Noch lachen sie bei Tesla, wenn ihre Kunden was von einem Konkurrenten NIO erzählen. Aber womöglich nicht mehr lange, denn hinter den Kulissen bastelt das chinesische Start-up, das erst am 25. November 2014 vom visionären William Li gegründet wurde, an einem Elektroauto-Unternehmen der Superlative, das vom smarten Günstig-Mini bis zum Luxus-Liner einmal sämtliche Marktsegmente besetzen soll. Und sich mit puristischem Design und Batterie-Wechselstationen vom Wettbewerb abhebt. Dabei klingen die aktuellen NIO-Zahlen aus der Firmenzentrale in Shanghai noch nicht berauschend. Gerade haben sie in China die Auslieferung ihres 300.000 Fahrzeuges gefeiert. Dafür haben sie am Standort Hefei über vier Jahre gebraucht, denn Produktionsstart war dort im Mai 2018. So etwas erledigt der japanische Branchenriese Toyota in rund eineinhalb Wochen. Und Elektro-Pionier Tesla in knapp zwei Monaten.
Andererseits: Allein für NIOs zweite, noch brandneue Fabrik im chinesischen Hefei ist die Kapazitätsprognose kürzlich von 500.000 auf eine Million Einheiten angehoben worden. Und diese Produktionsstätte in Modulbauweise könne problemlos noch erweitert werden, haben wir gerade in Berlin unter der Hand gehört. Die aktuelle Hochlaufkurve sei extrem steil, in den nächsten Monaten würden aus Hefei unentwegt Rekordzahlen erwartet. Gerade werde dort eine hauseigene Batterieproduktion aufgebaut. Das passt ins große Bild: Bis 2025 will die Marke weltweit auf 25 Märkten präsent sein.
Stylishe Begegnungsstätte am Breitscheidplatz
Und nun ist auch Berlin im Spiel. Denn um die Marke bekannt zu machen setzt das Unternehmen auf „NIO-Houses“, von denen es weltweit inzwischen 92 gibt. Das insgesamt 93. und erste in DEutschland wurde jetzt in Berlin eröffnet. Mit einer Toplage direkt am Breitscheidplatz, mit Blick auf die Gedächtniskirche. Auf drei Etagen und 2100 Quadratmetern Fläche. Öffnungszeiten? Wie die Designerläden im Umfeld von 10 bis 20 Uhr.
Viel Glas, mehrere Etagen und überall das angesagte Ökodesign mit diversen mehr oder weniger veganen Materialien. Recycelte Ziegel, wiederverwertetes Holz und Terrazzoböden aus aufbereitetem Alt-Kunststoff. Zwei Cafés mit dem angeblich bestem Kaffee der Stadt, Working-Spaces, ein Playground für die Kids, eine Kunstgalerie, ein Verkaufsshop für NIO-Accessoires, eine Bibliotheks-Lounge, eine Media-Alley und eine Bar mit Lindenblüten-Cocktails. Macht schwer was her.
Julian Schreiner, der NIO-City-Manager Berlin, muss da selbstverständlich noch ein bisschen mehr aufdrehen: „Das NIO House ist gleichermaßen Begegnungsstätte und Showroom, der die Welt in die Marken- und Produktwelt eröffnet.“ Und die zentrale Lage verdeutliche die Nähe zur designaffinen NIO-Community und zum Premium-Anspruch der Marke. City-Manager Schreiner plant schon mal ein buntes Programm. Von der DJ-Afterworks-Party über Yoga-Sessions bis hin zu Fashion-Shows. Ist natürlich nicht alles umsonst hier, aber prinzipiell bargeldlos. Man bezahlt mit Punkten, die es zum Beispiel beim Kauf eines NIO-Elektroautos gibt, oder mit irgendeiner Geldkarte.
