Jeder Berufspendler kennt das ungewollte Gemeinschaftsgefühl einer Fahrt mit dem Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV). Erst steht man sich mit vielen anderen an mehr oder weniger gepflegten Bahnsteigen die Beine in den Bauch, weil der Zug nicht kommt. Im Winter pfeift einem dann noch ein ermunternder kalter Wind um die Nase. Und später riecht man in der überfüllten S-Bahn, welche Soßen sich auf dem Frühstücks-Burger des Sitznachbarn befanden, der gerade auf seinem Smartphone die Beats so laut aufdreht, dass man trotz seiner Kopfhörer jeden Gitarrenriff deutlich mitbekommt.
Diese ganz spezielle Sozialisierung gehört seit Jahrzehnten zum Tagesablauf von Millionen Menschen in Berlin und anderen Großstädten. Und das zwei Mal. Denn auf dem Heimweg wiederholt sich die Prozedur. Nur dass einem jetzt das Kantinenessen um die Nase weht, garniert mit Aromen der Zigarettenpause. Doch in ein paar Jahren soll diese Routine der Vergangenheit angehören. Sicher nicht in Berlin, aber möglicherweise in anderen Großstädten.
Denn nach der Studie „The Road to affordable autonomous mobility“ der Unternehmensberatung McKinsey werden Mitte des Jahrzehnts die ersten Robo-Taxis auf den Straßen erscheinen. Und ab 2030, da sind sich die Experten sicher, werden die vollautonom fahrenden und elektrisch angetriebenen Droschken die günstigste Mobilitätsoption in Städten sein. Das hat eine Auswertung von Daten aus mehr als 2.800 Städten in 110 Ländern sowie eine Befragung von 75 Entscheider aus der Industrie ergeben.
Ab 2024: Autonom fahren auf Level 4
„Die Robotaxi-Revolution nimmt wieder Fahrt auf. Nun investieren vor allem die Technologieunternehmen wieder massiv in das autonome Fahren“, erklärt McKinsey-Experte Kersten Heineke. Damit ist die Zurückhaltung der Industrie, die während der Covid-19-Pandemie Projekte pausiert oder zurückgestellt hat, überwunden – nun geht es mit voller Kraft in das Zeitalter des autonomen Fahrens.
Laut der McKinsey-Studie sind 2020 und 2021 bereits über 30 Milliarden Euro an externen Investments in diese Technologie geflossen. Die Mehrheit der befragten Top-Manager geht davon aus, dass das autonome Fahren auf Level 4 – auf kartografisch sehr genau erfassten Autobahnabschnitten bei einfachen Wetterbedingungen – bereits im Jahr 2024/2025 mit privaten Pkws möglich sein wird. Beim selbsttätigen Fahren Level 4 muss der Fahrer noch eingreifen können. Auf Level 5 agiert der Robo-Pkw immer und überall autonom.
Die Autobauer treiben das selbsttätige Fahren auch aus purem Eigennutz voran. Denn mit der Einführung dieser Technologie eröffnen sich ihnen ganz neue Geschäftsmodelle. Das gilt speziell für den öffentlichen Nahverkehr: Irgendwie müssen die Milliardeninvestitionen ja wieder eingespielt werden. Vor diesem Hintergrund ergibt es auch Sinn, dass die Industrieexperten davon ausgehen, dass ab 2026 eine große Anzahl von Robo-Taxis auf die Straßen kommen werden.
Robo-Taxe statt Privatwagen
„Gerade bei den Robo-Taxen werden wir in der zweiten Hälfte der 20er-Jahre massive Fortschritte sehen – die Kosten dafür werden zwischen 2025 und 2030 um die Hälfte fallen“, sagt Heineke und ergänzt: „Robo-Taxen ersetzen vor allem das konventionelle Taxi und den privaten PKW. Der ÖPNV wird hier nur minimal kannibalisiert. Größere Fahrzeuge wie Robo-Shuttles mit mindestens sechs Sitzen haben das Potenzial, den ÖPNV zu komplettieren. Lediglich bei Bussen und Straßenbahnen kann es eine gewisse Kannibalisierung geben.“
Das hat laut der McKinsey-Studie direkte Auswirkungen auf die Fahrtkosten im ÖPNV. Die Experten der Unternehmensberatung gehen davon aus, dass die Einführung die selbstfahrenden Vehikel die Mobilität ab 2030 für Nutzer deutlich günstiger machen als heute. Gemeinsam genutzte Robo-Taxen in Städten könnten dann pro gefahrenen Kilometer bis zu 40 Prozent preiswerter sein als die Fahrt mit einem privaten Auto. Damit lägen die volllautonomen People Mover auf einem Preisniveau wie der öffentliche Personennahverkehr. Selbst ein Robo-Taxi für einen einzigen Fahrgast wäre nur noch 20 Prozent teurer als die Fahrt mit einem Privatwagen und würde nur etwa die Hälfte eines traditionellen Taxis oder Ride-Hailing-Dienste wie Uber kosten.
Mini-Busse für die Vorstädte und das Land
Beim Sprachrohr des ÖPNV stößt dieses Konzept deshalb durchaus auf Gegenliebe. „Durch autonomes Fahren können neue Mobilitätsangebote dort geschaffen werden, wo sie heute noch fehlen oder betriebs-wirtschaftlich nicht tragfähig sind. Sei es als bedarfsgesteuertes Angebot im ländlichen Raum oder als Zubringer im Linienbetrieb im suburbanen Raum“, sagt Martin Schmitz, Geschäftsführer Technik beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. (VDV).
Erste Versuche mit solchen People Movern laufen bereits in mehreren Städten.