Martin Daum, 65, zählt zu den Granden der deutschen Autoindustrie. 37 Jahre lang war der studierte Betriebswirt und gelernte Bankkaufmann für die Nutzfahrzeugsparte von Mercedes-Benz tätig, in der Produktion und in Nordamerika, zwischen 2021 und bis zum 30. September 2024 als Vorstandsvorsitzender der Daimler Truck Holding AG, die er zuvor an die Börse gebracht hatte. In Branchenkreisen gilt er bis heute als Mann der klaren Worte. Und nicht nur dort: Kürzlich sprach er im sogenannten Johannesforum der Evangelischen Kirchengemeinde Wendlingen am Neckar über die Transformation der Autoindustrie, steigende Energiekosten und die Zukunft von Elektro- und Wasserstoffantrieben. Ist die Branche bereit für den Wandel?Das wollten auch wir von ihm wissen.

Nach einer Lehre als Bankkaufmann, einem Studium der Betriebswirtschaftslehre und drei Jahren als Unternehmensberater kam der gebürtige Karlsruher 1987 zur damaligen Daimler-Benz AG. 2009 wurde Daum President und CEO von Daimler Trucks North America, 2017 Leiter der Geschäftsfelder Daimler Trucks und Daimler Buses. Vom 1. Dezember 2021 bis zum 30. September 2024 leitet er als Vorstandsvorsitzender die Geschicke der börsennotierten Daimler Truck Holding AG. Derzeit arbeitet er an seiner Familienchronik.
Herr Daum, VDA Präsidentin Hildegard Müller forderte kürzlich eine Überprüfung der geplanten CO2-Grenzwerte für die Pkw- und Nutzfahrzeugflotten. Die Grenzwerte seien 2019 unter anderen Rahmenbedingungen gesetzt worden, seitdem habe sich die Welt weiter gedreht. Teilen Sie die Auffassung?
Dazu muss ich ein wenig ausholen. Wir haben bis 2030 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 einzusparen. Jetzt bin ich mal Optimist und sage: 15 Prozent kann man maximal mit herkömmlichen Maßnahmen beim Diesel erreichen. Über die Reduzierung des Luftwiderstands, weitere Optimierungen am Motor und ähnliche Maßnahmen. Der eine oder andere Entwickler wird sagen: Das ist typisch Daum – also überoptimistisch. Aber auch so fehlen uns dann noch 30 Prozent, um die CO2-Ziele zu erreichen.
Und wie schafft man das?
Mit Zero Emission Fahrzeugen. Diese 30 Prozent Zero Emission sind zweifelsohne ein sinnvolles Ziel, um den Klimawandel zu bekämpfen. Wenn wir es verfehlen, leidet die Umwelt. Insofern ist es kein schlechtes Ziel. Es wird aber aus heutiger Sicht unwahrscheinlich schwierig zu erreichen sein, solange CO2 nicht teurer wird.
Sie würden aber schon an dem Ziel festhalten wollen?
Ja. Denn es geht um grundlegende Fragen: Ist der Klimawandel menschengemacht? Bei dieser Frage habe ich meist 90 Prozent der Zuhörer auf meiner Seite. Die zweite Frage lautet: Soll man etwas dagegen unternehmen – oder soll man die Dinge so weiterlaufen lassen wie bisher? Da ist das Echo ungefähr 75 Prozent zu 25 Prozent. Aber auch eine Zustimmung von drei Viertel der Befragten ist eine überwältigende Mehrheit. Ich warne dann aber auch immer: Es wird teurer werden.
Und dann dreht sich die Stimmung?
Genau. Dann ist nur noch ein Viertel für Maßnahmen gegen den Klimawandel. Die Position der Mehrheit ist dann: Es darf weder eine Verhaltensänderung bedeuten noch darf es mehr kosten. Das ist meiner Meinung nach das Grundproblem bei diesem Thema.
Wie also kommt man weiter?
