Für verrückte Sachen war Citroën ja schon immer zu haben, da fällt uns nicht nur die Ente (ja, korrekt 2CV) ein, die in hübscher Schräglage durch alle Kurven flog. Auch der Ami 6 aus den 1960er Jahren mit der nach hinten geneigten Heckscheibe fällt uns da ein. Kinder, wie die Zeit vergeht. Aber nun, trara, dieser zweisitzige Zauberwürfel mit der knautschigen Boxernase, der, wusch, alle unseren Mobilitätsprobleme in der Stadt lösen soll. Wirklich süß. Dazu voll öko, weil voll elektrisch. Und im Gegensatz zur Ente kann dieser Stromer von jedem, der mindestens 16 Jahre (15 in Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen) alt ist und einen Führerschein der Klasse AM (genau: für Moped, Roller und so) hat, gesteuert werden. „Eine einzigartige Mobilitätserfahrung“, wirbt Citroën überschwänglich. Okay, das lassen wir jetzt erst mal so stehen.

Da wartet der kleine Franzose. Bonjour, Ami. Ist ja wirklich ziemlich kurz. Läppische 2,41 Meter lang (gut 10 Zentimeter kürzer als der erste Smart, nur sieben Zentimeter länger als der Renault Twizy), ohne Außenspiegel lediglich 1,39 Meter breit, aber hutfreundliche 1,52 Meter hoch. Ein Wendekreis von nur 7,20 Metern mit den kleinen 14-Zoll-Rädern. Super Rundumsicht dank großer Glasflächen. Ist klar: Vor uns steht der geborene Parkplatzsieger. Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen, aber unsere Lücke wartet schon auf uns. Immer. Garantiert.

Auch die angesagte Reichweite des Kleinen sollte für die tägliche Pendelei in die City passen: 75 Kilometer nach dem hier angesetzten WMTC-Testzyklus für Motorräder. Und die flach im Heck installierte Lithium-Ionen-Batterie mit ihren schlanken 5,5 Kilowattstunden (kWh) Kapazität soll an der Haushaltssteckdose in rund drei Stunden wieder voll geladen sein. Das dazugehörige Kabel findet sich gleich in der Säule der Beifahrertür. Gegen Aufpreis wird es später einen Adapter für den Typ-2-Anschluss an der heimischen Wallbox und an öffentliche AC-Ladesäulen geben. Bisschen nervig: Das Kabel ist zwar drei Meter lang, muss aber beim Verstauen etwas mühselig zurückgestopft werden. Denn eine Aufrollautomatik wie beim Staubsauger fehlt leider.

Wo ist vorne, wo ist hinten?

Rein in die coole Kiste, die aus nicht einmal 250 Teilen (Front- und Heckend sind identisch!) besteht und rundherum mit blaugrau eingefärbtem Kunstoff beplankt ist. Kein Türgriff. Äh, wie öffnen? Kann mal bitte jemand kommen? Aha, das funktioniert hier, wie wir dann erfahren, mit einem kräftigen Druck auf den Türknopf. Der Einstieg selbst geht völlig easy, die bemerkenswert großen Türen sind da sehr hilfreich. Sie öffnen allerdings in entgegengesetzte Richtungen: gegenläufig auf der Fahrerseite, klassisch auf der Beifahrerseite. Daran würden wir uns schnell gewöhnen, auch wenn das für den Fahrer in engen Quer-Parklücken etwas tricky ist.

Platz ist in der kleinsten Hütte
Nur 2,41 Meter lang, 1,39 Meter breit und 1,52 Meter hoch ist der Ami. Zwei Personen und ein wenig Gepäck bietet die coole Kiste Platz. Foto: Citroën

Drinnen jedoch erfreut eine erstaunliche Bewegungsfreiheit, selbst für unsereins mit 1,94 Meter Körpergröße ist über dem Scheitel noch gut Platz. Und der einteilige, mit dünnen Auflagen gepolsterte Fahrersitz ist immerhin längsverstellbar, der des Beifahrers gar nicht: Er ist fest montiert. Mittelarmlehne? Nö, da müssen wir kuscheln. Kopfstützen? Vorhanden, aber für uns deutlich zu kurz. Aber jetzt der super Gag: Als Anspielung auf Citroëns Historie werden die Seitenfenster wie beim 2CV (da ist er wieder!) hälftig und manuell nach oben geklappt.

