Sonntag. 19.30 Uhr, Santa Monica. Frisch geladen steht der Porsche Taycan am Startpunkt Portofino Inn Hotel in Redondo Beach. Der Lack glänzt in der Abendsonne, die Scheiben sind blitzeblank. Minutenlang rechnet sich der Charging-Planer einen Wolf. Mit den 4.547 Kilometern kommt er irgendwie nicht klar, muss zu viele Ladestopps berechnen und die Ladesäulen genau anzeigen. Für eine extreme Tour, geht es doch nonstop durch die USA, von Santa Monica bei Los Angeles bis zur Red Ball Garage in Manhattan, New York City. Grob berechnet das Navi die Fahrzeit inklusive Ladezeiten auf 47 Stunden und 51 Minuten – auf zur Cannonball-Strecke.

Amerikas illegalen Grand Prix initiierten Brock Yates und Steve Smith 1971 als Cannonball Run. Schnell wurde die Strecke von Ost nach West eine Untergrund-Sensation der Racing-Gemeinschaft. Hollywood verfilmte die Strecke, wie unter anderem in „Cannonball“ von 1976 oder „Auf dem Highway ist die Hölle los“ (1981) mit Burt Reynolds und Roger Moore. Doch statt Lamborghini LP400 S von 1981 setzen wir auf einen Porsche Taycan, statt auf einen V12-Motor auf eine E-Maschine. Außerdem denken wir noch nicht mal daran, den Rekord zu brechen. Der liegt bei den Verbrennern bei nichtoffiziellen 25 Stunden und 39 Minuten für 4.532 Kilometer, bei einem Tesla Model S bei 42 Stunden und 17 Minuten. 

Auf die Plätze, fertig – Los!

2.581 Kilometer zeigt der Tacho des noch frischen Porsche an, in spätestens 544 Kilometern müssen wir das erste Mal laden. Es geht rauf auf den Freeway, stramm Richtung Osten. Nach 45 Minuten merken wir, wie riesig doch Los Angeles ist – wir befinden uns immer noch im Stadtgebiet und jetzt erst kommt der erste Stau. Zehn Minuten gehen verloren, in denen wir noch mal die Sitzposition und die Klimaanlage besser einstellen können.

Weniger laden heißt schneller am Ziel sein

Mit seinen 300 kW/408 PS könnte der Taycan bis zu 230 km/h schnell fahren. Viel zu viel für die USA. Wir halten uns an die Geschwindigkeitsbegrenzung, fahren mal fünf Meilen schneller als erlaubt – und das auch nur mit Angst im Nacken. Die Cops im mittleren Westen verstehen bei Speeding keinen Spaß. Außerdem pendelt sich der Verbrauch bei unter 20 kWh ein, was wiederum gut für unsere Reichweite ist. Weniger laden heißt schneller am Ziel zu sein. 

Freie Auswahl

Unser Dauerthema. Zwar liegt der Akku-Energiegehalt bei 89 kWh, sein Netto-Gehalt aber nur bei 82,3 kWh. Bei einem Verbrauch von unter 20 kWh müssen wir spätestens alle 400 Kilometer laden, wegen des dünnen Ladenetzes meist sogar vorher. Vorerst zuckelt der Taycan daher mit rund 130 km/h lässig über den Freeway, frisst fleißig Kilometer. Die Abfahrt nach Las Vegas lassen wir links liegen, haben nach drei Stunden gut 300 Kilometer zurückgelegt. So kann es gerne weitergehen. 

400 Kilometer Reichweite nach zwölf Minuten

Um 23.45 Uhr steht dann der erste Ladestopp an. Jetzt wird es spannend: Vier Säulen von Electrify America mit Ultrafast-Strom und 350 kW Leistung stehen bereit, alle sind frei. Allerdings funktioniert die erste weder als Plug-and-load noch mit der My-Porsche-Charging-App, die zweite dafür mit unserer Kreditkarte. Glück gehabt. Also das dicke Ladekabel in der rechten Seite des Taycan einstecken und den Ladevorgang starten. Die Säule knackt kurz, das Gebläse des Porsche heult nach wenigen Sekunden laut auf und der Taycan zieht mit erstaunlichen 305 kW Energie in die Akkus. Unterm Auto tobt ein warmer Sturm, pustet die kurze Hose auseinander. Nach nur zwölf Minuten, einer kurzen Pinkelpause und einem heißen Kaffee lädt sich der Akku wieder auf 88 Prozent voll und die Reichweite liegt bei über 400 Kilometern. So kann es gerne weiter gehen. 

