Dieser Audi ist sehr entgegenkommend: Sobald sich die Tür öffnet, hebt sich die Karosserie dank eines luftgefederten Aktiv-Fahrwerks um ein paar Zentimeter an, um das Einsteigen zu erleichtern. Außerdem lässt die sportlichste Version der vollelektrischen Baureihe aufhorchen: Während andere Stromer Fußgänger mit synthetischem Vogelgezwitscher oder Hummelgebrumm auf ihr Nahen aufmerksam machen, haben die Ingenieure für das gesetzlich vorgeschriebene Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS) einen sonoren Sound entwickelt, der bei Insassen wie bei Passanten gewisse Erinnerungen an die Zeit der Achtzylinder wachruft.
Das wertet die gut fünf Meter lange und inklusive Außenspiegel 2,16 Meter breite Elektro-Limousine akustisch ungemein auf und sorgt für Respekt, wo immer sie auftaucht. Noch ehe der Fahrer demonstriert hat, wozu ein Audi RS e-tron GT in der Performance-Version fahrdynamisch in der Lage ist.



Eine Ahnung davon geben die Leistungsdaten, die wir nach Entgegenahme unseres Testwagens gleich auswendig gelernt haben, um Freunde, Verwandte und neugierige Nachbarn mit allen nötigen Informationen versorgen zu können. Und um auch selbst in Erstaunen zu versetzen. Denn ein allradgetriebenes Elektroauto mit einer Höchstleistung von 680 kW oder 925 PS sowie einem maximalen Drehmoment von 1027 Newtonmeter hat man nicht alle Tage vor der Haustür stehen.
In 2,9 Sekunden, informierte uns das Datenblatt, sprintet der Audi damit auf Tempo 100, nach acht Sekunden ist bereits die 200 km/h-Marke gerissen. Damit würde man sogar einen Sportwagen vom Kaliber eines Audi R8 mit Zehnzylinder-Motor hinter sich lassen. Zumindest auf den ersten Kilometern. Denn während der e-tron (vernünftigerweise) bei 250 km/h abgeregelt wird, ging dem einstigen Spitzensportler von Audi (die Produktion wurde im Frühjahr vergangenen Jahres eingestellt) erst bei 331 km/h die Puste aus.
Noch mehr Leistung per Knopfdruck
Wobei sich natürlich schnell die Frage stellt: Wo lassen sich solche Beschleunigungsorgien und Fahrgeschwindigkeiten noch erleben, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen? Wir sind den Alltagstest deshalb erst einmal langsam angegangen. Ja, den einen oder anderen Ampelspurt haben wir schon hingelegt und uns dabei an den verblüfften Gesichtern in den Autos auf der Parallelfahrbahn ergötzt. Aber solch halbstarkes Gebaren ist eigentlich aus der Zeit gefallen. Und so etwas wie eine „Launch Control“ hat im Alltagsverkehr nichts mehr verloren. Und wie oft kommt man schon einmal in den Genuss, auf der Nordschleife des Nürburgrings ein paar Runden zu drehen?

Der Druck auf den Boost-Knopf am Lenkrad setzt kurzzeitig Extra-Kräfte frei, der Druck auf den RS-Knopf auch dauerhaft.
Da macht der rote „Boost“-Schalter am Lenkrad schon mehr Sinn: Nach dem Drücken stehen für zehn Sekunden – wohlweislich erst bei Geschwindigkeiten über 30 km/h – 70 Kilowatt Mehrleistung zur Verfügung. Um zum Beispiel auf einer kurvigen Landstraße in kürzester Zeit einen vorausfahrenden Lastzug raketengleich zu überholen. Und dank eines aufwendigen Kühlsystems lässt sich das Manöver nach einer Pause von zehn Sekunden gleich noch einmal wiederholen, ohne den entgegenkommenden Verkehr ernsthaft zu gefährden.
Erstaunlich niedriger Verbrauch
Insofern ist der RS e-tron GT trotz seines hohen Leergewichts von 2,3 Tonnen ein echter Sportwagen. Aber man kann mit ihm mit dem Wissen um die Leistungsfähigkeit des Antriebsstrangs auch herrlich cruisen. Vor allem über Landstraßen. Und so ganz relaxt im Eco-Modus. Denn trotz Sportfahrwerk und Leichtmetallrädern im 21-Zoll-Format bügelt der RS e-tron GT Fahrbahnunebenheiten locker weg. Und trotz eines Radstands von 2,90 Metern wuselt die Limousine so flott durch jede Kurve, dass manchem Insassen kurzzeitig Hören und Sehen verging. Die im Testwagen verbaute Allradlenkung samt Sportlenkung hatten daran gehörig Anteil – der Aufpreis von 1900 Euro dafür ist bestens angelegt.

