Von Nio haben Sie vielleicht schon gehört. Richtig, das ist der chinesische Elektroauto-Hersteller mit den bislang ziemlich teuren Abo-Angeboten und diesen exklusiven vollautomatischen Wechselstationen, in denen sich leere Akkus, wenn man es denn beim Kauf des Autos gebucht hat, in ein paar Minuten gegen vollgeladene Exemplare tauschen lassen.

Weltweit betreibt die Marke inzwischen mehr als 2500 dieser Stationen, fast alle davon in China selbst, nur 34 liegen in Europa. In Deutschland gibt es bislang gerade mal acht dieser Wechsler, die bei Nio offiziell Power Swap Station (PSS) genannt werden. Immerhin: Noch in diesem Jahr sollen bei uns neun weitere Stationen öffnen, einige bereits mit vollautomatischem Betrieb, der ganztägig bis zu 408 Wechsel pro Tag erlauben und in der neuesten 3.0-Version den Austausch in nur knapp drei Minuten erledigen soll.

Swopen statt Laden 
Nio ist bislang der einzige Elektroautohersteller der Neuzeit, der einen kompletten Tausch des Akkus ermöglicht. Das Unternehmen hat dazu weltweit ein Netz von 2500 Power Swop Stationen aufgebaut, acht davon in Deutschland.
Swapen statt Laden
Nio ist bislang der einzige Elektroautohersteller der Neuzeit, der einen kompletten Tausch des Akkus ermöglicht. Das Unternehmen hat dazu weltweit ein Netz von 2500 Power Swap-Stationen aufgebaut, acht davon in Deutschland.

Generell scheint die junge Marke mit der Luxus-Liner ET7 und dem kleineren Mittelklässler ET5 (den es auch als schicken Kombi gibt) sowie den SUV-Modellen EL6 und EL7 bei uns bislang auf eine eher gebremste Resonanz zu stoßen. Nur rund 1000 Autos hat Nio im letzten Jahr unter die Leute gebracht. Was vermutlich an den erwähnten hohen Einstiegspreisen liegt. So verlangt der ET5 als Limousine derzeit nach mindestens 47.500 Euro beim Direktkauf, wobei selbst die kleinere 75 kWh-Batterie mit noch einmal zusätzlichen 12.000 Euro zu Buche schlägt — oder mit 169 Euro bei monatlicher Miete (100 kWh: 21.000 Euro oder 289 Euro monatlich). Oder eben dieses All-inklusive-Abo, dass interessanterweise von über 90 Prozent der Kunden gewählt wird. Kostet jedoch schon beim ET5 rund 900 Euro pro Monat.

„Wir sind am Start, aber noch nicht im Rennen“

Künftig könnte es mit dem Geschäft der Chinesen möglicherweise flotter vorangehen, denn der neue Deutschland-Chef Marius Hayler, 55, der einen ziemlich toughen Eindruck macht, hatte bislang erfolgreich im Stromer-Vorzeigeland Norwegen das Sagen. Dort, wo 86 Prozent aller Neuwagen einen Elektroantrieb haben. In Deutschland, wo der lukrative Premium-Markt traditionell von Mercedes, BMW und Audi dominiert werde, sei das natürlich schwieriger, räumt er ein. „Wir sind am Start, aber noch nicht im Rennen.“

Marius Hayler
Der Betriebswirt steht seit November 2023 an der Spitze von Nio Germany. Zuvor war er für die chinesische Automarke sowie für Jaguar LandRover und Volvo in Norwegen tätig. Seine Karriere in der Autoindustrie begann 2004 bei der BMW-Tochter Mini.

Eigentlich, so Hayler, gehe es bei dieser jungen Marke, die ähnlich effektiv wie ein Tech-Unternehmen agiere, erst einmal hauptsächlich um die Zufriedenheit der User (so heißen bei hier die Kunden) mit den Produkten von Nio. Quasi um die Glückseligkeit der Community, die sich ständig in der smarten Nio-App treffe. Okay, das ist jetzt vielleicht übertrieben, aber höchstens zu 25 Prozent. Denn selbst William Li, der charismatische Vorsitzende der Marke, der das Unternehmen Nio erst 2014 gegründet hat, betone permanent, wie wichtig ihm die Begeisterung der User sei. Noch wichtiger als nackte Absatzzahlen.

