Beim ersten Wurf ging es darum, die Massen zu mobilisieren. Der Fiat 500, der im Sommer 1936 vorgestellt wurde, war mit einer Länge von 3,20 Metern das damals kleinste Auto der Welt und mit 15 kW (20 PS) Motorleistung eher für den Kurzstreckenverkehr in der Po-Ebene ausgelegt. Die Engländer tauften den kleinen Italiener entsprechend „Little Mouse“, die Italiener „Topolino“ – das Mäuschen.
Ein „Mäuschen“ blieb der Fiat 500 auch nach dem Neustart 1957. Doch präsentiert wurde der Nuovo 500 unter dem Motto „Der kleine Große“ – mit anfänglich 12 kW (16,5 PS) Leistung in der Version „Normale“. Mit einer Länge von 2,97 Metern und einer Breite 1,32 Meter war der automobile Zwerg das perfekte Vehikel für die Stadt. Während der 14-jährigen Bauzeit wurde der heckgetriebene „Cinquecento“ zu einem echten Volkswagen mit einer Gesamtproduktion von über 3,7 Millionen Käufer.
Die Erfolgsgeschichte setzte sich auch in der dritten Generation fort, die 2007 auf den Markt kam – diesmal als Lifestyle-Produkt im Retro-Design, deutlich stärker (ab 51 kW) und auf 3,55 Metern Länge angewachsen, mit Frontantrieb und auf Wunsch sogar mit automatisiertem Getriebe. Rund 2,5 Millionen Exemplare wurden inzwischen in Polen (!) gebaut und an Kunden in Europa und sogar nach USA ausgeliefert.
Verbrenner behalten das alte Kleid
Doch 84 Jahre nach der Premiere der ersten Baureihe und 63 Jahre nach dem Start des Nuovo tritt der Fiat 500 nun in seine vierte Lebensphase. Und diesmal gibt es den wohl tiefsten Einschnitt in der Modellgeschichte: Der Cinquecento wird vom Verbrenner zum Elektroauto.
In die neue Ära tritt der Kleine mit breiter Brust, fast schon als Eigenmarke. Der Fiat-Schriftzug wanderte auf die Heckklappe, auf der Front prangt in dicken silbernen Lettern eine 500. Auch kommt der Neue wieder aus Italien und nicht mehr in Polen, wo der Vorgänger mit Benzinmotor unter der Haube noch eine Weile weiter produziert wird – für die Gusseisernen unter den Autofahrern, die Elektromobilen immer noch skeptisch gegenüber stehen.
Und wie die erste Ausfahrt mit dem Neuen zeigt, tut man gut daran, sich vom Cinquecento alter Machart zu lösen: Die Fiat-Ingenieure und Designer haben sich mächtig ins Zeug geworfen, um dem Umstieg schmackhaft zu machen. Mit einer komplett neuen Plattform und einer deutlich komfortableren Fahrwerksabstimmung. Vor allem mit einem Antrieb, der schon in der Basisversion „Action“ 95 Pferdekräfte alias 70 Kilowatt Leistung mobilisiert. Ab der Ausführung „Passion“ sind sogar 118 PS oder 87 kW an Bord. Und die gehen beim Ampelstart so vehement zu Werke, dass selbst dem Fahrer eines 145 PS starken 695 Abarth – dem getunten Fiat 500 alter Bauart – die Spucke wegbleiben dürfte: Dem Stromer steht ein maximales Drehmoment von 220 Newtonmeter zur Verfügung, dem Benziner im Abarth nur 206 Newtonmeter. Da braucht es keine Sporttaste mehr.
Halbstarke werden jetzt einwenden, dass der Abarth aber bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 225 km/h beschleunigt, dem Stromer aber schon bei Tempo 150 die Puste ausgeht. Geschenkt – über diese Form von Kräftemessen sind die Fahrer der Generation E längst hinweg. Sie erfreuen sich während der Fahrt durch die Stadt und über die Landstraßen davor an ganz anderen Dingen. Der lautlosen und emissionsfreien Fortbewegung, der dank eines tiefen Schwerpunkts exzellenten Straßenlage. Das Vorgängermodell hoppelte noch über Fahrbahnunebenheiten wie ein Kaninchen hinweg – der Nachfolger schluckt sie einfach. Was zwei Zentimeter mehr Radstand doch ausmachen können.
Verarbeitung auf hohem Niveau
Auch an anderen Stellen ist der Cinquecento spürbar gewachsen, erwachsener geworden. Beine und Ellenbogen finden mehr Platz im Fahrgastraum – zumindest in der ersten Reihe. Hinten geht es weiterhin, na ja, kuschelig zu. Und der Kofferraum ist weiterhin nur für das Wochenendgepäck oder zwei Kästen Mineralwasser geeignet. Trotzdem wirkt alles viel großzügiger. Natürlich erst recht, wenn man die Variante Cabriolet wählt und das elektrisch betriebene Faltdach während der Fahrt dazu nutzt, um den Innenraum zu lüften.
