Irgendjemand kam einmal auf die Idee, die Koreaner als die „Preußen Asiens“ zu bezeichnen. Der Grund: In dem asiatischen Land nimmt man sich etwas vor – und zieht es dann zielstrebig durch. Oder anders gesagt: Wenn sie etwas machen, dann machen sie es richtig: Die Koreaner. Für die Deutschen gilt das schon lange nicht mehr. Schon gar nicht bei der Antriebswende, dem Umstieg auf die Elektromobilität. Da steht die Politik eher auf der Bremse. Und während Volkswagen um den Anschluss kämpft, schickt Kia konsequent ein Elektroauto nach dem anderen nach Europa. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als wenn den eigenen Produkten der Odem des Angestaubten anhaftet.

Deshalb frischt Kia in diesem Jahr nicht nur den EV3, den EV4 sowie den EV9 als GT auf, sondern erweitert auch sein Angebot an bezahlbaren Elektroautos und schließt dabei weitere Lücken im Modellangebot. Mit dem Kleinbus / Transporter PV5 – sowie dem neuen Kompakt-SUV namens EV5. Der neue Stromer inszeniert sich optisch als Mini-EV9: kantig, aufrecht, mit sternförmiger Lichtsignatur. Ansehnlich ist er zweifellos. Doch den Formgebern der Hyundai-Tochter fehlt der Mut wie einst, wieder etwas Außergewöhnliches auf die Räder zu stellen. Originelle Fahrzeuge wie den Stinger oder den rollenden Kubus Kia Soul.

Mini EV9
Mit einer Länge von 4,61 Metern trifft der Koreaner ins Herz des Kompaktsegments. Stylistisch ist der Kompakt-SUV allerdings mutlos.
Mini EV9
Mit einer Länge von 4,61 Metern trifft der Koreaner ins Herz des Kompaktsegments. Stylistisch ist der Kompakt-SUV allerdings mutlos.

Dass der Kia EV5 ein gutes Auto ist, steht außer Frage. Mit einer Länge von 4,61 Metern trifft der Koreaner ins Herz des Kompaktsegments, in dem sich unter anderem der VW ID.4 und Škoda Enyaq, der Toyota bZ4X, der Togg T10X sowie das Stellantis-Trio Opel Grundland, Peugeot e-3008 und Leapmotor B10 tummeln. Schon diese kurze Aufzählung zeigt, wie heftig in diesem Segment der Wettbewerb ist.

Rollendes Schlafzimmer

Käufer von Kompakt-SUVs sind in der Regel Vernunftmenschen. Ihnen geht es in erster Linie um Praktikabilität und Platz. Beides ist im Kia EV5 reichlich vorhanden. Der Kofferraum fasst 566 Liter – plus 44 Liter im Frunk vorne. Legt man die Lehnen der Rückbank um, passen hinten sorgar 1.650 Liter rein. Das klingt gut und ist hier auch ziemlich clever gelöst: Sobald die hinteren Lehnen versenkt sind, verwandelt sich das Gepäckabteil in eine plane Liegefläche mit zwei Metern Länge. Der EV5 mutiert so zum rollenden Schlafzimmer. Für den Fall, dass man im Urlaub einmal die Nacht an einem einsamen Sandstrand verbringen möchte. Da der Koreaner auch V2L (Vehicle-to-Load) beherrscht, kann der Inhalt seines Akkus auch dazu dienen, um einen Elektro-Grill zu betreiben. Praktisch sind auch die in die Seitenverkleidungen des Kofferraums integrierten Schienen mit variablen Befestigungspunkten, an denen sich Netze, Boxen, Halter und der Haken flexibel anbringen lassen.

Schlafabteil 
Sobald die hinteren Lehnen versenkt sind, verwandelt sich das Gepäckabteil des EV5 in eine plane Liegefläche von zwei Metern Länge.
Schlafabteil
Sobald die hinteren Lehnen versenkt sind, verwandelt sich das Gepäckabteil des EV5 in eine plane Liegefläche von zwei Metern Länge.

Im EV5 besinnt sich Kia zudem seiner Stärken im Infotainmentbereich. Also dominiert das Cockpit ein breites Panoramadisplay, das drei Bildschirme nahtlos verbindet: das 12,3-Zoll-Kombiinstrument, das 12,3-Zoll-Zentraldisplay und dazwischen ein 5,3-Zoll-Touchscreen für die Klimatisierung. Das sieht nicht nur gut aus, sondern funktioniert auch ausgezeichnet. Auch weil Kia unter den Belüftungsdüsen eine separate Leiste montiert hat, um die wichtigsten Funktionen direkt ansteuern zu können. Außerdem gibt es viele Ablagen und praktische Ideen – wie etwa ein ausziehbares Fach an der Mittelkonsole für die zweite Sitzreihe.

