Plötzlich stand ich mit dem Audi e-tron am Nordkap und schaute ins schwarze stürmische Nichts des Polarmeeres. Und jetzt? Von hier aus geht es nur noch nach Süden. Warum also nicht richtig nach Süden fahren? Next Stop Tarifa! Nach dem nördlichsten, der südlichste Zipfel des europäischen Kontinents. Vom Winter in den Sommer; von Elchen zu Flamingos; 5.980 Kilometer in 108 Stunden.
BEV, SUV, 400 km WLTP. Diese drei kryptischen Codes sind schon fast eine Sammelbeschreibung für moderne Elektroautos. Eine zweistellige Anzahl Fahrzeuge lässt sich mit Hilfe dieser Kombination aus vollelektrischem Antrieb, hochgesetzter Karosserie und 400 Kilometern Zertifizierungsreichweite mittlerweile entdecken: Mercedes-Benz EQC, BMW iX3 & viele Weitere. Ideale Zweitwagen, um die Kinder zu Kita zu bringen, heißt es. Mit einem dieser 400-PS-2,5-Tonnen-City-Flitzer, einem Audi e-tron 55, war ich einen knappen Monat unterwegs.
Audi on demand hatte für ein „e-tron Spezial“ geworben mit unbegrenzten Kilometern und europaweit gültiger Ladekarte, ab 349 Euro pro Woche – für mich schon fast eine Provokation, oder doch zumindest eine freundliche Aufforderung. Ursprünglich wollte ich nur nach Lappland, einfach mal raus, echten Winter erleben und das mystische Licht der Polarnacht. Und dabei selber erfahren, wie es so steht, um die Zukunft der Stromer. Richtig kalt, viel Schnee, Dunkelheit und menschenleere Weiten mit Wäldern & Seen, hier und da eine kleine Siedlung. Beste Voraussetzungen für das ein oder andere „Abenteuer“. Für alle Eventualitäten hatte ich meinen warmen Skianzug dabei und Verpflegung für ein paar Tage. Und im Notfall ist das Handynetz im schwedischen Wald immer noch deutlich verlässlicher als in Berlin Mitte. Zum Glück habe ich mich erst hinterher erinnert, was mein Smartphone immer macht, wenn es kalt wird; Abstürzen. Aber hey, so ein kalifornisches sunnyphone ist halt kein solides deutsches Ingenieurskunstwerk mit Batterie-Thermomanagementsystem.
Jetzt geht es aber los. Direkter Weg von Deutschland nach Dänemark über die Brücken Großer Belt und Öresund an den Siljansee. Hier beginnt der schwedische Inlandsvägen und ganz plötzlich wird aus Matsch & Grau, Schnee & Weiß. Herrlich! Was für einen gewaltigen Unterschied doch ein paar Grad ausmachen können. Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es wäre auf der Skipiste Auto zu fahren? Ich schon. Das ist allerdings vor ein paar Jahren in einer Runde Schnaps für den Pistendienst geendet. Kommen Sie besser in den Norden. Kein Salz, kein Split und tausende Kilometer fahrzeug-gerecht verdichtetes Weiß mit belastbarer Asphaltunterlage. Tempolimits sind oft unlesbar eingeschneit, braucht es aber auch nicht. Es ist alles eine Frage der Streckenführung und ihres Wagemuts.
Keine Angst bei 10 Kilometer Restreichweite
Das gilt auch für die Frage: Wie leer traue ich mich den Akku zu fahren? Theoretisch dachte ich, aufgrund der sehr kalten Temperaturen und der immer dünner werdenden Infrastruktur, ordentlich Puffer einzuplanen. Praktisch habe ich sehr schnell Vertrauen in das Fahrzeug gewonnen. Wenn das Ziel laut Navi rund 10 Kilometer näher war als die Restreichweite, habe ich mich wohl gefühlt. Manchmal musste ich vielleicht noch etwas das Tempo reduzieren, wenn ich noch etwas weiter wollte als das Auto zu schaffen prognostizierte. Heizung aus wäre hierfür die weniger gemütliche Variante gewesen. Radio aus oder ähnliches bringt dagegen nichts. In Afrika oder Asien wird ja oft ohne Licht gefahren, um Sprit zu sparen. Echt mutig aber dafür wirkungslos. Ich habe es nicht geschafft vom Auto aufgrund Strommangel eingebremst zu werden, aber ich habe auch immer spätestens bei 1 Kilometer Restreichweite geladen. Better safe than sorry.
