Mit Elektromobilität kennen sie sich in Japan aus. Schon 1947 brachte der frühere Flugzeughersteller Tachikawa den Pickup „Tama“ auf den Markt, der mit einem 3,3 kW (4,5 PS) starken Elektromotor und einem Blei-Akku bis zu 65 Kilometer weit fahren konnte – bei einer Spitzengeschwindigkeit von 35 km/h. Ein wirtschaftlicher Erfolg war der Tama Truck freilich nicht – nach nur einem Jahr wurde die Produktion wieder eingestellt.
Wenn man so will, nahm Nissan den Ball 60 Jahre später auf – mit der Präsenation des Nissan Leaf 2009 in Yokohama. Es war das erste Großserienautos, das ausschließlich für einen Elektroantrieb konzipiert war. Und es ist bis heute eines der meistverkauften Elektroautos der Neuzeit: Über eine halbe Million Fahrzeuge wurden in den zurückliegenden elf Jahren von dem Modell verkauft, das mittlerweile in der zweiten Generation auf dem Markt ist. Mit mehr als 40.000 Einheiten war der Leaf 2018 sogar das meistverkaufte Elektroauto Europas.
Inzwischen ist der Nissan Leaf in den Verkaufsstatistiken weit zurück gefallen – andere Autohersteller haben aufgeholt und leistungsfähigere Elektroautos auf den Markt gebracht, mit größeren Akkus, höheren Ladeleistungen und deutlich mehr Reichweite. Noch in diesem Jahr sollte deshalb mit dem Elektro-SUV „Ariya“ die nächste Entwicklungsstufe gezündet werden – wegen des aktuen Chipmangels verzögerte sich die Markteinführung dann jedoch. Die ersten Exemplare des stylishen 4,60 Meter langen Stromers sollen nun erst im Sommer kommenden Jahres nach Europa kommen. Mit Front- und Allradantrieb, Akkus mit 63 und 87 Kilowattstunden Speicherkapazität und elektrischen Reichweiten von bis zu 500 Kilometern.
Feststoff-Batterien gehen 2024 in Produktion
Und die Elektrifizierungs-Strategie Nissan geht noch weiter. Wie Vorstandschef Makoto Uchida und sein COO Ashwani Gupta am Morgen in Japan bekannt gaben, wird Nissan im Rahmen des Programms „Ambition 2030“ in den kommenden neun Jahren 15 neue Batterieautos auf den Markt bringen und dazu in den kommenden fünf Jahren umgerechnet 15,6 Milliarden Euro investieren. Unter anderem in mehrere Batterie-Fabriken in Japan, Großbritannien und den USA mit einer Gesamtkapazität von 130 Gigawattstunden – in denen schon ab 2028 in großer Stückzahl Feststoff-Akkus (ASSB) mit doppelt so hoher Energiedichte und dreimal so kurzhoher Ladeleistung wie Lithium-Ionen-Akkus heutiger Bauart produziert werden sollen. Eine erste Pilotanlage dafür soll schon 2024 in Yokohama starten.
„In den nächsten zehn Jahren wird Nissan aufregende, elektrifizierte Fahrzeuge und technologische Innovationen anbieten und gleichzeitig seine Aktivitäten weltweit ausbauen. Diese Vision unterstützt das Ziel von Nissan, bis zum Jahr 2050 über den gesamten Lebenszyklus seiner Produkte klimaneutral zu sein“, gab Uchida in einem Pressegespräch bekannt. Das Ziel sei, bis 2026 rund 40 Prozent aller Nissan-Fahrzeuge mit einem Elektroantrieb auszuliefern – für Europa ist in der Strategie „Ambition 2030“ sogar ein Anteil von 75 Prozent vorgesehen, für Japan von 55 Prozent.