Ganz oben kein luftiges Faltschiebedach wie seinerzeit in der Ente, sondern serienmäßig ein Panoramaglasdach, das sich (da müssen wir ein bisschen schmollen) jedoch nicht öffnen lässt. Man kann nicht alles haben. Weiter zur nächsten Frage. Wo lassen wir im Kurzen unseren städtischen Krimskram? Kaffeebecher, Sonnenbrille, Schlüssel, Rucksack, Sportzeugs und so. Beifall, denn hier gibt es im gesamten Innenraum ordentliche Stauräume: riesige Netztaschen in den Seitentüren, vorn ein XXL-Haken für Einkaufstüten, diverse Ablagekästchen (auch mit Deckel) auf dem Armaturenbrett. Dann diese praktische Ladehöhle vor dem Fußraum des Beifahrers, in die sogar ein gängiger Trolley passen soll, wenn er nicht übertrieben vollgestopft ist. Müsste ebenso für eine kleine Getränkekiste reichen. Auch hinter den Sitzen warten noch einige Liter Stauvolumen.

Strapazierfähiger Innenraum

Ansonsten ist im strapazierfesten Plastik-Innenraum des Ami alles so übersichtlich und zackig sortiert wie im Spind eines Feldwebels. Beinahe unfranzösich. Gerade Linien, symmetrische Formen, klare Kanten. Eine schlichte Schlaufe ersetzt den Türgriff, die schachbrettartigen Grafiken im kleinen Fahrerdisplay auf der Lenksäule zeigen relevante Fahrzeug- und Unterwegsinfos: elektrische Reichweite, Kilometerstand, Geschwindigkeit und mehr. Weiter rechts im Cockpit kann das Smartphone eingesteckt werden, das so ruck, zuck zum Hauptbildschirm im Cockpit wird. Für den Zugriff auf Navigation (TomTom Go, Google Maps etcetera), Musik und so weiter. Der USB-Anschluss ist gleich nebenan. Und per »My Citroën«-App gibt es den Zugriff auf das ganze aktuelle Autoleben: Reichweite, Ladestatus, verbleibende Zeit bis zur vollen Ladung, Kilometerstand, Wartungshinweise, Planung von Werkstatt-Terminen, erreichbare Ladestationen. Was wir so im Alltag brauchen.

Härtetest für Zwei
Die einteiligen Kunststoff-Sitze sind nur dünn gepolstert. Der Fahrersitz ist immerhin längs verstellbar. Aber eine Lehnenverstellung gibt es hier wie da nicht. Foto: Citroën

Auf dem Cockpit findet sich auch eine praktische Vertiefung für eine wummernde Bluetooth-Boombox, die der Ami schlauerweise gleich im Zubehörprogramm hat. Daumen hoch und her mit unseren Spotify-Mixtapes. Die hier vorn vielleicht erwarteten Airbags gibt es hingegen nicht. Dennoch, so wird uns versichert, soll das Autochen durch seine ausgeklügelte Rohrrahmen-Konstruktion sehr sicher sein. Seine vordere Partie mit der relativ langen Knautschzone stamme schließlich fast original von der modularen Kleinwagen-Plattform (CMP) des PSA-Konzerns. Sicherheitsgurte, Warnblinker? Die gibt es immerhin.

Unglaublich kleiner Wendekreis

Los geht’s. Zündschlüssel rum, Taste »D« gedrückt (links unten neben dem Fahrersitz), runter mit dem Fahrpedal. Oha, der Fronttriebler, der mit seiner 6 Kilowatt (8 PS) leistenden E-Maschine nicht gerade übermotorisiert ist, zischt los wie Irrwisch. Auf den ersten Metern fahren uns die großen Benziner an der Ampel kaum davon. Die Fuhre wiegt mit ihren 471 Kilo ja noch dramatisch weniger als der in Berlin noch gut bekannte Duroplast-Trabi (620 Kilo). Davon entfallen übrigens rund 60 Kilo auf die Batterie. Auch flitzt der Ami extrem flott um die Ecken, er lädt uns (psst!) beinahe zum Driften ein. Dabei hilft ihm seine, nun ja, sportlich straffe Federung, die mit gutem Willen auch für Softies passt. Und der Wendekreis des Kurzen ist unglaublich. Der Ami dreht fast auf dem Teller.

Aber, das muss jetzt knallhart gesagt werden, bei Tempo 45 ist definitiv Schluss. Lahme Ente oder was? Ruhig Blut, denn das mit dem Speed ist, wie so vieles im Leben, letztendlich relativ. In Berlin zum Beispiel kommt gefühlt alle 500 Meter eine Verkehrsampel. Bremsen, Leute. Und was hier nur einheimische Beamte aus dem Kopf wissen: Im 6635 Kilometer langen hauptstädtischen Straßennetz ist mittlerweile auf 3987 Kilometern Tempo 30 angeordnet. Vom täglichen Berliner Staugeschleiche gar nicht zu reden. Mit anderen Worten: Da müssen wir uns im Ami nur selten vor Dränglern ängstigen. Fast alle anderen sind auch nicht schneller als wir.