Texas-Ranger

Wir fahren weiter durch Arizona, genießen die Ruhe im Taycan. Ein paar Trucks überholen uns links und rechts, fahren deutlich schneller als 130 km/h, nach rund 350 Kilometer müssen wir in Winslow/Arizona erneut laden. Das gleiche Spiel: Freie Superschnelllader mit bis zu 350 kW, Plug-and-Charge funktioniert bei Porsche nicht, dafür klappt es beim zweiten Anlauf mit der Kreditkarte und der Porsche nimmt mit heißem Gebläse die Energie auf. 

Plug & Charge? Denkste!

Gut so, denn jetzt geht es genau 906 Kilometer schnurstracks geradeaus. Es sind diese Weiten, die das Land so unfassbar machen. Also Tempomat einschalten, sich einen frischen Podcast aussuchen und Meter machen. Kurz vor der Landesgrenze nach New Mexiko geht die Sonne auf, taucht die weite Landschaft in warmes Orange. Rechts huschen die Berge und Sträucher vorbei, links auf der Gegenfahrbahn die dicken Trucks. Nach 1.051 Kilometer stecken wir den Ladestecker in Gallup/New Mexiko in den Porsche, laden bis zu 85 Prozent SOC auf und zuckeln gemütlich weiter auf dem Freeway Richtung Osten. Die Fahrt auf der langen Strecke wird nicht spannender, deshalb wechseln wir spätestens nach jedem zweiten Ladestopp die Plätze. Der Copilot kontrolliert dann die Strecke, gibt den nächsten Ladepunkt ein und klappt den Sitz weit nach hinten. Endlich ein paar Stunden schlafen. 

Fliegen-Fänger

Beim nächsten Ladestopp steht erstmals seit Santa Monica ein anderes Auto an der Ladesäule, zieht sich ebenso gierig den Strom in seine Akkus wie unser Taycan. Da am Montagmorgen nun wieder die Porsche-Werkstatt geöffnet hat, fragen wir telefonisch nach der Funktionsweise des Plug-and-Charge-Systems mit Aktivierung der Ladesäule nach – leider ohne Erfolg. Also weiter mit Kreditkarte aktivieren und bezahlen, das funktioniert wieder reibungslos. 

Verbrauch von 19,8 kWh auf 100 Kilometer

Auch der Verbrauch des Porsches liegt im grünen Bereich: Noch 2.990 Kilometer bis nach New York City, der Porsche pendelt sich bei 19,8 kWh auf 100 Kilometer ein, bei einer Geschwindigkeit von rund 130 km/h und laufender Klimaanlage – so viel Luxus muss tagsüber sein. 

Auch die nächsten Power-Ladesäulen von Electrify America funktionieren und laden den Porsche innerhalb von rund zwölf Minuten auf. Das 2017 gegründete Unternehmen betreibt in den USA mehr als 4.250 Schnelllader an mehr als 950 Stationen. Die Gründung geht auf den VW-Dieselskandal zurück. Danach hat sich VW verpflichtet, zwei Milliarden Dollar in den Aufbau des Netzes zu investieren. Das Geld scheint angekommen zu sein, nur nicht in Amarillo/Texas. Denn dort stehen Ladesäulen von GM, gegen die gleißende Sonne gut unter einem Dach geschützt. So können wir im Schatten unsere müden Körper dehnen und den Kreislauf wieder in Schwung bringen. 