Neue Nio-Häuser in Hamburg, Köln und Frankfurt

Hayler will deshalb auch keine konkreten Vertriebsziele für 2024 nennen. Selbstverständlich habe man einen Business-Plan, verrät er, „aber den wollen wir nicht öffentlich kommunizieren.“ Grundsätzlich, erklärt er uns, werde Nio aber in diesem Jahr deutlich präsenter sein. Allein dadurch, dass 2024 diverse neue Anlaufpunkte entstehen. So öffnet nach Berlin, Frankfurt, Düsseldorf nun auch ein Nio-House in Hamburg. Und zum Hub in München gesellen sich noch Hubs in Köln und Frankfurt, die mit der Kombination von Verkauf, Auslieferung und Service beinahe gängigen Autohäusern ähneln. Außerdem plant Nio für die Auto-Auslieferung sogenannte Handover-Center in den nächstgrößeren deutschen Städten.

Treffpunkt der Community
 Nio Houses wie das hier in Berlin sollen Markenerlebnisse schaffen und sind deshalb deutlich mehr als Autohäuser.
Treffpunkt der Community
Nio Houses wie das hier in Berlin sollen Markenerlebnisse schaffen und sind deshalb deutlich mehr als Autohäuser.

Mit diesen geplanten Neueröffnungen dürften auf alle Fälle mehr Stromer von Nio ihre Interessenten finden, ist sich Hayler sicher: „Da werden wir spürbar zulegen“. Zumal auch die Anzahl der Nio-Mitarbeiter deutlich wachsen soll. Von aktuell 150 auf rund 200 Leute. Ein klassische Händler-Vertriebsstruktur sei aber nicht geplant, beteuert Hayler, nur beim Service wolle man nun auch auf kompetente Händler setzen, entsprechende Verhandlungen (klar, leider noch geheim) liefen bereits. Die bewährte Zusammenarbeit mit der Global Automotive Service GmbH sei davon aber nicht betroffen.

Rabatt von 30 Prozent für Taxifahrer

Wie es denn mit Preissenkungen wäre, die gerade überall massiv in der automobilen E-Branche grassieren, wollen wir dann natürlich wissen. Und bekommen dazu vom neuen Deutschland-Chef eine ziemlich klare Ansage: „Da ist nichts geplant, wir werden unsere Preise stabil halten“. Schließlich wolle Nio seine Premium-Position nicht durch Nachlässe aufs Spiel setzen. Und das beträfe auch die Stabilität der derzeitigen Abo-Angebote mit den All-inclusive-Programmen.

Die Chinesen versuchen es gerade mit kleineren Lockmitteln. So gibt es bis Ende März bei Nio den Batteriewechsel und den Strom umsonst, ab April gibt es monatlich zwei Wechselgebühren (je 10 Euro) geschenkt. Auch ist Nio jetzt mit der sehr geräumigen Oberklasse-Limousine ET7 ins Taxigeschäft eingestiegen. Die entsprechend umgerüsteten Modelle werden aktuell mit einem Rabatt von 30 Prozent angeboten, und in Hamburg soll dafür in Flughafennähe extra eine Batterie-Wechselstation gebaut werden.

Konkurrenz für Mercedes EQS und BMW i7 
Der 5,33 Meter lange Luxus-Stromer Nio ET9 ist speziell für High-End-Businessnutzer konzipiert und glänzt unter anderem mit einer 900-Volt-Architektur. Nach Europa kommt er allerdings wohl erst 2027. Fotos: NIO
Konkurrenz für Mercedes EQS und BMW i7
Der 5,33 Meter lange Luxus-Stromer Nio ET9 ist speziell für High-End-Businessnutzer konzipiert und glänzt unter anderem mit einer 900-Volt-Architektur. Nach Europa kommt er allerdings wohl erst 2027. Fotos: NIO

Inzwischen gibt es bei Nio sogar ein neues Topmodell, dass noch deutlich oberhalb des schon schwer luxuriösen ET7 rangiert. Der gerade vorgestellte, 5,33 Meter lange ET9 ist mit seiner Lounge-Ausstattung und seiner Supercomputing-Plattform (Adam 2.0) laut Nio speziell für High-End-Businessnutzer gedacht. Marschiert gegen den Mercedes EQS und den BMW i7. Lädt laut Nio mit einer 900-Volt-Architektur in nur fünf Minuten den Strom für 255 Kilometer. In China ist dieser Überflieger erst ab 2025 zu haben, bei uns wahrscheinlich zwei Jahre später. Dafür soll aber das große, rund fünf Meter lange, siebensitzige EL8-SUV noch im Herbst dieses Jahres zu uns kommen. Und mittelfristig in den größeren Nio-Modellen die angekündigte 150-kWh-Batterie, die für Reichweiten von über 800 Kilometer gut sein soll.