Alles Wesentliche auf einen Blick
Schachbrettartige Grafiken im Fahrerdisplay auf der Lenksäule zeigen alle relevanten Informationen: Geschwindigkeit, Reichweite, Kilometerstand. Das muss genügen.

Logisch, das mit den 45 km/h ist ja die gesetzliche Voraussetzung für die so einladende Führerscheinklasse AM. So passt dieser Ami eben für fast jede Altersklasse. Ab Teenager aufwärts bis zum Geschäftsmann. Auch ideal für Senioren allerlei Geschlechts. Eigentlich für sämtliche Einsatzzwecke, wenn wir mal die Autobahn unauffällig vernachlässigen. Sogar fein fürs flache Land draußen, wo die Busnetze ausgedünnt und die Supermärkte nicht gleich um die Ecke sind. Ist ja überhaupt eine krasse Fehleinschätzung, zu glauben, Kurzstreckenverkehr wäre etwas typisch Städtisches. Logisch, rein funktional hat das Citroen-Marketing als Klientel natürlich die Heerscharen von Car-Sharern, E-Scooter- und Fahrradfahrern im Auge. Liebe Kunden, im Ami habt ihr mehr Wetterschutz, Unabhängigkeit, Privatsphäre, Sicherheit, Akustik, Helligkeit, Gemütlichkeit und Lebensqualität. Was vergessen?

Wirklich jeder dreht sich nach ihm um

Mehr Ernst und zurück zum Auto. Unterwegs im Berliner Verkehrsgewühl fällt uns gerade so einiges auf. Beispiele? Gern. Nach einer halben Stunde betteln wir für die Bequemlichkeit um eine Lehnenverstellung für den Fahrersitz. Ist übertrieben, aber für breitere deutsche Figuren dürften die Sitze zumindest etwas schmal geraten sein. Und das Geräusch des Elektromotors da vorn ähnelt frappierend dem der E-Fahrräder der Berliner Postboten. Lässt sich da mit etwas Feintuning noch was modulieren? Denn bei vollem Tempo fiept es uns einen Tick zu hoch. Und ja, die beiden runden, manuell verstellbaren Außenspiegel ersetzen nicht den fehlenden Innen-Rückspiegel. Noch was? Das Gebläse für die Frontscheibe hat nur eine Stufe, die Heizung ebenso. Und der Lüftungs-Heizungs-Schlitz ist nicht besonders groß. „In zehn Minuten haben Sie im Winter zehn Grad mehr im Auto als beim Losfahren“, hat der Produktmanager vorhin versprochen. Da sollen wir uns mal keine Sorgen machen.

Mit Haken und Ösen
Im Fußraum vor dem Beifahrer oder am Haken vor ihm wird das Reisegepäck verstaut. Die Türen werden mit Schlaufen zugezogen. Und die Fenster lassen sich wie bei der „Ente“ hälftig nach oben klappen. Wer braucht schon elektrische Fensterheber? Foto: Citroën

Genug gemeckert. Tatsächlich haben wir uns in der City schnell an den rührenden Kleinen gewöhnt. Echt, dieser Ami ist eine herrliche Unterbrechung unserer Alltagsroutine, und sein Aufmerksamkeitswert übertrifft so ziemlich alles hier. Absolut jeder dreht sich um, besonders als wir zwischen den vielen Touris am Brandenburger Tor herumkreuzen. Kurz danach bietet uns Unter den Linden ein verbissener Porsche-Fahrer (Stuttgarter Kennzeichen) quasi ein Rennen an, das er erst mit vielen Längen gewinnt, dann aber grandios verliert. Weil er in der Baustelle (davon haben wir nämlich viele auf dieser Prachtstraße) am Ende in der völlig falschen Spur steht. Schadenfreude beim Ami-Piloten.

Ohne Fernlicht und Lichthupe

Ach ja, weil uns gerade ein Kleintransporter übersehen hat, wollen wir verärgert mit der Lichthupe auf uns aufmerksam machen. Doch auf den üblichen Hebelzug am linken Hebel geht der Scheibenwischer an. Haha. Merke: Abblendlicht leuchtet hier permanent, nix Fernlicht. Inzwischen wissen wir auch, wozu das lichtspendende Panoramadach noch gut ist: Mit ihm kann man ohne Verrenkungen hoch hängende Verkehrsampeln sehen. So, und ganz am Ende, als wir nach einer guten Stunde und 25 durchweg zügig gefahrenen Kilometern den Kleinen am hippen Berliner „Student Hotel“ (wie passend) wieder abgeben müssen, gibt es noch eine freudige Überraschung. Denn das Display zeigt uns, dass er noch Batteriereserven für weitere 35 Kilometer hätte, obwohl er beim Start nicht voll geladen war. Über 60 Kilometer Reichweite sind für den Ami, der wie seine großen E-Brüder beim Bremsen einige Energie zurückholt, also durchaus real.

