Womit verbindet man eigentlich die Marke Audi? Mit dem Allradantrieb zum Beispiel. Oder mit Kombis, die in Ingolstadt Avant heißen. Die Rucksackautos sind bei den Deutschen nach wie vor beliebt, auch wenn ihnen die SUVs in den letzten Jahren etwas den Rang abgelaufen haben. Bei den sportlichen Kombis mit den vier Ringen darf es in Sachen Leistung gerne etwas mehr sein. Das ist bei den Modellen mit Verbrennungsmotor so – und bleibt auch bei den Stromern so.
Deshalb rollt der Audi S6 Avant e-tron mit 370 KW oder 503 PS Antriebsleistung (mit Launch Control sind es sogar 405 kW oder 551 PS) ab Mitte Februar kommenden Jahres zu den Händlern. Diese Kraft ist auch nötig, da der Ingolstädter Kombi gegen den BMW i5 M60 xDrive Touring (442 kW) antritt. Dieses weißblaue Duell hat Tradition. Daran ändert auch die neue Art des Antriebs nichts. Damit der BMW-Fahrer auch weiß, wer einen gerade überholt hat, leuchten beim Audi A6 e-tron als erstem Fahrzeug aus Ingolstadt die vier Ringe rot – wenn das 4200 Euro teure Tech Pro-Paket geordert wird. Licht und Audi, das ist ja eine ganz besondere Beziehung, die nun um eine weitere Nuance bereichert wird.
In Ingolstadt haben sie die Schlagzahl bei der Elektromobilität deutlich erhöht. Der Audi A6, den es auch noch mit Fließheck als Sportback gibt, ist bereits der zweite Stromer, der auf der neuen Premium-Platform Electric (PPE) basiert. Also hat die Batterie eine Nettokapazität von 94,9 Kilowattstunden, was beim S6 e-tron Avant nominell für eine WLTP-Reichweite von bis zu 647 Kilometern reichen soll. Dass das in der Realität und im Winter etwas anders aussieht, weiß jeder Fahrer eines Elektroautos. Bei uns zeigte das System bei einer Außentemperatur von 22 Grad und einem Ladezustand der Akkus von 98 Prozent eine Reichweite von 418 Kilometern an. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Bordcomputer immer die Verbrauchswerte der Vorfahrer als Berechnungsgrundlage heranzieht.
Flotter Lastesel mit Zugkraft
Ebenfalls aus dem Q6 e-tron ist die Kombination aus einer permanenterregten Synchronmaschine (PSM) hinten und einer Asynchronmaschine vorne bekannt. Daher beteiligt sich die Vorderachse nur bei Bedarf am Vortrieb, ansonsten läuft der Elektromotor ohne große Schleppverluste mit. Damit die Menschen beim Anblick des Stromers nicht zu sehr fremdeln, behält der S6 e-tron Avant mit einer Länge von 4,93 Metern und einer Breite von 1,92 Metern in etwa die Abmessungen des Modells mit traditionellem Antrieb bei.
Der Kofferraum des E-Kombis hat ein Fassungsvermögen von 502 Litern, das bis auf 1.422 Liter wächst, sobald man die Lehnen der Rückbank umlegt. Hinzu kommt noch ein 27-Liter-Frunk für das Ladekabel und Kleinkram vorne. Insgesamt zieht der Stromer aber gegenüber dem weiterhin angebotenen Audi S6 Avant TDI den Kürzeren, dessen Gepäckabteil zwischen 550 Liter und 1.660 Liter fasst.
Gleichstand herrscht dagegen bei der Anhängelast, denn auch der Avant e-tron kann bis zu 2,1 Tonnen schwere Anhänger ziehen. Allerdings halbiert sich dann die Reichweite. Ist lediglich eine Dachbox montiert, hat der Aerodynamiker Matteo Ghelfi einen konkreteren Wert parat: „Im Langstreckenzyklus bei 112 km/h mittlerer Geschwindigkeit reduziert der gesteigerte Luftwiderstand durch die Dachbox die Reichweite beim Avant um circa 121 km.“
Sportliches Anlenkverhalten
So weit, so gut. Doch alle diese wohlklingenden Daten und Werte sind Makulatur, wenn der Komfort und die Fahrdynamik nicht stimmen. Oder anders gefragt: Was helfen 503 PS, wenn sie auf der Straße nicht ankommen? Deswegen haben die Audi-Ingenieure am Fahrwerk gefeilt und im Vergleich zum A6 mit Verbrennungsmotor eine neue Vorderachse verbaut. Es handelt sich zwar nach wie vor um eine Fünflenker-Achse, jedoch nun ist der Führungslenker von hinten nach vorne gewandert.
