Nordlichter nur auf YouTube

Es ist dunkel. Es ist bitterkalt. Es ist extrem eisig und glatt. Aber auch total klar. Polarlichter!? Die App sagt Intensität 5,5 KP. Keine Ahnung was das bedeutet, aber die graphische Aufbereitung verrät, es ist wohl viel. Ich gucke und gucke. 1 Milliarde Sterne. Vielleicht ein ganz leichtes Flimmern. Aber sowas wie auf YouTube entdecke ich nicht. Dafür wird der Sturm immer heftiger. Babys mögen es wohl, wenn an ihrem Wagen geschaukelt wird. Ich finde es eher mäßig komfortabel. Das Luftfahrwerk auf ganz Tief und Dynamik stellen hilft, aber nicht genug. Zum Schlafen verlasse ich meinen Aussichtsfelsen an der Nordspitze und flüchte hinter ein Hafengebäude. Windschatten kann auch Luxus sein.

Gestern meinte das Navi plötzlich der Nordkaptunnel wäre gesperrt, aber nach Recherche beim norwegischen Straßenbauamt gibt’s Entwarnung – nur nachts wird die Inselzufahrt saniert. Heute geht es bei genialstem Licht- und Farbenspiel über das Nordkinn, das ehemals nördlichste Festland Europas. Ja, ich finde: Wenn sie fest per selbst befahrbarer Straße verbunden ist, dann zählt auch eine Insel zum Festland. Und genau darum geht es nach Sylt oder nach England nur per Zug und PKW-Verladung und eben nicht per Straße; damit es Inseln bleiben. Logisch!

Ganz allein am Nordkap

Dieses Licht und dieses Weiß. Über Stunden steht die Sonne nur knapp unterm Horizont. Richtung Süden ein Meer aus Lila-, Rot-, Orange-Tönen; über mir warmes Weiß; und Richtung Norden kräftiges royal Blau. Warum ist es hier so blau und nicht dunkel? Liegt es am Schnee, an Reflexionen, daran, dass die Kugel hier oben schon so flach ist? Keine Ahnung. Es sieht genial aus. Meine Kamera ist überfordert. Zum Glück bin ich lebendig da; nicht nur digital. Auch die Hügel, sie sind so weiß. Kein Baum, kein Fels, keine Struktur; nichts. Nur plangewehtes, geschwungenes Weiß. Ich muss lange schauen, um zu erkennen ob es eine Wolke ist oder Land. Eigentlich schließe ich aufgrund der Form, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Sowas gibt’s in den Alpen nicht. Da sind immer Bäume, Felsen, Häuser, oder einfach Strukturen. Hier ist nur Schnee. Schnee und Wind.

Audi am Tesla-Charger – in Norwegen kein Problem.

Abends auf den Straßen rund um Honningsvåg ist der Schnee dagegen schon fast wieder verschwunden. Eigentlich geht es zu dieser Jahreszeit nur ein oder zweimal am Tag zum Kap. Im Konvoi hinter einer Schneefräse; oftmals tagelang gar nicht, wenn das Wetter nicht will. Dieses Jahr ist nur deutscher Winter, die Schranke der Zufahrtsstraße ist offen. Hätte ich Menschen getroffen, hätten sie mir gesagt: Das ist nicht normal: Das bisschen Schnee. Für rund 12 Stunden bin ich ganz alleine ganz „oben“. Kein anderer Mensch und auch kein anderes Fahrzeug sind zu entdecken. Niemand. Gar niemand. Das ist nicht normal. Dafür nochmal Sturm; nochmal sternenklar; nochmal volle Polarlicht-Power; nochmal keine beeindruckende Sichtung. Ok. Ich komme wieder. Fahrwerk: Dynamik; Standklimatisierung: An. Gute Nacht.

Umschalten auf Sonne

7.500 Kilometer und 125 Stunden sind es bis hierher gewesen, sagt der Wagen. Aber was davon Fahrzeit, Ladezeit oder nur „Zündung-an“-Zeit ist, lässt sich nicht rekonstruieren. Die Idee einen Bericht zu verfassen wird erst Tage später kommen. Genau im besten Moment habe ich aber die Idee auf Sonne umzuschalten. Umso südlicher, umso besser. Am südlichsten liegt Tarifa, wenn doch alles im Leben so klar und einfach wäre.

