuert werden. Je nachdem, wo die Kräfte aktuell gerade benötigt werden. Der Audi e-tron S ist damit das erste Großserien-Elektroauto, das gleich von drei Elektromotoren angetrieben wird. An einem ähnlichen Antriebskonzept für das Model S und X doktert Tesla noch herum.

Einsatzwagen
In Catalunya-Rot (Aufpreis 974 Euro) ginge der e-tron S Sportback auch als Feuerwehrauto durch – oder als Safety-Car in der Formel E. Foto: Edison

Und wozu ist das Ganze im Alltag gut? Nun ja, beispielsweise um auf kurvenreichen Landstraßen in Windeseile und traktionsstark Kieslaster zu überholen ohne Schweißausbrüche erleben zu müssen. So viel Fahrspaß wie der e-tron S bietet derzeit kein anderes Elektroauto. Und kein anderes elektrisch angetriebene SUV kommt derzeit so sportlich-chic daher wie ein e-tron S im Gewand des Sportback: Mit breiten Backen und ausgestellten Radhäusern, mit einem steuerbaren Kühllufteinlass, mit digital gesteuerten Matrix-LED-Scheinwerfern, Head-up-Display und – wer’s mag – smarten Kameras statt klobigen Außenspiegeln. In knalligem Catalunya-Rot wie bei unserem Testwagen wird aus dem e-tron so das perfekte Safety-Car für die Formel E. Und zum Beweis, dass Elektromobilität nicht Verzicht bedeutet, sondern durchaus einen Gewinn bringen kann für eine individuelle Fortbewegung, die möglichst umweltverträglich sein möchte.

Sportlerheim
Auch im Interieur gibt der e-tron S deutlich zu verstehen, dass er sich als Leistungssportler versteht. Unter anderem mit Sportsitzen und Dekorblenden aus Carbon. Foto: Audi

Allerdings bleibt das Power-Play natürlich nicht ohne Folgen für die Ökonomie: Am Ende der Testfahrt weist der Bordcomputer ein Stromverbrauch von 30,7 Kilowattstunden (kWh) pro 100 Kilometer. Das ist nicht weit entfernt vom offiziellen Verbrauch des Sportback in der S-Ausführung nach der WLTP-Verbrauchsnorm (28,7 kWh), aber doch über zehn Prozent mehr, als für den e-tron 55 im gleichen Karosseriekleid ausgewiesen wird. Damit schrumpft die theoretische Reichweite nach der WLTP-Verbrauchsnorm auf 365 Kilometer. Denn an der Größe der Batterie im Fahrzeugboden haben die Audi-Ingenieure nichts geändert: Sie speichert 95 kWh, von denen 91 Prozent oder 86 kWh für den Vortrieb genutzt werden können.

S wird teuer

Und auch an der Kasse schlägt sich das S deutlich nieder: Der Basispreis für die Steilheck-Version des sportlichen e-tron beträgt 93.800 Euro, für den Sportback bei 96.050 Euro. Ausstattungsbereinigt beträgt der Aufpreis also etwa 7000 Euro. Dass das sportliche Topmodell des e-tron darüber zu einem Ladenhüter wird, steht dennoch nicht zu befürchten: In anderen Baureihen von Audi kommen die S-Modelle auf einen Anteil von 20 Prozent. Und die Preise für ein Tesla Model X in der Ausführung Performance beginnen ja aktuell auch erst bei 102.990 Euro.

Wenn im Oktober die Bestellbücher für den Audi e-tron S eröffnet werden, wird sich zeigen, welchen Stellenwert Längs- und Querdynamik bei Elektromobilisten haben.

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2 Kommentare

  1. Arne Schaper

    Mittlerweile fahre ich einen etron 55 seit einem Jahr und kann nur sagen, dass die in der Theorie (WLTP Test) angegebenen Reichweiten selbst bei sehr zurückhaltender Fahrweise nicht im entferntesten erreicht werden. Laut Bordcomputer reicht bei mir (ein Drittel Autobahn, 2 Drittel Stadt) die Batteriekapazität gegenwärtig für 320km, im vergangenen „Winter“ sagenhafte 261km. In der Realität waren es dann 280 bzw. 190km. Man bleibt also am Besten gleich an der Ladesäule stehen…

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  2. Hans Wurscht

    Wollen wir hoffen, dass sich das mit dem „idiotensicher“ in der Überschrift so bewahrheitet! Immerhin ist Audi jetzt schon da wo Tesla vor 3 Jahren war: mit extrem gut motorisierten und sportlichen Fahrzeugen, die mit Sicherheit extrem viel Spaß machen, wenn man sie auf abgesperrter Strecke am Limit bewegen kann.
    Ein solches Auto brauchen werden wohl nur die wenigsten, was aber auch durch den Preis schon geregelt ist.
    Ich bin gespannt, wie lange es jetzt noch dauert, bis Audi auch alltagstaugliche und günstigere (soweit man das von Audi sagen kann) Fahrzeuge in Stückzahlen anbietet.

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