Für die jüngere Klientel dürfte sein Outfit die größere Rolle spielen. Da geht so einiges über die diversen witzigen Zubehörpakete. Erst recht mit der Individualisierung über verschiedene Modellversionen. Jedenfalls läßt sich das blaugraue Basismodell mit allerlei peppigem Dekokram und knalligen Farbklecksen ganz schön aufrüsten. Vom wilden „My Ami Orange“ (genau, unser Testwagen) bis zum „My Ami Pop“ oder dem Topmodell „My Ami Vibe“. Die beiden Letzteren haben zum Aufmöbeln einen kecken schwarzen Heckspoiler auf dem Dach. Eigentlich out – hatten wir gedacht.

Leider ohne Aufrollautomatik
Das drei Meter lange Ladekabel für die Schuko-Steckdose steckt in der Säule der Beifahrertür. Später soll es auch auch einen Adapter geben, damit er an Wallboxen und öffentlichen Ladesäulen Strom ziehen kann. Foto: Citroën

Was der Ami denn nun kostet? Holla, in Frankreich ist er ab 6900 Euro zu haben. Damit liegt er auf dem Niveau des Renault Twizy Life (ab 6774 Euro plus Batteriemiete). Für Deutschland aber, wo die Markteinführung des Ami für das erste Quartal 2021 geplant ist (Bestellstart noch vor dem Jahresende), gäbe es, sorry, noch keine finalen Preise, bescheidet uns der hierzulande zuständige Pressechef Christopher Rux. „Aber sie werden ähnlich sein wie in Frankreich“. Klingt doch schon mal gut. Auch fürs Leasing soll das reizvolle Preisgefüge unserer Nachbarn ein Anhaltspunkt sein. Bei einer Anzahlung von 2400 Euro gibt es den Ami drüben für nur 19,99 Euro im Monat. Das Level eines Smartphone-Tarifes. Günstiges Carsharing? Kommt. Ab ungefähr 0,26 Euro pro Minute. Lieferung vor die Haustür? Kostet 200 Euro extra. Eine günstige Ami-Versicherung? Geplant. Ebenso ein breites Servicenetz, auch von freien zertifizierten Werkstätten oder den Partnern des Eurorepar Car Service-Netzes.

Einfach bestellen wie ein Amazon-Paket

Und wo bitte gibt es den Ami zu kaufen, wollen wir noch wissen. Nicht nur bei den Citroën-Händlern, hören wir, sondern auch (lässig vom Sofa aus) mit wenigen Klicks im Internet. Konfigurieren, absenden. Rux: „Den können Sie dann kaufen wie ein Amazon-Paket“. Außerdem werde für Deutschland noch ein Kooperationspartner für den Vertrieb gesucht, „die Gespräche laufen.“ In Frankreich, sind es übrigens die Partner-Läden des Medien- und Kulturkonzerns Fnac Darty. Finale Frage: Wie viele Exemplare des Stromers denn im nächsten Jahr nach Deutschland kommen? „Genügend“, grinst Rux. Mehr darf er nämlich noch nicht sagen.

Ein Schlusswort? Egal wie das Abenteuer ausgeht – da haben sie sich bei Citroen mal wieder was getraut. Womöglich wird dieser schräge Ami, der einen braven Mitmenschen in Nullkommanichts in einen rebellisch coolen Typen verwandelt, ja ein wilder Verkaufsrenner bei uns. Oder auch nicht. Wir nehmen Wetten entgegen.

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3 Kommentare

  1. rabo

    Senioren allerlei Geschlechts…Danke für den informativen und erfrischenden Berichtsstil!
    Mir würde das nicht zu öffnende Dach am meisten fehlen – wie bei meinen lange geliebten Enten. Ich bleibe daher weiterhin meinem Smart EQ Cabrio treu, das allerdings 4x soviel kostete.

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  2. RK

    Hoffentlich wird es noch eine Variante mit 80 km/h geben, dann wäre das ein guter Twizy Ersatz.

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  3. Michl Koch

    Danke für die „längst verstellbaren Sitze“. Da weiss man, dass in 125 Jahren Automobilgeschichte nicht allzuviel schief gelaufen sein kann. Colle Story für einen waschmaschinen-antrieb auf Wanderschaft…;-)

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