Die Produkte der Daimler Truck AG, ob batterieelektrisch oder wasserstoffbetrieben, sind startklar – der akkubetriebene Mercedes eActros für Strecken bis 500 Kilometer und der mit einer Wasserstoff-Brennstoffzelle betriebene Mercedes-Benz GenH2 für Transporte über bis zu 1000 Kilometer. Letztere können jetzt auch tanken. Und zwar so schnell wie ihre Diesel-Kollegen. Der Grund dafür ist die von Linde Engineering und Daimler Truck in engem Austausch entwickelte Flüssigwasserstoffbetankung mit der sogenannten sLH2 („subcooled Liquid Hydrogen“) -Technologie.
„Wir sind aus dem Startblock raus. Das Henne-Ei Problem liegt hinter uns, aber der Weg ist noch lang“, verkündete der Technologievorstand bei Daimler Truck Andreas Gorbach bei der Inbetriebnahme der weltweit ersten Tankstelle dieser Art steht an der B 9 in Wörth am Rhein, unweit des Entwicklungs- und Forschungszentrums (EVZ) der Daimler Truck AG.

Unweit des Daimler-Werks in Wörth ist jetzt die erste öffentliche Tankstelle für tiefgekühlten Flüssig-Wasserstoff eröffnet worden. Linde plant den Bau von mehreren hundert Tankstellen des neuen Typs in Europa. Fotos: Daimler Truck
Die Tankstelle ist öffentlich, der Speicherturm weithin sichtbar. Sie kann also leicht von jedem LKW angefahren werden, sofern dieser Flüssigwasserstoff tanken kann. Deren Zahl soll spätestens in der zweiten Hälfte der Dekade spürbar zunehmen, so das erklärte Ziel von Daimler Truck und Linde, dem weltweit größten Betreiber von Produktions- und Verteilungsinfrastruktur für Wasserstoff.
Flüssig-Wasserstoff tiefgekühlt
Gut 20 Jahre sind vergangen, seit Linde erstmals großflächig in ein Tankstellennetz für Wasserstoff einsteigen wollte. Damals gasförmig und ab 2013 mit einem Druck von 500 bar zur Betankung. Jetzt spricht Linde von einem technologischen Quantensprung. Denn ab sofort ist das für viele Jahre Undenkbare möglich geworden: Verflüssigter Wasserstoff kann genauso schnell getankt werden wie Diesel, den er für Langstecken sukzessive ablösen soll.

Das neue sLH2-Verfahren erleichtert die Betankung von mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzellen-Lkws enorm.
Beim sLH2-Verfahren wird Flüssigwasserstoff auf minus 253 Grad Celsius heruntergekühlt. Er kann so in die Speicher gefüllt, dort lange aufbewahrt und ohne weitere Zwischenschritte direkt in die Tanks der Lastzüge eingefüllt werden und von der Brennstoffzelle an Bord in Fahrstrom umgewandelt werden. Der Speicher an der Tankstelle in Wörth fasst 70.000 Liter oder vier Tonnen Wasserstoff. Damit lassen sich zehn Stunden lang Fuel-Cell-Trucks nonstop betanken. Zudem, so Linde Engineering, ließe sich die Kapazität der Tankstelle durch zwischenzeitliches Nachfüllen leicht auf über acht Tonnen pro Tag erhöhen.
sLH2-Tanken soll Branchenstandard werden
Weil das gesamte Konzept äußerst anwenderfreundlich ist, soll sLH2 Tanken möglichst schnell zum Branchenstandard werden. Dafür sprachen sich Gorbach und Jürgen Nowicki, der CEO von Linde Engineering, ausdrücklich aus. In engem Austausch haben beide Unternehmen den neuen Tankstandard entwickelt. Nowicki bewertet den ultrakalten flüssigen Wasserstoff als „praktische, CO2-neutrale Alternative zur Dieselbetankung im Schwerlastverkehr.“
Einhellig betonen Nowicki und Gorbach, dass dieses Tanken den Weg „für eine flächendeckende Betankungsinfrastruktur ebnet, auf die Logistikketten heute angewiesen sind.“ Deshalb ist es nur konsequent, dass die neue Technologie über eine ISO-Norm für alle weiteren Kunden und Partner zugänglich ist. So soll zügig ein globaler Massenmarkt für dieses Verfahren entstehen. In Duisburg zum Beispiel soll schon in Kürze die zweite sLH2 Tankstelle von Air Products in Betrieb gehen.