Der Fiat 500 war schon immer ein Auto, das man schnell ins Herz schloss. Über Verarbeitungsmängel musste man dafür tapfer hinweg blicken – so wie heute in einem Tesla. Die neue Modellgeneration wird, wenn man den Testwagen zum Maßstab nimmt, wenig Angriffsfläche bieten. Die Karosse präsentierte sich frei von Knartzgeräuschen und schlechten Passungen, alles wirkte wie aus einem Guss. Und die Materialien im Innenraum zeigten sich ebenfalls von hoher Güte – das hat man zum Beispiel im ID.3 von Volkswagen schon anders gesehen und erlebt. Respekt!
Und das Auge bleibt immer wieder an netten kleinen Details hängen. Etwa am Relief der Skyline von Turin auf der Smartphone-Ladefläche. Oder am feinziselierten Konterfei des Fiat 500 von 1957 auf den Türinnengriffen – ein schönes Bekenntnis zur Modellhistorie.
Akku mit 42 kWh Speicherkapazität
Andere Dinge weisen nach vorne und machen deutlich: Hier wird ein komplett neues Kapitel aufgeschlagen. So werden die Türschlösser auf Knopfdruck elektrisch geöffnet. Und per Knopfdruck werden – übrigens wie im Ferrari 812 Superfast – auch die Fahrstufen eingelegt. Wer braucht noch Schalthebel? Und eigentlich braucht man auch nur noch ein Pedal im Fußraum, das im Fahrmodus „Range“ für Reichweite sowohl für Beschleunigung wie für Verzögerung sorgt.
Womit wir beim neuen Antrieb des Fiat 500 sind, der in jedem Fall elektrisch ist: Wer im Cinquecento unbedingt weiterhin eine Hubkolbenmaschine betreiben möchte, muss sich in der Alteisenabteilung umschauen, die noch eine Weile geöffnet bleibt.
Die Zeiten des Heckantriebs sind bei dem Modell schon länger vorbei – der permanenterregte Synchronmotor aus eigenen Fertigung sitzt vorne im Motorabteil und wirkt auf die Vorderräder. Seine Energie bezieht er aus einem Lithium-Ionen-Akku von Samsung SDI, der 42 Kilowattstunden (kWh) Strom speichert – und davon 37 kWh für den Fahrbetrieb freigibt. Das soll angeblich für bis zu 320 Kilometer reichen. Unsere herbstliche, mit gezügeltem Temperament geführte Testfahrt endete laut Bordcomputer mit einem Durchschnittsverbrauch von 17,1 kWh auf 100 Kilometer. Da scheint eine Reichweite zwischen 230 und 250 Kilometer im Alltagsverkehr realistischer zu sein.
Immerhin lässt sich der Akku mit 11 kW an einem Wechselstrom-Lader und mit bis zu 85 kW an einer mit Gleichstrom betriebenen Schnellladesäule wieder füllen. Hier reicht also ein Ladestopp von etwa vier Stunden, da eine Pause von knapp einer Stunde, um ohne Reichweitenangst weiter stromern zu können. Wenn man es denn überhaupt schafft, die Energie an einem Tag aufzubrauchen: Im reinen Stadtverkehr ist der Kleine deutlich genügsamer und der Aktionsradius der meisten Menschen deutlich kleiner.
Von 3000 auf über 30.000 Euro
Ob es gelingen wird, wie das Ur-Modell Massen zu mobilisieren, bleibt abzuwarten. 3400 Mark kostete der Fiat 500 Nuovo 1957 in Deutschland, das entspräche heute der Kaufkraft von etwa 3000 Euro. Zu dem Preis kriegt man heute kein Anto mehr, allenfalls ein halbwegs ordentliches E-Bike. Der Fiat 500 e startet bei 23.560 Euro. Mit stärkerem Motor, in Topausstattung und mit Faltdach sind wir schon bei 32.560 Euro. Und wer sich für das limitierte Sondermodell „La Prima“ (inklusive Ledersitzen und LED-Scheinwerfern, großen Leitmetallfelgen und allerlei Assistenzsystemen wie beim Testwagen) entscheidet, wird mit einem Preis von 37.900 Euro konfrontiert. Glücklicherweise gibt es hierzulande Umweltbonus und Innovationsprämie, was den Schmerz immerhin um rund 10.000 Euro mindert und den Preis eines 500e Cabriolets in etwa auf das Niveau eines offenen Abarth 595 CC (22.118 Euro).
Trotzdem: Das „Mäuschen“ ist ganz schön groß geworden. Nicht nur in den Abmessungen, sondern auch im Preis. Bis Januar kann man sich noch eine Finanzierung überlegen – dann beginnt Fiat den Verkauf.