71°10’21 Nord; 6:39 Uhr – los geht’s. Die Temperatur fällt zügig von -2°C auf -18°C während ich mich der finnischen Grenze nähere. Ab Kautokeino kommt die spannendste Etappe. Es hat fast -20°C und der nächste DC-Lader ist 298 km entfernt. Soweit bin ich noch nicht am Stück gefahren. Ich komme am offensichtlich mal wieder nagelneuen Hurtiglader an, der hier an einer Tankstelle steht. Erstmalig fast zugeparkt, von einem schwarzen BMW-Kombi. Der Motor läuft. Ich kann mich geradeso rückwärts hin rangieren. Der Tankstellenwart beobachtet mich. Er kommt raus. Fragt ob er ein Foto für Facebook machen darf; nicht von mir; vom Wagen. Yes. Ich kaufe Scheibenreiniger; schon das zweite Mal auf dieser Tour. Der Tankwart begleitet mich wieder raus und fährt den BMW ein paar Meter zur Seite. Ernsthaft, denke ich. Das ist dein Wagen? Läuft der hier den ganzen Tag während du an der Kasse stehst? Scheinbar ja – in Norwegen, dem EV-Musterland.

Ohne Heizung friert die Scheibe ein

Ich rüste auf. Der Akku ist gut warmgeladen und -gefahren. Heizung aus. Range-Mode an. Ich ziehe meinen Skianzug an, Mütze und Handschuhe dazu. 100% zeigt die Säule. Ich stecke nochmal auf die AC-Säule um, es geht aber auch mit weniger Druck nix mehr rein. Ich fahre los, ca. 70 km/h. Noch fehlen 20 Kilometer. Die Scheibe beschlägt langsam von innen. Besser gesagt, sie friert ein. Heizung an; die Scheibe befreit sich wieder. Heizung wieder aus. Ich setze eine Maske auf, bloß nicht Atmen; es wirkt. Mit etwas Handarbeit bleibt die Sicht frei. Es schneit. Im Neuschnee auf der Straße sind nirgendwo Spuren zu sehen. Ich werde immer schneller; den Lader erreiche ich locker. Mit vier Prozent Restreichweite stecke ich an. Erstmal wieder umziehen und schön Aufheizen das Ganze. Klar, wäre auch wärmer gegangen – aber zum Testen, muss man ja auch mal was Testen und nicht alles Vermeiden. Es wären auch 320 km drin gewesen.

Je kälter die Außentemperatur, desto geringer die Reichweite, lautet die Regel. Wie weit kommt man dann noch ein Audi e-tron bei Außentemperaturen weit unter dem Gefrierpunkt? Ein Selbstversuch auf halber Strecke zwischen Berlin und dem Nordpol. Elektroauto

Ich erreiche die schwedische Ostsee und es geht fix Richtung Süden; immer an 50 kW; bis zu 100 Minuten Laden für den Wagen; 100 Minuten Dösen für mich; er tankt Kraft, ich tanke Kraft. Zweimal muss ich umdisponieren, weil die Ladesäule die Audi-Karte nicht akzeptieren will, obwohl der Wagen und die e-tron Charging-App es als Roaming ausweisen. Ich vermute es liegt an den häufigen Eigentümerwechseln bei einigen lokalen Anbietern. Es wirkt nicht professionell. Ich hätte natürlich die Säulen direkt freischalten können; wollte ich aber nicht.

Was ich später noch lerne: Wenn die App anzeigt ‘Status unbekannt‘, also nicht weiß, ob die Säule frei oder belegt ist, ist das schon einmal ein gutes Indiz für mögliche Probleme. Bis hierher war ich aber noch gar nicht auf die Idee gekommen die App zu prüfen. Ich bin einfach auf gut Glück gefahren; und fast immer gab es Strom. Nur in Nordschweden wusste ich: Das ist für Audi Niemandsland.

Die nächste Säule also von Bee; darauf ist Verlass. Von weitem sehe ich schon gleich drei VW iD.3 vor mir ankommen. Sie wollen hin wo ich hinwill. Die Damen scheinen sich zu kennen und lachen viel an der Säule. Trotzdem mit drei Autos an einen Ladepunkt; keine gute Idee – aber in guter Gesellschaft scheinbar doch. Ich fahre weiter; jetzt wird’s langsam eng. Nochmal Bee. Ich sehe drei Autos sternförmig um die Ladesäule vor dem Burgerladen parken. Nicht gut denke ich. Ich quetsche mich dazu. Der CCS-Stecker ist frei, der Strom fließt.

Ladepark Hilden: Einfach genial, was hier ein Bäcker geschaffen hat.

Stippvisite beim Ladepark in Hilden

Stockholm umfahre ich, was Zeit kostet und die Kilometer verringert; blöde Kombination. Jetzt bin ich wieder in Ionity-Land. Verlässlich volle Ladepower und damit maximale Reisegeschwindigkeit. Ich fahre wieder über den Öresund. Nach 46 Stunden bin ich in Deutschland. Ich fühle mich super und fahre weiter. Ein kleiner Umweg zum Ladepark Hilden, dem größten Ladepark Deutschland. Einfach genial, was ein Bäcker hier geschaffen hat. Sie wollen über EVs fachsimpeln oder Nerds beobachten? Kommen Sie hierher. Ich freue mich, den Chef Roland Schüren Samstagmittag zufällig persönlich zu treffen und ihm zu allem hier gratulieren zu können. Den ersten Kaffee nehme ich auch. Wenn man wartet, dauert Laden zu lange. Aber sobald man irgendwas anderes macht, geht es oft zu schnell.