Im Audi RS e-tron findet sich jeder Fahrer schnell zurecht. Auch weil es für häufig genutzte Funktionen immer noch analoge Schalter und Knöpfe gibt. Gewöhnungsbedürftig sind lediglich die Zierelemente aus Carbon in Camouflage-Optik – hochwertig sieht anders aus.
Das Erstaunlichste aber war der relativ niedrige Energieverbrauch: Trotz mancher Sprints auf der Autobahn und einer durchaus sportlichen Fahrweise über Land wies der Bordcomputer am Ende des Tests einen Durchschnittsverbrauch von lediglich 26,5 kWh auf 100 Kilometer aus. Da haben sich unter ähnlichen (winterlichen) Bedingungen deutlich kleinere und schwächere Elektroauto in der Vergangenheit deutlich mehr gegönnt.
Schneller lädt kaum ein anderes Elektroauto
Langstreckentouren mit dem Audi RS e-tron GT waren deshalb ein völlig entspanntes Vergnügen. Eine Reichweite von 533 Kilometern, wie sich auf dem Rollenprüfstand beim WLTP-Verbrauchstest erzielt wurde, ist im Alltagsverkehr selbst im Eco-Modus weitgehend illusorisch. Aber 400 Kilometer an einem Stück sind durchaus drin, wie eine Tour von Köln nach Stuttgart demonstrierte: Mit einem längeren Ladestopp in Stuttgart und einem kleinen Sicherheit-Ladestopp kurz vor dem Rheinland kamen wir gut hin und am gleichen Tag auch locker wieder zurück. Eine exzellente Ladeplanung machte es möglich.

Dank einer maximalen Ladeleistung von 320 kW dauern die Pausen an den Ladesäulen selten länger als 20 Minuten. Auch da macht das Performance-Modell der Baureihe seinem Namen alle Ehre.
Vor allem aber fielen die Pausen dank der hohen Ladeleistung des Audi an den High Power-Chargern von EnBW und Ionity erfreulich kurz aus. Den theoretischen Spitzenwert von 320 kW erreicht wir aufgrund der Außentemperaturen um den Gefrierpunkt zwar nicht. Aber knapp 270 kW waren bei beiden Stopps schnell erreicht. Und eine hohe Ladeleistung von über 200 kW lag erfreulich lange an. Das Ergebnis: Nach spätestens 20 Minuten war der 105 kWh fassende Akku wieder zu 80 Prozent gefüllt, konnte die Fahrt fortgesetzt werden. Das reichte mal gerade zum Checken der unterwegs eingegangenen E-Mails.
Testwagenpreis von über 200.000 Euro
Ja, der Audi RS e-tron ist schon ein tolles Elektroauto, neben dem Porsche Taycan Turbo das wahrscheinlich aktuell beste und beeindruckendste auf dem Markt. Trotzdem gibt es auch hier ein paar Punkte, über die man mäkeln kann. Etwa über das magere Platzangebot in der zweiten Sitzreihe oder über das geringe Stauvolumen im relativ schwer zugänglichen Kofferraum. Auch nervte die Beflissenheit des Autos gegenüber den regelwütigen EU-Bürokraten: Vor jedem Start musste der Fahrer quittieren, dass er mit der Erhebung von Fahrdaten für statistische Auswertungen, Fehleranalysen und die Weiterentwicklung des Gesamtsystems einverstanden ist.

350 Liter passen in den Kofferraum des Audi RS e-tron GT. Das bietet selbst ein VW ID.3 (385 Liter) etwas mehr.
Und natürlich schlägt sich der hohe technische Aufwand, den Audi bei seinem leistungsstärksten Serienfahrzeug betreibt, auch in der Preisliste nieder: Unter 160.500 Euro verlässt kein RS etron GT Performance die Böllinger Höfe in Neckarsulm. Und dabei bleibt es meistens nicht – die Liste der aufpreispflichtigen Extras ist lang. Allein das zugegebenermaßen famose Aktivfahrwerk schlägt mit 7000 Euro zu Buche, die Allradlenkung nochmals mit 1900 Euro. Um die Kräfte im Notfall schnell bändigen zu können, hatte der Testwagen zudem Keramikbremsen für 5600 Euro extra an Bord, obendrein allerlei Dekor-Elemente innen wie außen aus Carbon-Camouflage. Die natürlich ebenfalls bezahlt sein wollen. In Summe hätte uns der vollausgestattete Testwagen über 209.000 Euro gekostet.
Audi A4 eifert dem e-tron GT nach
Insofern wird der Audi RS e-tron GT wohl nur ein Exot auf unseren Straßen bleiben. Schade eigentlich. Aber vielleicht schafft es Audi ja, mit dem kommenden A4 e-tron ein ähnlich hochemotionales Elektroauto auf die Räder zu stellen, mit exzellenter Fahrdynamik und einer spektakulären Ladeperformance. Die Voraussetzungen dafür sind gut: Wie der große Bruder wird das Mittelklassemodell über ein 800 Volt-Bordnetz verfügen. Und wie wir hören, ist auch eine RS-Version des A4 geplant. Das Ganze für 60.000 Euro – das hätte was. Im kommenden Jahr werden wir schlauer sein.