Den vorerst letzten Schnelllader steuere ich in Storuman an. Ein wunderschöner Ort für einen 90-minütigen Winterspaziergang am See. Die klassischen 50 kW sind übrigens die Leistung, von der man vor ein paar Jahren dachte, es wäre Schnellladen. Darauf hat man unseren europäischen Ladestandard CCS (Combined-Charging-System) ursprünglich ausgelegt; inklusive der Stecker-Dimensionierung; immerhin mit der Leistung von rund 13 Haushaltsteckdosen. Hier zeigt sich schon eine Stärke von Elektrotechnik. Hätte man eine Mechanik für eine Aufgabe dimensioniert, könnte man sicher nicht nur mit etwas Kühlung die Spezifikation um Faktor 7 überreizen; bei Ladestationen sind aber 350 kW mittlerweile normal.
Motorblockheizer als Ladestationen
Weiter schlängelt sich das weiße Band durch den weißen Wald in den Norden, immer wieder unterbrochen von den Spuren der Elche und Rentiere. Die Schneeberge werden höher. Auch zu Fuß ist abseits von Wegen kaum noch ein Durchkommen; zu tief versinkt man im Pulver. Seit zwei Tagen schneit es ununterbrochen – passend zu Jokkmokk, dem Zentrum der Samen und seit 1605 Veranstaltungsort des Wintermarktes bei dem Waren aus ganz Lappland gehandelt werden.
Angeblich geht das ja gar nicht, aber hier in Lappland gibt es an jeder Ecke frei zugängliche Steckdosen. Einfach so, ohne Zugangsbeschränkungen, ohne alles, aber immer mit eigener Sicherung. Und ich behaupte es gibt sogar viel mehr Lader als Fahrzeuge. Zu Hause, auf Arbeit, am Supermarkt, im Stadtzentrum; überall gibt’s Strom. Aber es sind eben keine wirklichen Lader, sondern Anschlüsse für die Motorblockheizer. Mit den 1,5-1,8 kW, die meist anliegen kann man die Verbrenner vor dem Einfrieren schützen, sodass sie im Zweifel nicht bis zum Frühling warten müssen, um wieder wegfahren zu können. In Russland lässt man dafür die Motoren laufen; rund um die Uhr. Geht auch, ist aber nicht ganz so geil. Mein Wagen lässt sich jedenfalls wunderbar damit laden. 1,8 kW reichen bei einem smart über Nacht für eine Vollladung. Der große Audi gewinnt rund 7 Kilometer Reichweite pro Stunde. Wäre demnach nach zwei Übernachtungen ebenfalls voll. Es soll ja vorkommen, dass ein Fahrzeug auch mal zum Stehzeug wird. Diese Versorgungslage muss auch im Sommer mit dem e-Bike ein Fest sein. Die Verbrenner jedenfalls fahren mit dieser Energie keinen Meter ohne zusätzlichen Kraftstoff, auch wenn sie den ganzen Winter am Kabel hingen.
