„Im Krebsgang“ nannte Günther Grass vor bald 20 Jahre seine Novelle über den Untergang des Lazarettschiffs „Wilhelm Gustloff“ in den letzten Wochen des Weltkriegs. Ein fiktiver Erzähler namens Paul kommt „der Zeit eher schrägläufig in die Quere, etwa nach Art der Krebse, die den Rückwärtsgang seitlich ausscherend vortäuschen, doch ziemlich schnell vorankommen“. Die Moral dieser Geschichte: Davonlaufen nützt nichts, die Geschichte holt einen immer wieder ein.
Es ist nicht bekannt, ob Duncan Aldred, der bei General Motors für die Marken GMC und Hummer verantwortlich ist, das Werk des deutschen Literatur-Nobelpreisträgers kennt. Aber das neue Elektroauto, das er in der Nacht zu Mittwoch (21. Oktober) in Detroit präsentierte, bietet doch eine Menge Anknüpfungspunkte: Nicht nur, weil sich der allradgelenkte Hummer EV im Gelände wie ein Krebs seitwärts bewegen kann, um plötzlichen Hindernissen blitzschnell ausweichen zu können.
Auch nicht nur, weil das Design des bis zu 1000 PS Geländewagens reichlich martialisch ausgefallen ist und damit leicht eine Rolle in einem postapokalyptischen Hollywood-Streifen a la „Blade Runner 2054“ spielen könnte. Sondern auch, weil das Auto beweist, dass ein Autohersteller seiner Geschichte nicht so einfach davon laufen kann.
GM erweckt Hummer vom Tod
Zur Erinnerung: 1999 hatte GM die Automarke gekauft, die aus der Produktion des Militärfahrzeugs Humvee („High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle) hervorgegangen war. Wegen des hohen Spritverbrauchs und der schlechten Wirtschaftlichkeit der Straßenpanzer hatte GM bereits zehn Jahre später – vergeblich – versucht, Hummer an einen Spezialmaschinenhersteller aus China zu verhökern. Doch der Deal platzte während der Finanzkrise – worauf GM stellt die Produktion stoppte und die Marke vom Markt nahm.
Nun wird in Detroit die Uhr zurückgedreht – und die Marke mit einem Zero-Emission-Fahrzeug der Extraklasse revitalisiert. Schon im kommenden Herbst soll die Produktion in Detroit wieder anlaufen, mit einer 112.595 Dollar teuren vollausgestatteten „Edition 1“. Nach heutigem Wechselkurs wären das etwa 95.000 Euro. Von einem Export nach Europa war aber bei der Weltpremiere glücklicherweise aber noch nicht die Rede – und hoffentlich bleibt es dabei. Gerühmt wurde vielmehr die ungeheure Kraft des von drei Elektromotoren angetriebenen „Offroad-Biests“ (Hummer-Chefingenieur Al Oppenheiser), die in konzertierter Aktion umgerechnet bis zu 15.500 Newtonmeter Drehmoment entwickeln können.
„Watts to Freedom“
Gespeist werden sie von dem neuen „Ultium“-Batteriesystem, das GM zusammen mit dem südkoreanischen Hersteller LG Chem entwickelt hat. 24 Module sollen im Hummer EV zusammengeschaltet werden, um eine Reichweite von rund 350 Meilen oder 560 Kilometer darstellen zu können – im Krebsgang, aber auch bei Geradeausfahrt und mäßiger Geschwindigkeit. Wie vel Strom der Akku speichern kann, wollten die Hummer-Manager noch nicht verraten. Sie strotzten lieber mit der Ladeleistung von bis zu 350 Kilowatt und den angeblich phänomenalen Beschleunigungswerten: Aus dem Stand heraus soll der Pick-up in drei Sekunden Tempo 100 (genauer: 96 Meilen pro Stunde) erreicht haben. Die Ingenieure haben sich dafür eine spezielle Launch Control einfallen lassen, die sie „Watts to Freedom“ tauften.
Um das Überleben der Insassen unter schwierigsten Bedingungen (Vorsicht: Minen) sicherzustellen, wird der Unterboden gepanzert. Oberndrein sind zur besseren Navigation Unterboden-Kameras vorgesehen.
Im Unterschied zu Teslas Cybertruck wird er aber offenbar weder über schusssichere Scheiben noch über Karosserieteile, die Hammerschlägen standhalten. Dafür kommt der Hummer aber möglicherweise schneller auf den Markt als der Tesla: Die Markteinführung für die „Edition 1“ ist schon im kommenden Herbst vorgesehen. Und für 2023 und 2024 hat GM abgespeckte Versionen des Hummer EV angekündigt, mit weniger Leistung, weniger Reichweite, aber zu Preisen schon ab 79.995 Dollar.