Beim S6 e-tron sind unter anderem die Luftfederung samt adaptiven Dämpfern (beides serienmäßig), die Regelsysteme sowie der Allradantrieb etwas sportlicher ausgelegt. Die Karosserie bei der sportlichen Variante flitzt etwas tiefer über den Asphalt, als bei den zivileren Brüdern: An der Vorderachse um 18 Millimeter tiefer und an der Hinterachse 25 mm tiefer als beim serienmäßigen Dynamik-Stahlfederfahrwerk. Außerdem sind die Stabilisatoren beim S-Modell dicker als beim Standard-A6 e-tron. Wie beim Q6 e-tron sind auch beim A6 e-tron die Führungslenker in Fahrtrichtung vor den Traglenkern angeordnet. Das verschafft den Akkus Platz und verbessert gleichzeitig das Anlenkverhalten.
240 km/h Höchstgeschwindigkeit
Nicht nur das. Beim Beschleunigen aus der Kurve merkt man, sobald sich die ASM-Maschine vorne einschaltet und den Power-Kombi herauszirkelt. So wieselt der Avant schon recht flott um die Ecken. Aber das echte S-Feeling früherer Tage kommt nicht auf. Das liegt auch daran, dass es beim S6 Avant e-tron weder aktives Torque Vectoring noch ein Sperrdifferential an der Hinterachse gibt. Natürlich wird es noch eine RS-Variante mit all diesen Dynamik-Zutaten geben. Aber das ändert am Status Quo des aktuellen Top-Modells der A6-Avant-e-tron-Baureihe nichts. Außerdem ist Leistung bei Elektroautos kein Unterscheidungsmerkmal mehr. Aber etwas mehr Biss, etwas mehr Dynamik, einfach etwas mehr agilen Klingentanz hätten wir uns auch von dieser S-Variante gewünscht.
Das heißt aber nicht, dass der Audi S6 Avant e-tron nur mehr Leistung und Traktion bietet. Der Sportkombi macht einige Sachen gut. Der Komfort passt. Selbst im Dynamic-Fahrmodus ist die Abstimmung straffer, aber nicht unkommod. So lassen sich auch lange Distanzen entspannt zurücklegen.
Dazu tragen auch die Fahrleistungen bei. Während die schwächer motorisierten Brüder bei 210 km/h das Handtuch in den Ring werfen, geht es beim S6 bis zu 240 km/h weiter. Die sind allerdings abgeregelt. Schließlich will man noch Raum für den RS lassen. Den Standardsprint von null auf 100 km/h absolviert dieser Avant in 3,9 Sekunden. Wir kletterten mit dem Kombi bis auf 2.300 Metern Höhe und kamen auf einen Verbrauch von 23,2 kWh/100 km. Audi gibt 17,9 kWh/100 km an.
Basispreis identisch mit BMW
Im Innenraum stößt man auf die übliche PPE-Landschaft. Das bedeutet: gekrümmte Displays, flankiert von einem rechteckigen Bildschirm für den Beifahrer. Also ist das Display für die virtuellen Instrumente 11,9 Zoll groß, der Touchscreen bringt es auf stattliche 14,5 Zoll und der Beifahrer-Monitor auf 10,9 Zoll. Auch das Head-up-Display mit der hilfreichen Augmented Reality ist beim S6 e-tron Avant an Bord. Schaut alles gut aus und man findet sich ohne lange Eingewöhnungszeit zurecht.
Ein Highlight ist das Glasdach, das blickdicht oder getönt sowie sogar als „Pergoladach“ (Aufpreis: 2300 Euro) mit abwechselnd getönten und blickdichten Segmenten geschaltet werden kann. Allerdings treiben solche Extras den ohnehin schon nicht geringen Preis des Audi S6 Avant e-tron von 101.150 Euro noch zusätzlich in die Höhe. Interessanterweise hat der BMW i5 M60 xDrive Touring übrigens das identische Preisschild.