Die beiden Wasserstoff-Tanks sind beim GenH2-Truck von Daimler miteinander verbunden. Eingefüllt werden kann der flüssige Wasserstoff von beiden Seiten, was das Handling an der Tankstelle erheblich vereinfacht. Foto: Roeder
Das Betanken mit sLH2 hat sowohl für die Nutzer als auch für die Betreiber einer solchen Tankstelle erhebliche Vorteile. Zusammengefasst vereinfacht sich das gesamte Tankprocedere erheblich bei gleichzeitig höherer Leistung. Der Tankrüssel wird einfach angesetzt, eine Datenübertragung zwischen Tankstelle und Fahrzeug ist nicht mehr nötig. Vollgetankt mit 80 Kilogramm Flüssigwasserstoff ist der Lkw in zehn bis 15 Minuten. Für den Betankungsvorgang ist auch keine spezielle Sicherheitsausrüstung erforderlich. Der Tankrüssel kann zudem an beiden Seiten des Lkw-Chassis angesetzt werden. Beim GenH2 Truck sind die zwei Tanks miteinander verbunden, so dass der Wasserstoff von einem zum anderen fließen kann.
50 Quadratmeter Fläche reichen
Was bisher als Argument gegen flüssigen Wasserstoff verwendet wurde, greift nicht mehr dank neuer Technologie, argumentieren die Unternehmen. Der Wasserstoff bleibt lange im Tank, vermeidet den sogenannten Boil-off-Effekt: Bei der Betankung mit flüssigem Wasserstoff wurde bisher ein Teil davon gasförmig und musste über eine zweite Leitung abgesaugt werden. Das neue Verfahren sorgt sozusagen für eine lückenlose Lieferkette. Ein Daimler-Ingenieur drückt es so aus: „Befüllte man unsere Tanks mit Kaffee, so wäre der nach einem halben Jahr noch heiß.“
Zudem ist der Platzbedarf dank der neuen Technik gering: Es reichen 50 Quadratmeter Fläche. Wie bei Diesel-Zapfsäulen ist auch ein paralleles Betanken von Fahrzeugen möglich. Und beim Betanken mehrerer Fahrzeuge hintereinander braucht es im Unterschied zur Befüllung mit gasförmigem Wasserstoff keine Pausen für den Druckaufbau. Mehr als 400 Kilogramm Wasserstoff können so in einer Stunde fließen. Im Unterhalt seien diese Tankstellen wirtschaftlicher und wartungsärmer als konventionelle Wasserstoff-Tankstellen. Linde und Daimler Truck sprechen von Investitionen, die sich um Faktor zwei bis drei reduzieren. Die Betriebskosten fallen sogar um das Fünf- bis Sechsfache, heißt es.

Daimler Truck-Chef Andreas Gorbach (rechts) und Jürgen Nowicki von Linde Engineering betanken den Mercedes-Benz GenH2 Truck an der neuen Tankstelle in Wörth mit tiefgekühltem Flüssigwasserstoff.
Jetzt fehlen nur noch die Lastzüge – und grüner Wasserstoff in ausreichenden Mengen für deren Betankung. Immerhin fünf Mercedes-Benz GenH2 Trucks sollen schon in wenigen Monaten in die Kundenerprobung gehen, weitere Lastzüge schnell folgen. Parallel dazu will Linde in Europa ein Netz von mehreren hundert Wasserstoff-Tankstellen aufbauen. Zwischen vier bis fünf Euro soll dort das Kilogramm Wasserstoff kosten. Zum Vergleich: An den Tankstellen von H2 Mobility in Deutschland wird gasförmiger Wasserstoff aktuell für 15,75 Euro abgegeben.
Auch Air Liquide und Total investieren in H2
Linde Material Handling ist nicht das einzige Unternehmen in Europa, das auf den Einsatz von Wasserstoff auch im Straßenverkehr setzt. Beinahe zeitgleich zur Eröffnung der Tankstelle in Wörth gaben in Frankreich Air Liquide und Total Energies bekannt, ein gemeinsames Netz von Tankstellen für allerdings gasförmigen Wasserstoff aufbauen zu wollen. Dazu gründeten beide Unternehmen ein Joint Venture namens „Teal Mobility“. Noch in diesem Jahr will dieses rund 20 Tankstellen in Deutschland und den Benelux-Staaten eröffnen. In 10 Jahren soll das Teal-Mobility-Netz rund 100 Standorte umfassen, teilte das Unternehmen mit. „Wir glauben, dass der beste Weg, die Wasserstoffzukunft vorherzusagen, darin besteht, sie zu erschaffen“, sagt Teal-CEO Florentin de Loppinot. Seine Kollegen bei Linde und Daimler Truck würden ihm da sicher zustimmen.
Woher soll in Zukunft der grüne Wasserstoff kommen?
Habeck fragen. U.a. Aus Algerien