Kosten der Akkuzelle sinken auf 65 Dollar
Dafür sollen die Kosten des Elektroantriebs in den kommenden Jahren drastisch gesenkt und auf das Niveau konventioneller Antriebe werden. Durch die deutliche Verringerung der Komplexität, durch neue vollintegrierte Elektromotoren und die neuen Batteriezellen. Deren Herstellkosten sollen von heute knapp 100 auf nur noch 65 Dollar pro Kilowattstunde sinken. Entwickelt hat den Nissan den neuen Zelltyp in einem Joint venture mit dem chinesischen Batteriehersteller Envision AESC.
Von der neuen Technologie sollen die neuen Elektroautos profitieren, die nach dem Ariya auf den Markt kommen und auf der neuen Elektroplattform CMF-EV entstehen, die gemeinsam mit Renault und Mitsubishi entwickelt wurde. Wohin die Reise geht, zeigte Nissan am Beispiel von drei Konzeptautos – und einem seriennahen Prototypen, der schon bald auf den Ariya folgen soll. Der Nissan „Chill-Out“ ist ein coupéhafte Großraum-Limousine mit den Leistungsdaten des Ariya, der „Max-Out“ ein zweisitziges Cabriolet. Mehr Nutzwert biet das Elektro-Pick-up namens „Surf-Out“ sowie das Freizeit-Mobil „Hang-Out“.
Mit Euro 7 kommt das Ende der Verbrenner
Wann die Autos kommen, mit welchen Leistungsdaten und unter welchen Namen, mochte Nissan-Chef Ushida in dem Pressegespräch auf Anfrage von EDISON allerdings noch nicht verraten. Nur so viel: Eines der Fahrzeuge – wir vermuten mal der „Chill-Out“ – werde auch im britischen Werk in Sunderland gebaut. Derzeit würden intensive Gesprächheit der britischen Regierung darüber geführt, bei denen es um die „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts“ geht – im Klartext: um Fördermaßnahmen.
Europa, so machte Nissan-COO Gupta deutlich, spiele auf dem Weg in die vollelektrische Zukunft eine Schlüsselrolle. Mit Inkrafttreten der geplanten Abgasnorm Euro 7, die voraussichtlich 2025 in Kraft treten wird, mache es keinen Sinn mehr, in Verbrennungskraft-Maschinen zu investieren – die Abgasreinigung werde dann zu teuer. Dennoch wollte er sich nicht auf ein Datum festlegen, wann Dieselmotoren und Benziner komplett aus dem Lieferprogramm gestrichen würden. Aber in punkto Performance, Wirtschaftlichkeit und Fahrfreude dürften ihnen die Stromer sicher schon bald den Rang ablaufen. Das werde in allen Ländern mit einer entsprechenden Ladeinfrastruktur entsprechend die Nachfrage verändern.
CHAdeMO wird in Europa zum Auslaufmodell
Stichwort Ladeinfrastruktur: Die Zeiten des Schnell-Ladestandards CHAdeMO gehen nach den Äußerungen von Gupta zumindest in Europa in absehbarer Zeit zu Ende. Unter anderem daran krankt aktuell der Absatz des Nissan Leaf – der Akku des Ariya wird per CCS geladen.
Wichtiger war Gupta in dem Zusammenhang aber noch ein anderer Aspekt: Das die neuen Elektroautos den Strom nicht nur schnell aufnehmen, sondern auch wieder abgeben können. Denn die Stromer sind in Japan mit ihrer Fähigkeit zum bidirektionalen Laden (per CHAdeMO) bereits heute ein wichtiger Baustein im intelligenten Stromnetz und bei der Stromversorgung nach einem Blackout. In Zukunft sollen sie diese Eignung zum mobilen Energiespeicher auch auf anderen Märkten einbringen – als „Vehicle to Everything“, als Fahrzeug zur Stützung des öffentlichen Stromnetzes im Katastrophenfall ebenso wie zur Versorgung privater Haushalte mit preiswerter Energie. Dazu müsste der europäische Ladestandard CCS allerdings erst noch ertüchtigt werden.