Zwar war das erste Elektroauto für die Großserie ein Roadster. Doch knapp 20 Jahre nach dem Debüt des ersten Tesla hat die Generation E offensichtlich die Lust am offenen Auto verloren. Denn auch wenn die Hersteller eine ganze Flotte neuer Stromer auf die Straße spülen und mittlerweile alle Segmente vom Kleinwagen über die Luxuslimousine bis zum Van und dem Pick-Up bedienen, sind elektrische Roadster und Cabriolets weiterhin Mangelware.

Während Tesla – wie eigentlich immer – mit dem Revival des Roadsters spät dran ist, das elektrische Mini Cabrio noch auf sich warten lässt, das Smart EQ fortwo Cabriolet gerade ins Museum rollt und der Fiat 500e mit Faltdach weiter auf Anerkennung als Cabriolet warten muss, beweist jetzt MG Mut zur (Wolken-)-Lücke. Denn drei Jahre nach der ersten Studie macht die SAIC-Tochter tatsächlich ernst und bringt den Cyberster in Serie. In China ist der Roadster schon seit ein paar Wochen auf dem Markt, bei uns in Europa startet er leider erst zum Ende des Sommers.

MG

Auf der einen Seite ist der MG Cyberster nur logisch. Schließlich haben die Briten das Segment mit Autos wie dem MGB mal begründet. Und auch beim beim Revival der Fahrzeuggattung zur Jahrtausendwende waren sie mit dem MG TF ganz vorne dabei. Auf der andren Seite ist das um so bemerkenswerter, weil die Briten eben keine Briten mehr sind, sondern Chinesen. Und weil sie im Fernen Osten eigentlich so gar keinen Vertrag haben mit offenen Autos. 

Scherentüren für Showeffekte

Dafür allerdings fangen die Chinesen gerne alle Blicke und stehen auf den Straßen von Shanghai oder Shenzen gerne im Mittelpunkt. Der Cyberster ist für eine solche Form der Selbstdarstellung mindestens ebenso gut geeignet wie ein Lamborghini. Auch weil die MG-Designer um Carl Gotham nicht in die Retrofalle getappt sind, sondern einen ausgesprochen modernen Zweisitzer gezeichnet haben, der mehr Show macht als mancher Supersportwagen.

Elektrisches Showcar
Die Scherentüren sorgen dafür, dass der MG Cyberster schon im Stand für Aufmerksamkeit sorgt. Ebenso wie die Rückleuchten, die in der Dunkelheit wie feuerrote Pfeile unter der messerscharfen Abrisskante aufflammen.

Im Großen natürlich mit seinen Scherentüren, die auf Knopfdruck elektrisch schräg nach oben schwingen wie bei Hurracan & Co. Und im Kleinen zum Beispiel mit Details wie den Rückleuchten, die wie feuerrote Pfeile unter der messerscharfen Abrisskante aufflammen. Und während der schlanke Bug noch halbwegs konventionell gezeichnet ist, prangt am Heck ein Diffusor so mächtig, als wolle der Cyberster den nachfolgenden Verkehr förmlich in sich hinein saugen. 

Lack und Leder wie in alten Zeiten

All das schließt sich eng und straff um eine kuschelige Kabine für zwei, die ebenfalls nichts wissen will von der seligen Erinnerung an die gute alte Zeit. Ja, es gibt Lack und Leder satt wie man es von einem vermeintlich englischen Lust-Auto erwartet. Aber statt auf mechanische Instrumente und analoge Anzeigen blickt der Fahrer auf ein digitales Triptychon, das sich hinter dem konventionell mit Schaltern gepflasterten Lenkrad ausbreitet. Und vor der Mittelkonsole prangt der unvermeidliche Touchscreen für Navigation, Infotainment und Klima. Da hätten sie die paar Schalter, die darunter noch Platz hatten, auch gleich wegsparen können. Denn so wichtig die Bedienung fürs Getriebe, die Türen und das Verdeck auch sein mögen – so lieblos und grobschlächtig ist sie in diesem Fall leider geraten. 

Offen, ehrlich, direkt
Autor Thomas Geiger hatte seinen Spaß bei seiner ersten Testfahrt mit dem offenen MG Cyberster.

Aber all das ist vergessen, wenn auf Knopfruck und natürlich auch während der Fahrt binnen weniger Sekunden sich die stramme Stoffhaube nach hinten faltet und einem der Fahrtwind durch das Haar weht. Dann wird der Cyberster doch wieder zu einem Roadster nach alter Väter Sitte: offen, ehrlich, direkt. Nur dass er dabei flüsterleise bleibt und die Sache mit der frischen Luft diesmal irgendwie doppeldeutig ist.