Electrify America – powered by Volkswagen

Das Navi zeigt nur noch 2.791 Kilometer bis New York an und kann nun endlich die Ankunftszeit mit allen Ladestopps berechnen. Parallel zur legendären Route 66 fahren wir weiter Richtung Osten und es wird immer heißer. Das merkt auch der Porsche. Beim nächsten Ladestopp in Weatherford/Oklahoma lädt der anscheinend heiße Akku nur mit 75 kW, obwohl er dank des Navis hätte vorkonditioniert sein müssen. Wir lassen das Auto ein paar Minuten abkühlen, wechseln die Ladesäule und starten den Vorgang erneut. Endlich saugt sich der Taycan mit 300 kW Gleichstrom in seine Zellen. Puh, Glück gehabt. 

„Bergfest“ in Oklahoma

Tulsa/Oklahoma gegen Abend: Wir feiern bei Wasser, Äpfel und Bananen unser Bergfest. 2.389 Kilometer liegen hinter uns, dazu die Staaten Kalifornien, Arizona, New Mexiko, Texas und Oklahoma. So langsam haben wir uns mit Electrify America, den Ladesäulen und dem Porsche eingegroovt, werden sicherer und bauen kleinere Akku-Puffer ein. Mit einer Restreichweite von 40 Kilometer und sieben Prozent SOC rollen wir an die nächste Ladesäule an. Und wie gewohnt ist sie frei und funktioniert tadellos. 

In weniger als 20 Minuten füllt sich der Akku mit 80 kWh, das ist schon imposant und nimmt jedem, wirklich jedem Reichweiten-Angsthasen und Elektro-Kritiker die Argumentationsgrundlage. Gut, ein Mercedes E320 CDI mit großem Tank muss nicht nach 3,5 Stunden anhalten und tanken, weil er bei dem Tempo mehr als dreimal so weit kommt. Aber die Frage nach der passenden Infrastruktur stellt sich auch im mittleren Westen der USA nicht – sie ist entlang der Freeways einfach vorhanden und funktioniert. 

Die Zeit läuft

Mit einer Restreichweite von unter 50 Kilometer rollen wir auf einen großen Parkplatz kurz vor Columbus/Ohio – und zum ersten Mal erfahren wir ein bisschen Luxus beim 350-kW-Laden. Liegen die Stationen meist an Tankstellen, Industriegebieten oder fernab jeglicher Zivilisation, überzeugen die Schnelllader in Columbus durch ihre Nähe zu einer Einkaufsmeile mit nettem Café. Zum Lohn für die Strapazen gönnen wir uns Café Crema in Tassen und Gebäck vom Teller – und nehmen die letzten Meilen in Angriff. 

4568 Kilometer in knapp 47 Stunden

Ein vorletztes Mal laden wir in Pennsylvania an einer Tankstelle mit fünf 350-kW-Ladern und einem Supermarkt, der so groß ist wie die Metro in Köln. Size matters. Doch Zeit zum Shoppen haben wir nicht. Ein paar Flaschen Wasser und ein Kaffee müssen reichen. 

Gegen 18.30 Uhr haben wir nur noch 226 Kilometer bis zum Ziel und das erste Ortschild New York City – 135 Meilen erscheint am Wegesrand. Ein Klacks. Die Vorfreude wächst und wir zählen die Meilen. Nicht nur die. 

Am Ziel der Träume

Kalifornien, Arizona, New Mexico, Texas, Oklahoma Missouri, Illinois, Indiana, Ohio, Pennsylvania, Jersey und New York. Endlich. Nach 17-mal laden, vier Zeitzonen, 4.568,3 Kilometer, 46 Stunden und 52 Minuten und 56 Sekunden erreichen wir mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 107 km/h die Red Ball Garage in Manhattan. Der Lack ist von Staub und Schmutz überzogen, am Stoßfänger kleben unzählige Mücken. Der Bordcomputer zeigt eine reine Fahrtzeit von 43 Stunden und 10 Minuten an. Damit hätten wir 3 Stunden und 42 Minuten an der Ladesäule verbracht.

Was für ein Ritt. Aber auch was für eine Erkenntnis: Elektromobilität quer durch die USA ist kein Wunsch für die Zukunft, sondern längst Realität.

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