Schlafen im e-tron auf dem Ladeboden
Ich entscheide mich dennoch meinen „Obelix“ an eine potentere Futterstelle zu führen. 11 kW gibt’s am Rathaus; eins von zwei Outlets in der ganzen Ortschaft. Am Anderen hing auch schon ein Audi e-tron; einer aus Norwegen. Der Wagen lädt und ich lege mich schlafen. Knapp 2 Meter ebener Ladeboden, ein richtiges Bett, getönte Scheiben und eine lautlose Standheizung. Eine mächtige Kombination für eine komfortable und geschützte Nacht in bester Lage. 8 Stunden braucht der Audi von 0 auf 100 Prozent. Acht Stunden brauche ich jetzt auch mal wieder. Später gehe ich noch spazieren, eine tolle kleine Kirche gibt’s hier. Der Wagen ist schon wieder vor mir fertig. Ich düse weiter nach Kiruna und wühle mich durch den Tiefschnee auf einen Hügel im Zentrum der Stadt. Während der Wagen wieder lädt, verbringe ich den eisigen Abend an einem großen Lagerfeuer auf Rentierfellen. Was für ein Winterwunderland.
Die leeren Regale im Supermarkt in Riksgränsen sehen aus wie in alten DDR-Filmen, jedoch in Farbe. Auf dem zugefrorenen See wird geangelt. Es ist mittags, aber es ist auch Nacht, der Himmel schimmert in mystischem Farben. Die Spitzen der höchsten Gipfel glänzen im Sonnenlicht. Ich mag den Norden. Hierher könnte man auch mit dem Zug fahren, dann sind es ca. 5 Meter vom Bahnsteig in den Skilift. Nochmal deutlich besser als in Schladming oder Nagano. Freerider sagen es soll ein Paradies sein.
Nepalesen schlugen Treppe in den Fels
Von hier geht’s nur noch zurück oder nach Norwegen. Wirklich zurück? Mit halbvollen Akku erreiche in den Atlantik. Ich registriere mich und meinen Wagen online, auch für die automatisierte Mauterfassung. Auf direktem Weg geht’s Richtung Westen. Der Kong Olafs vej, eine meiner europäischen Lieblingspisten, führt direkt auf die Lofoten.
Mein Stammplatz, mit sensationellem Panorama über Reine, ist frei wie immer. Vor anderthalb Jahren haben Nepalesen hier mit purer Muskelkraft eine Felstreppe auf den Reinebingen angelegt. Ist das Globalisierung? Auf dem ehemaligen steilen Trampelpfad hätte ich es mit Eis und Schnee nicht auf den Berg geschafft. So war es nur eine der mutigeren Aktionen. Im Ort wird es noch ein paar Tage dauern, bis zum ersten Sonnenaufgang, aber hier oben auf 470 Metern lacht einem die Sonne schon direkt ins Gesicht. Das wissen auch Norweger zu schätzen, mit ihren Steigeisen an den Füßen wirken sie aber weniger fehlplatziert als ich. Mein Fotospeicher füllt sich rasant.
Ich schlendere durch das ausgestorbene Henningsvær und stromere weiter nach Nyksund; ganz, ganz weit draußen in den Vesteralen. Ein ehemaliges Fischerdorf, dass ein paar Jahrzehnte verlassen war und dann von Künstlern und Freigeistern wiederentdeckt wurde. Vor einigen Jahren waren es nur Ruinen. Jetzt ist es ein Idyll direkt am offenen Ozean geworden. Ein echtes Aha-Erlebnis was Menschen, die wollen, gemeinsamen aus dem Nichts schaffen können. Nur Schnee hat es hier an der Küste überall zu wenig für diese Jahreszeit.
Eldorado der Elektroglücksritter
Auf der Karte entdecke ich Sommarøy und Hillsøy. Ein Hauch von Inseln westlich von Tromsø, gerade so mit dem Festland per Brücke verbunden und wieder direkt am offenen Atlantik gelegen. Vom zentralen Kletter- und Aussichtsberg bietet sich ein 360° Meerespanorama und vielleicht 300° Bergpanorama gleichzeitig. Wo gibt’s das schon?
Nördlich beginnt dann das Eldorado der Elektroglücksritter. Erst in den letzten Wochen hat ein Zusammenschluss von Staat und Energieversorgern ein dichtes Netz an Hurtigladern in der Finnmark aufgebaut. Dörfer mit teilweise nur ein paar hundert Einwohnern sind jetzt besser ausgestattet als so manche Großstadt. Mehamm: 700 Einwohner; ein Flughafen, ein 175-kW-Lader. Malaga: 570.000 Einwohner, auch ein Flughafen, aber kein 175-kW-Lader. Eine Ansage und auch eine schöne Rechenmethodik; Schnelllader und Flughäfen pro Kopf.