Reichweite von über 500 Kilometer

Angeboten wird der Cyberster in zwei Varianten. In der Basisversion treibt ihn ein 250 kW (340 PS) starker Motor, der standesgemäß an der Hinterachse angeflanscht ist und mit bis zu bis zu 475 Newtonmeter Drehmoment an den 19-Zöllern zerrt. Schon das reicht für eine Beschleunigung in 5,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h und für 195 km/h Spitzengeschwindigkeit. Aber wer es ernst meint mit der Sturmfrisur, der nimmt die Version mit Dualmotor und Allradantrieb, die es auch beim Fahren mit Lambo & Co aufnehmen kann. Schließlich stehen dann 375 kW (510 PS) und 725 Nm Drehmoment im Datenblatt und die Sprintzeit schrumpft auf 3,2 Sekunden.

Nur das Spitzentempo ist nicht nennenswerter höher: Auch dem Topmodell geht – den Friseur wird’s freuen –  bei rund 200 Sachen die Luft aus. Dafür hat der Cyberster einen vergleichsweise langen Atem. Schließlich schrauben die Chinesen Akkus mit 77 kWh Kapazität in den Boden. Damit sollen bei Sonnenschein WLTP-Reichweiten von über 500 Kilometern darstellbar sein. 

Im Stil der neuen Zeit
Statt auf mechanische Instrumente und analoge Anzeigen blickt der Fahrer auf ein digitales Triptychon, das sich hinter dem Lenkrad ausbreitet. Vor der Mittelkonsole prangt der unvermeidliche Touchscreen für Navigation, Infotainment und Klima.

Zwar sitzt man im Cyberster wegen der Akkus im Boden nicht ganz so nah am Asphalt wie in einem alten MG Roadster oder einem Mazda MX5. Und wo man das Leben in einem luftigen Zweisitzer sonst gerne auf die leichte Schulter genommen hat, lastet die Elektrotechnik hier schwer so schwer auf der Straße, dass man die Kilos in den Kurven deutlich spürt.

Aber während einen die Batterie in engen Kehren dazu zwingt, etwas weiter herunter zu bremsen, was dem Kurvenräuber ein wenig die kompromisslose Entschlossenheit nimmt, versöhnt einen zum Kurvenausgang der dynamische Antritt des Stromers wieder mit der neuen Zeit. Schon möglich, dass einem die Endorphine in einem benzingetriebenen Porsche Boxster oder Audi TT RS schneller ins Hirn schießen. Aber unter den Elektroautos ist der Cyberster so ziemlich das Emotionalste, was bislang aus China zu uns gekommen ist.

Start in England für knapp 55.000 Pfund

Auch in Europa oder den USA haben sie in dieser Liga wenig Leidenschaftlicheres zu bieten. Erst recht nicht mit freiem Blick zum Himmel, der Sonne auf der Haut und dem Wind in den Haaren. Und daran, dass man hier keinen Motor brüllen hört, sondern nur das Rauschen des Windes und das Zwitschern der Vögel, daran kann man sich schnell gewöhnen. Und wenn nicht, gibt’s ja ein leistungsstarkes Soundsystem und irgendwo sicherlich eine Playlist mit ein paar Oldies für unverbesserliche Petrolheads. 

Zwar hat MG daheim in China bereits mit der Auslieferung begonnen, doch die Europäer müssen noch ein bisschen warten, bis sie im E-Auto endlich nach Luft schnappen dürfen. Immerhin gibt es mittlerweile einen Preis – zumindest für England, wo die Sehnsucht am größten ist und wohin der Arm der EU-Kommission nicht mehr langt. Dort startet der MG Cyberster bei 54.995 Pfund, umgerechnet 65.180 Euro. Nach Deutschland soll der Cyberster im Herbst kommen. Genannt wird derzeit ein Preis von rund 56.000 Euro für den Hecktriebler.

Vorerst alternativlos

Selbst wenn daraus auf den Weg über den Kanal vielleicht 60.000 Euro oder mehr werden (Elektroautos von SAIC wurden von der EU-Kommission bekanntlich mit einem Strafzoll von 38,1 Prozent belegt), dürfte das die kleine, aber treue Open-Air-Gemeinde nicht stören. Zumal sie sonst ja auch keine Alternative hat. Das Maserati Gran Cabrio Folgore spielt ein einer ganz anderen Liga und der Tesla Roadster kommt – so zumindest hat es Elon Musk zuletzt versprochen – frühestens zum Ende des Jahres und wird obendrein sicher das Dreifache kosten. Zumindest bis zur Markteinführung des vollelektrischen Porsche Boxster im kommenden Jahr hat der Cyberster das Feld für sich allein.

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