Maximal 150 kW am Schnelllader

Sobald man den Blick nach unten senkt, ändert sich die Materialanmutung hin zu mehr Hartplastik. Klar: Auch in Korea muss man mit einem Elektroauto Geld verdienen. Die Kalkulationen der Controller wirken sich auch auf die Ladeleistung aus. Die Batterie hat eine Kapazität von 81,4 Kilowattstunden und ermöglicht eine Reichweite von bis zu 530 Kilometern. Bei der von uns gefahrenen GT-Line sind es mit den 19-Zoll-Reifen maximal 505 Kilometer. Das ist im Ringen um Marktanteile schon ein Pfund und hievt den Koreaner in die Nähe des Škoda Enyaq 85 und des VW ID.4 Pro mit den großen Akkus.

Typisch Kia
Das Cockpit dominiert ein Panoramadisplay, das drei Bildschirme nahtlos verbindet: ein 12,3-Zoll-Kombiinstrument, das 12,3-Zoll-Zentraldisplay und dazwischen ein 5,3-Zoll-Touchscreen für die Klimatisierung. Das sieht nicht nur gut aus, sondern funktioniert auch.
Typisch Kia
Das Cockpit dominiert ein Panoramadisplay, das drei Bildschirme nahtlos verbindet: ein 12,3-Zoll-Kombiinstrument, das 12,3-Zoll-Zentraldisplay und dazwischen ein 5,3-Zoll-Touchscreen für die Klimatisierung. Das sieht nicht nur gut aus, sondern funktioniert auch.

Allerdings kosten die Batteriespeicher auch Geld, das woanders wieder reingeholt werden muss. Deshalb setzt der Kia auf die 400-Volt-Variante der E-GMP-Plattform (Electric Global Modular Platform), die auch 800 Volt unterstützen könnte. Das führt zu durchschnittlichen Ladeleistungen: Maximal 150 kW an einer Schnellladesäule und 11 kW an einer Wallbox. Am DC-Schnelllader vergehen rund 30 Minuten, ehe die 81,4-kWh-Energiespeicher von 10 auf 80 Prozent gefüllt sind. An der 11-kW-Wallbox dauert es sieben Stunden und 20 Minuten. Das ist in Ordnung, aber nicht besser als bei so manchem Konkurrenten – und nicht so schnell wie beim VW ID.4 Pro, der immerhin 175 kW aus dem 400-Volt-Netz herausholt.

160 kW Antriebsleistung müssen genügen

Auch beim Antrieb reizt Kia den Antriebsstrang nicht bis zum Äußersten aus. Der Kia EV5 rollt mit einem 160 kW (218 PS) starken Frontantrieb und 295 Newtonmeter Drehmoment an den Start. Das reicht für eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 8,4 Sekunden, eine Höchstgeschwindigkeit von 165 km/h und eine WLTP-Reichweite von bis zu 530 Kilometern. Die ungebremste Anhängelast ist mit bescheidenen 750 Kilogramm auch kein Kaufargument.

Ohne großen Wumms 
Der Kia EV5 rollt mit einem 160 kW (218 PS) starken Frontantrieb an den Start. Der reicht für eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 8,4 Sekunden, eine Höchstgeschwindigkeit von 165 km/h und eine WLTP-Reichweite von bis zu 530 Kilometern. Fotos: Kia
Ohne großen Wumms
Der Kia EV5 rollt mit einem 160 kW (218 PS) starken Frontantrieb an den Start. Der reicht für eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 8,4 Sekunden, eine Höchstgeschwindigkeit von 165 km/h und eine WLTP-Reichweite von bis zu 530 Kilometern. Fotos: Kia

Unterwegs gibt sich der EV5 allerdings keine Blöße. Das Fahrwerk ist eher komfortabel abgestimmt, was zum entspannten Auftritt passt. Die Fahrmodi Eco, Normal und Sport unterscheiden sich zwar spürbar, aber der große Wumms fehlt. Für Individualisten bietet der Kia EV5 noch das Fahrprogramm „My Drive“ (für individuelle Vorlieben der Abstimmung) und wenn es glatt wird: Snow. Wir kamen bei unserer Testfahrt, bei der wir nicht die Höchstgeschwindigkeit erreichten und sehr entspannt unterwegs waren, auf einen Stromverbrauch von 15,9 kWh pro 100 Kilometer.

Preise ab knapp 46.000 Euro

Preislich tritt der EV5 aktuell in drei Linien an: Air ab 45.990 Euro, Earth ab 48.990 Euro, GT-Line ab 51.990 Euro.  Dazu gibt es zum Start es eine vollausgestattete „GT-Line Launch Edition“ für 52.990 Euro mit einem Preisvorteil von 2.880 Euro. Serienmäßig ist bereits viel an Bord, von LED-Scheinwerfern und Assistenzpaketen bis zu Online-Diensten mit Over-the-Air-Updates (OTA). Die von uns gefahrene Topausführung legt mit adaptiven LED-Scheinwerfern, Fahrersitz mit Massagefunktion, Harman/Kardon Premium-Soundsystem, einen elektrischen Beifahrersitz mit Lendenwirbelstütze nochmals nach. Für einen vergleichbar ausgestatteten Škoda Enyaq 85 müsste man ein paar tausend Euro mehr anlegen.

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