Weiter geht’s nach Belgien und schon bin ich in Frankreich. Meine Route ist nicht die Schnellste, sondern möglichst mautfrei. Dieses französische Mautsystem – schlechter geht’s nicht. Alle paar Meter anhalten und dann auch noch ständig die Automaten befummeln müssen. Ganz toll. Nach einigen Fotostopps noch an der eingefrorenen Ostsee oder den Höga Kusten geht’s nun durch Fontainebleau.

20:00 Uhr, irgendwo in Zentralfrankreich. Der Kurzzeitspeicher, der sich automatisch zurücksetzt, sobald das Auto zwei Stunden nicht fährt, zeigt 3.973 Kilometer. Nach zweieinhalb Tagen hat die Batterie jetzt erstmalig Pause. Kein Fahren. Kein Laden. Kein Heizen. Einfach nur Stehen und Parken. Alles aus. Ganze zehn Stunden. Ich denke; soweit läuft die Anzeige nicht oft. Und: Ich wäre gern weitergefahren. Die Batterie denkt sich: Merci Macron! Ich recherchiere die weitere Lage in Spanien. Kompliziert. Punkt 6:00 Uhr fahre ich weiter. 6:02 Uhr hänge ich wieder bei Ionity. Aufwachen am Elektrogrill; 36 Minuten bis 100 Prozent – am schnellsten sollte es sein, direkt bis Bordeaux zu fahren ohne weiteren Stopp, knapp 280 Kilometer. Hier muss ich die Autobahn-Richtung kurz wechseln: Der einzige Lader steht Richtung Norden. So kommt eins zum anderen.

Zum dritten und letzten Teil des Reiseberichts geht’s hier

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7 Kommentare

  1. retep

    Ich stehe dem Elektroauto positiv gegenüber, auch wenn ich es erst zu einem TOYOTA Prius (Vollhybrid) gebracht habe.
    Dieser Bericht gehört aber in ein Unterhaltungsmagazin und nicht in eine Fachzeitschrift. Es fehlen nämlich sämtliche Fahrdaten wie Stromverbrauch von Ladestelle zu Ladestelle, die Kosten und ob überall die Tankkarte von Audi genutzt werden konnte. Und noch Vieles mehr.
    Ich erwarte weniger Emotionen und Poesie, dafür aber mehr Zahlen.

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    • Franz W. Rother

      Es ist ein Reisebericht, kein Test

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  2. Jo

    Zitat Anfang:
    „der nächste DC-Lader ist 298 Kilometer entfernt. So weit bin ich noch nicht an
    einem Stück gefahren. Also Heizung aus und den Range-Mode an. Ich ziehe vorsichtshalber meinen Skianzug an und eine warme Mütze auf den
    Kopf. Die Frontscheibe beschlägt langsam von innen, friert dann auch
    noch ein. Also kurz die Heizung an und eine Maske aufgesetzt: Bloß
    nicht Atmen.“ Zitat Ende

    Die einen nennen es Abenteuer, die anderen NoGo 🙂

    LG Jo

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  3. Uwe

    Schöner Bericht. Vielen Dank. Vor diesem Hintergrund ist der kürzlich durch die Medien gegangene Artikel mit den Rentern, die nur mal nach Frankreich wollten, umso lächerlicher.

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  4. Kate

    Danke für diesen tollen Bericht! Die Elektromobilität wird zum Reiseabenteuer und das würde ich nach diesem Beitrag auch gerne ausprobieren.

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  5. Strauss

    Danke für diesen lehrreichen Bericht.
    Mehr solche Praxiserfahrungen wären wünschenswert.
    Leider melden sich immer mehr Schreiber, die sich mit rein erworbenem Expertenwissen aus irgend woher, hier oder in anderen E Foren auf sich aufmerksam machen wollen.

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  6. rabo

    Ein herrlicher, nahezu poetischer Bericht mit eindrucksvollen Pics aus einer „neuen“ Zeit. Danke!
    Vor genau 50 Jahren habe ich mit meinem Landrover eine ähnliche 4-monatige Fahrt gemacht. Am 10.Dezember am Nordkapp – dann über Moskau nach Tarifa und Algeciras; denn mein Ziel lag noch etwas südlicher: Capetown. Eine Reifenpanne (mehr nicht).
    Heute liebe ich mein BEV (Smart 4/2 Cabrio) und warte auf ein passendes „nicht-SUV“ FCEV, um damit meine treue Diesel C-Klasse zu ersetzen.

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