Wir werden die Verteuerung auf die Dieselfahrzeuge aufschlagen müssen. Nicht etwa weil die bösen Nutzfahrzeug-Hersteller die armen Spediteure triezen wollen. Der Aufschlag ist indirekt eine Besteuerung der CO2-Emissionen. Deutschland hat im Nutzfahrzeug-Bereich – anders als bei PKW – die Möglichkeit, über eine CO2-basierte Maut die Entwicklung zu lenken. Darüber fahren im Langstrecken-Verkehr elektrisch betriebene Lkw günstiger als Diesel-Laster. Die Möglichkeit dazu ist gegeben, die Politik muss es nur entscheiden.

„Erst, wenn die Ladeinfrastruktur vorhanden ist, können wir die Fahrzeuge auch in großem Stil verkaufen.“ Fotos: Mercedes-Benz Trucks
Die Spediteure würden ihre Mehrkosten beim Transport aber sicher an ihre Kunden weiterreichen, womit wir es alle im Geldbeutel spüren würden.
Das ist so. Aber dieser Mehrpreis beim Diesel würde ausreichen, um im Güterfernverkehr den Elektroantrieb konkurrenzfähig zu machen. Und das nicht in Deutschland: Die CO2-basierte Maut muss europaweit gelten. Und die Mehreinnahmen aus der Maut müssen dafür eingesetzt werden, um die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge aufzubauen. Bei meiner letzten Hauptversammlung, habe ich vorgerechnet, dass wir bis 2030 jeden Monat etwa 600 neue Ladesäulen in Europa brauchen. Derzeit kommen europaweit aber weniger als hundert Ladesäulen im Monat hinzu. Damit steigt die Problematik rasant.
Ohne eine flächendeckende Ladeinfrastruktur aber dürfte die Nachfrage nach Elektro-Lkw sinken, oder?
Der neue Mercedes eActros 600 ist im Fernverkehr ein super Fahrzeug. Aber erst, wenn die Ladeinfrastruktur vorhanden ist, können wir die Fahrzeuge auch in großem Stil verkaufen. Lassen Sie es mich so sagen: Ist die Ladeinfrastruktur nicht da, wird mit äußerstem Bedauern kein Lkw-Hersteller, kein Kunde bei der Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs helfen können. Dann werden Stand heute Strafen fällig. Die wird am Ende der Kunde zahlen müssen. Meine Forderung ist daher ganz klar und etwas differenzierter als die des VDA: Die Maut europaweit muss daran geknüpft sein, in den Jahren 2026 und 2027 die Ladeinfrastruktur für den Fernverkehr mit Volldampf auszubauen. Nur so kann der Wandel gelingen.
Besonders optimistisch klingen Sie da aber nicht.
Ich habe immer den Dreiklang aus Produkt, Kosten und Infrastruktur betont. Beim Produkt bin ich optimistischer als ich es vor zwei oder drei Jahren war. Die Fahrzeuge sind ausgezeichnet, insbesondere die unserer Firma. Und ich weiß, was alles noch in den Pipelines steckt. Bis 2027/2028 werden wir noch bessere Produkte haben als heute – sowohl mit Wasserstoff- als auch mit Batterieantrieb. Da ist mir nicht bange. Zweitens: Die CO2-basierte Maut wird kommen, zudem werden Benzin und Diesel durch die Abgabe auf klimaschädliche Kraftstoffe teurer.

„Bis 2027/2028 werden wir noch bessere Produkte haben als heute – sowohl mit Wasserstoff- als auch mit Batterieantrieb.“
Da werden sich aber viele ein eigenes Auto nicht mehr leisten können.
Dann muss es halt zum Wohngeld auch noch ein Mobilitätsgeld für Einkommensschwache geben. Daran ist aber nicht die Industrie schuld. Es hat auch nichts mit Lenkungspolitik für die Industrie zu tun. Und noch einmal zurück zu den Kosten: In dem Punkt bin ich nicht pessimistischer geworden. Bleibt also die dritte Komponente, die Infrastruktur. An dieser Stelle war ich schon früher nicht optimistisch. Und ich bin es heute noch weniger.