Weitere NIO Houses sind in Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg im Entstehen. Standorte in Köln und München (wo das globale Designcenter der Marke beheimatet ist) sind in Planung, was aber noch nicht offiziell ist. Darüber hinaus betreibt NIO in Deutschland bereits elf Auslieferungs- und Annahmecenter, weitere fünf sollen demnächst hinzukommen. Dort sollen die potentiellen Kunden die Autos nicht nur virtuell, sondern auch physisch bei Sitzproben und Probefahrten erleben dürfen.
„Power Swap“ als Attraktion
Was sie bei NIO immer gern betonen: Die aktuellen Modelle, die im Showroom stehen, bieten (im Gegensatz zu Tesla) schon von Haus aus eine Vollausstattung, bei der fast alles, bis auf die 21 Zoll großen Karbonfaser-Leichtmetallfelgen und Winterräder, inklusive ist. Dazu offerieren die Chinesen eine bemerkenswert feine Verarbeitung, die locker auf dem Level von Mercedes, Audi oder BMW mitspielen kann, wie wir schon vor Wochen auf einer längeren Testfahrt feststellen konnten.
Inzwischen hat NIO bei uns diverse ET7-Modelle ausgeliefert, aber über aktuelle Verkaufszahlen will Deutschland-Chef Ralph Kranz noch nichts sagen. „Wir sind durchaus zufrieden“, lässt er sich maximal entlocken. Und ergänzt freudestrahlend, dass es „extrem viele Anträge auf Probefahrten“ gäbe.
Der anziehungsstarke Clou, so Kranz, seien eben gerade die ersten deutschen „Power-Swap“-Stationen von NIO („unser einzigartiges Alleinstellungsmerkmal“), in denen eine leere Batterie in fünf Minuten vollautomatisch gegen eine geladene im Einheitsformat ausgetauscht werden könne. Und da passt es bestens, das es jetzt eine Kooperation mit dem Energieversorger EnBW gibt, der in seinen aktuellen und zukünftigen Schnellladeparks insgesamt 20 Batterie-Wechselstationen einplant. An strategisch verkehrsgünstigen Standorten sollen sie innerhalb von zwei Jahren in Betrieb sein.
Tesla-Fahrer drehen Kreise
Weitere Kooperationen seien geplant, verrät Kranz. „Wir schauen uns gerade alles mögliche an, von den großen Raststätten bis zu den gut gelegenen Autohöfen.“ In China gibt es übrigens schon fast 1200 dieser Stationen, die weit über 12 Millionen Batteriewechsel absolviert hätten. Bis 2025 sollen es mindestens 3000 sein.
Kranz hat auch noch eine hübsche Info parat. Speziell die Batterie-Wechselstation bei Sortimo im süddeutschen Zusmarshausen direkt an der stark frequentierten A8 hätte sich zu einem regelrechten Anziehungspunkt für Elektroauto-Fahrer aller Marken entwickelt, grinst er. „Die wollen alle sehen, wie toll unser Batterie-Austausch tatsächlich funktioniert.“ Besonders Tesla-Fahrer, die sonst immer so stolz auf das Ladetempo ihrer Supercharger seien, würden regelrecht Kreise um das Technik-Häuschen fahren.
Aktuell würden in Deutschland noch Stationen der zweiten Generation eingesetzt, die für maximal 312 Wechsel pro Tag ausgelegt sind. Bis zu 13 Batterien werden da netz- und batteriezellenschonend mit 40 bis 80 kW gleichmäßig geladen, ohne das Stromnetz zu stressen. Doch Ende nächsten Jahres dürften die Stationen der Generation 3.0 folgen, berichtet Kranz. Die können dann bis zu 21 Batterien vorhalten und diese um bis zu 90 Sekunden schneller als bisher wechseln. Also in weniger als vier Minuten.