Submarke Firefly startet 2025

Viel spannender und wichtiger ist aber die Tatsache, dass Nio bereits 2025, also zeitlich vor dem VW-Konzern, mit einem ersten Gut-und Günstig-Modell auf den deutschen Markt kommen will. Geplant unter der Submarke Firefly („Leuchtkäfer“), so erklärt uns Hayler, sei ein vollelektrischer Kleinwagen fürs B-Segment, also etwa im kompakten Vier-Meter-Format eines VW Polo, der keine 25.000 Euro kosten soll. Ein Fünftürer, der im Design speziell für Europa konzipiert ist und für seine Batterien sogar die Wechselstationen der Marke nutzen kann. Weitere Firefly-Modelle und -Karosserieversionen dürften folgen. Mehr für den einheimischen chinesischen Markt ist indes die Submarke Alps vorgesehen, die sich auf kompakte Edelmodelle unterhalb des Nio ET5 konzentrieren könnte.

Geely zieht mit
Partnerschaften mit den großen chinesischen Autoherstellern Geely und Changan Automobile sollen dazu beitragen, das Batteriewechselsystem populärer zu machen und die Kosten des Infrastrukturausbaus auf mehrere Schultern zu verteilen.
Geely zieht mit
Partnerschaften mit den großen chinesischen Autoherstellern Geely und Changan Automobile sollen dazu beitragen, das Batteriewechselsystem populärer zu machen und die Kosten des Infrastrukturausbaus auf mehrere Schultern zu verteilen.

Interessante Sache: Im ungarischen Biatorbágy hat Nio bereits eine eigene Produktionsstätte. Allerdings nicht für Fahrzeuge, sondern für die Endmontage und den Kundendienst der hauseigenen Batteriewechsel-Stationen. Und dieses spezielle Werk dürfte künftig eine immer wichtigere Rolle für die Marke spielen. Dazu Hayler: „Der Standort arbeitet sehr flexibel, da können wir jederzeit jeden Bedarf an PSS-Stationen kurzfristig bedienen“.

Europa-Produktion noch offen

Mittelfristig könnte es sogar eine echte Produktionsstätte für Nio-Modelle in Europa geben, auch wenn sich sämtliche Nio-Manager bei diesem Thema noch ziemlich zugeknöpft geben. Angeblich schaue sich die Marke auch schon mal unauffällig um, vernahmen wir vor kurzem. Unter anderem sei das Ford-Werk in Saarlouis im Gespräch gewesen. Hayler schweigt dazu, zitiert jedoch gern einen schönen Spruch von Nio-Chef Li: „Wenn ihr in Europa erst einmal genügend Autos verkauft, dann bauen wir da auch eine Fahrzeugfabrik.“

Leuchtkäfer
Nio-Chef William Li war nach einer Testfahrt mit dem Baojun KiWi EV angeblich schwer beeindruckt von dem elektrischen Kleinwagen, das in einem Joint Venture von SAIC mit General Motors produziert wird. Einen ähnlichen "Leuchtkäfer" könnte Nio unter der geplanten Submarke Firefly schon 2025 auf den Markt bringen. Foto: GM-SAIC
Leuchtkäfer
Nio-Chef William Li war nach einer Testfahrt mit dem Baojun KiWi EV angeblich schwer beeindruckt von dem elektrischen Kleinwagen, das in einem Joint Venture von SAIC mit General Motors produziert wird. Einen ähnlichen „Leuchtkäfer“ könnte Nio unter der geplanten Submarke Firefly schon 2025 auf den Markt bringen. Foto: GM-SAIC

Geld genug für die nächste Zukunft von Nio scheint jedenfalls vorhanden zu sein, auch wenn der Aktienkurs seit Monaten schwächelt, die Marktkapitalisierung darüber von rund 100 Milliarden Dollar auf unter 13 Milliarden Dollar abgesackt ist. Dennnoch hat im Dezember der Staatsfond CYVN aus Abu Dhabi weitere 2,2 Milliarden Euro in die Marke gesteckt und damit seinen Anteil auf mehr als 20 Prozent erhöht. Das Geld wird dringend gebraucht, denn 2023 hat Nio weltweit erst 160.038 Autos verkauft. Das reicht noch nicht für schwarze Zahlen. Aber bereits Ende 2024 will Nio, wie in der Branche zu hören ist, vielleicht zum ersten Mal profitabel sein.

Dazu könnte mittelfristig auch die gerade beschlossenen strategischen Partnerschaften mit den großen chinesischen Autoherstellern Geely und Changan Automobile beitragen. Mit denen bekommt Nio nämlich starken Rückenwind für seine Batterie-Wechselstationen. Denn in der detailliert definierten Zusammenarbeit soll es in den nächsten Jahren vor allem um angepasste Batteriestandards und die Optimierung von Nios PSS-Technologie gehen. Und natürlich um einen entsprechenden Netzausbau. William Li: „Wir werden den Aufbau eines gemeinsamen Batterietausch-Netzwerkes starten“.

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