Sie meinen die Infrastruktur zur Versorgung der neuen klimafreundlichen Lastzüge mit Energie, also mit Strom und Wasserstoff?
Beim Wasserstoff bin ich heute etwas pessimistischer als ich es ursprünglich war. Denn der Aufbau der Tankstellen zieht sich hin. Aber auch, was den Aufbau der Schnellladeinfrastruktur anbetrifft, bin ich skeptisch. Meine Formel „Infrastruktur mal Kosten mal Produkt“ bleibt. Und wenn ein Element null ist, ist es völlig egal, wie gut die anderen zwei Elemente sind – das Gesamtergebnis bleibt null. Heute sind dank Maut und CO2-Bepreisung – weder die Kosten null noch die Produkte. Aber die Infrastruktur ist immer noch null. Und da die drei Parameter multiplikativ verknüpft sind, ist das Gesamtergebnis immer noch null. Hinzu kommt, was ich immer wieder sage: E allein, also der Batterieantrieb allein, schafft es nicht. Wir brauchen den Wasserstoff und die Brennstoffzelle dazu. Aber auch da sind wir zeitlich stark im Verzug.
Es gibt ja auch noch die Möglichkeit, die Fahrzeuge mit alternativen Kraftstoffen wie HVO, Biofuels und synthetischen Fuels zu betreiben. Wie stehen Sie dazu?
Da wäre ich völlig ideologiefrei unterwegs. Wenn eine Industrie der Meinung ist, dass da ein Geschäft liegt und es einen CO2-freien Betrieb der Fahrzeuge ermöglich, dann ist es völlig okay. Witzig finde ich immer, wenn Politiker oder Vertreter von NGOs das Argument der Ineffizienz gegen diese Kraftstoffe ins Feld führen. Das ist doch Sache der Industrie: Wenn es so teuer ist, die Kraftstoffe herzustellen, dann ist jeder blöd, der sie tankt. Und jeder auch blöd, der in die Produktion investiert. Würde ich persönlich investieren? Nicht unbedingt. Schon die Herstellung von grünem Wasserstoff ist teuer. Ich halte es gleichwohl gerade noch für vertretbar. Aber die eFuels sind noch einmal Faktor zwei bis vier teurer als Wasserstoff. Aber wenn jemand das günstiger hinkriegt, dann sollte man es ihm nicht verbieten. Biofuels halte ich noch aus einem anderen Grund für sehr schwierig: Sie sind nur sehr begrenzt verfügbar.

„Beim Wasserstoff bin ich heute etwas pessimistischer als ich es ursprünglich war. Denn der Aufbau der Tankstellen zieht sich hin.“
Wie also kann es weitergehen?
Heute ist der Hersteller eines Fahrzeugs dafür verantwortlich, was hinten zum Auspuff rauskommt. Künftig jedoch ist der verantwortlich, der vorne etwas reinfüllt oder reinlädt. Damit wird das gesamte Emissionsrecht der letzten 30 Jahre auf den Kopf gestellt. Wer ist dann verantwortlich? Bislang gibt es dafür keinerlei gesetzlichen Rahmen. Sämtliche Gesetze sind heute auf die Fahrzeughersteller hin ausgerichtet. Aber ich kann als Unternehmen nicht die Verantwortung für ein Fahrzeug übernehmen, wenn seine Umweltverträglichkeit allein davon abhängt, mit welcher Energie es betrieben wird.
Herr Daum, herzlichen Dank für das Gespräch.
Ein spannendes Interview mit klaren Worten! 🚛🔋 Es wird deutlich, dass die Transformation des Straßengüterverkehrs nicht nur an der Technik, sondern vor allem an der Infrastruktur scheitern könnte. Die besten Elektro- oder Wasserstoff-Lkw bringen nichts, wenn sie nicht zuverlässig geladen oder betankt werden können. Die Idee einer europaweiten CO₂-basierten Maut klingt sinnvoll – aber ob die Politik wirklich den Mut hat, das konsequent umzusetzen? 🤔