Weiter Zoff mit Audi
Auch der Modellfahrplan von NIO gleicht einer Temporunde. Im März kommt der 4,91 Meter lange und 1,72 Meter hohe SUV ES7 zu uns, der in Deutschland jedoch EL7 („Elektric Lifestyle“) heißen muss. Denn wegen dem S gibt es Zoff mit Audi, der immer noch nicht ausgestanden ist. „Laufendes Verfahren“ – deshalb gibt es dazu keinen Kommentar von NIO. Und ab Juni sollen erste Exemplare des Mittelklässlers ET5 ausgeliefert werden. Eine mit 4,79 Metern Länge deutlich kleinere Limo, die es auch in einer besonders günstigen Basisversion geben soll. Weitere Modelle für 2023 stehen schon parat. Zum Beispiel der kleinere SUV ES6 (bei uns als EL6) oder seine coupehafte Version EC6.
Genaueres und noch mehr gibt es am 24. Dezember beim nächste NIO-Day aus Hefei. Wie bisher mit Ausblicken in die Modell-Zukunft des Unternehmens. Zum Beispiel auf die Europa-Einführung der 150 kWh starken Semi-Feststoffbatterie mit festem und flüssigem Elektrolyten. Sie hat offenbar eine Anode aus Silizium-Kohlenstoff-Verbundmaterial mit extremer Energiedichte (360 Wh/kg), die der chinesische Batteriehersteller WeLion zuliefert. Diese Batterie soll eine elektrische Reichweite von bis zu 1000 Kilometern bieten und nach derzeitigem Stand in der zweiten Jahreshälfte 2023 auch auf dem deutschen Markt offeriert werden.
In Hefei dürfte auch der Starttermin fürs schnellere DC-Laden der Nio-Modelle bekanntgegeben werden, für den sämtlich aktuellen Modelle schon vorbereitet sind. Wir rechnen mit einem deutlichen Sprung in Richtung der 200 kW – aktuell fließt der Strom maximal mit 130 kW.
Neue Submarken in Vorbereitung
Ab 2024 soll es bei NIO sogar zwei Submarken geben, die sich auf besonders günstige Elektroautos spezialisieren. Unter dem Arbeitstitel „Alps“ – damit ist tatsächlich das Auf und Ab der Berge gemeint – geht es um Autos, die schon in der zweiten Hälfte 2024 starten könnten und zwischen 15.000 und 30.000 Euro kosten. Hinter dem Codenamen „Firefly“ verbergen sich, quasi im Tal, Billig-Modelle, die zwischen 10.000 und maximal 30.000 Euro rangieren. Entsprechende Tesla-Modelle sollen preislich um mindestens zehn Prozent unterboten werden.
Grundsätzlich gibt es alle NIO-Autos in einem All-inklusive-Abo („NIO Subscription“). Aber nach dem Internet-Aufstand der Interessenten seit dem 21. November auch im klassischen Verkauf. Die Akkus müssen dann zusätzlich gekauft oder angemietet werden. Zu durchaus selbstbewussten Preisen. Details finden sich auf der NIO-Website oder in der NIOs App, mit der sich auch etliche Punkte sammeln lassen. Demnächst will Kranz für die NIO-Modelle auch ein gängiges Leasing und eine klassische Finanzierung anbieten, man sei bereits auf der Suche nach einer passenden Bank.
Aktuell laufen zum Anfüttern der Klientel noch diverse „Pionier“-Sonderaktionen. Wer zum Beispiel seinen NIO noch vor dem 31. März bestelle, der bekäme ihn umsonst vor die Haustür gestellt. Dazu spendieren die Chinesen gerade diverse Rabatte. Auch die Batteriewechsel an den ersten deutschen Wechsel-Stationen gibt es bis Ende März 2023 noch komplett umsonst, sie sollen sich später preislich am norwegischen Level orientieren (zehn Euro Servicegebühr, zuzüglich aufgenommener Strommenge). Und von NIO wird es in den nächsten Monaten noch weitere Lockvogel-Angebote geben.
Hallo, ich bin sehr gespannt und werde Euch am 27.12. oder am 28.12.2022 in Berlin besuchen. Gruß Niklas