Für den Audi heißt das Laden mit Vollstrom; idealerweise 5-80 Prozent in 25 Minuten. Jetzt bei der Kälte dauert es ein paar Minuten länger. Meist fahre ich nach 35-40 Minuten, der Akku steht dann schon deutlich über 90 Prozent. Gleich an der ersten Station treffe ich einen Leaf-Fahrer. Das Auto war gerade neu und er war nach eigener Aussage ziemlich skeptisch bezüglich dem Wagen. Aber jetzt ist er in zwei Tagen 1.500 Kilometer zu seiner Mutter gefahren und zeigte sich zufrieden. Und gratis ist das Laden bis Ende 2021 ja auch noch.
Einige weitere Brückenkunstwerke und Unterwassertunnel später erreiche ich Vardø. Eine tolle, kleine Stadt auf einer Doppelinsel in der Barentssee mit historischer Burganlage und jeder Menge Street Art. Östlich von Istanbul oder Kiew, defacto fast der östlichste Punkt Europas, je nachdem wie man definieren möchte; der Ural ist natürlich noch weiter Richtung Japan.
Zum zweiten Teil des Reiseberichts geht’s hier
Ich stehe dem Elektroauto positiv gegenüber, auch wenn ich es erst zu einem TOYOTA Prius (Vollhybrid) gebracht habe.
Dieser Bericht gehört aber in ein Unterhaltungsmagazin und nicht in eine Fachzeitschrift. Es fehlen nämlich sämtliche Fahrdaten wie Stromverbrauch von Ladestelle zu Ladestelle, die Kosten und ob überall die Tankkarte von Audi genutzt werden konnte. Und noch Vieles mehr.
Ich erwarte weniger Emotionen und Poesie, dafür aber mehr Zahlen.
Es ist ein Reisebericht, kein Test
Zitat Anfang:
„der nächste DC-Lader ist 298 Kilometer entfernt. So weit bin ich noch nicht an
einem Stück gefahren. Also Heizung aus und den Range-Mode an. Ich ziehe vorsichtshalber meinen Skianzug an und eine warme Mütze auf den
Kopf. Die Frontscheibe beschlägt langsam von innen, friert dann auch
noch ein. Also kurz die Heizung an und eine Maske aufgesetzt: Bloß
nicht Atmen.“ Zitat Ende
Die einen nennen es Abenteuer, die anderen NoGo 🙂
LG Jo
Schöner Bericht. Vielen Dank. Vor diesem Hintergrund ist der kürzlich durch die Medien gegangene Artikel mit den Rentern, die nur mal nach Frankreich wollten, umso lächerlicher.
Danke für diesen tollen Bericht! Die Elektromobilität wird zum Reiseabenteuer und das würde ich nach diesem Beitrag auch gerne ausprobieren.
Danke für diesen lehrreichen Bericht.
Mehr solche Praxiserfahrungen wären wünschenswert.
Leider melden sich immer mehr Schreiber, die sich mit rein erworbenem Expertenwissen aus irgend woher, hier oder in anderen E Foren auf sich aufmerksam machen wollen.
Ein herrlicher, nahezu poetischer Bericht mit eindrucksvollen Pics aus einer „neuen“ Zeit. Danke!
Vor genau 50 Jahren habe ich mit meinem Landrover eine ähnliche 4-monatige Fahrt gemacht. Am 10.Dezember am Nordkapp – dann über Moskau nach Tarifa und Algeciras; denn mein Ziel lag noch etwas südlicher: Capetown. Eine Reifenpanne (mehr nicht).
Heute liebe ich mein BEV (Smart 4/2 Cabrio) und warte auf ein passendes „nicht-SUV“ FCEV, um damit meine treue Diesel C-Klasse zu ersetzen.