Für Audrey Hepburn spielte sie in „Roman Holiday“ ebenso eine tragende Rolle wie für den pubertierenden Brian Owen in „Quadrophenia“. Auch in „Tranformers“ war sie ein wichtiges Requisit: Die Vespa. Über 75 Jahre ist der Motorroller aus Italien inzwischen alt und längst eine Legende. Ziel des Erfinders Enrico Piaggio war es, möglichst vielen Menschen im Nachkriegs-Italien ein preiswertes Transportmittel an die Hand zu geben, mit dem sich die Fahrt zum Arbeitsplatz oder nächsten Rendezvous nicht nur flott und wartungsarm, sondern auch einigermaßen geschützt vor Straßenstaub und Wasserspritzern bewerkstelligen ließ. Also wurde der 3,2 PS starke Motor am Hinterrad gekapselt und für den Fahrer gab es Beinschild und Trittbrett. Damit ließen sich dann – mit ein wenig Anlauf und dank Dreigang-Getriebe – Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 60 km/h erzielen.

Im Wesentlichen hat sich an der Konstruktion der „Wespe“ seit 1946 nicht viel geändert. Ok, das Design wurde im Laufe der Jahrzehnte von Piaggio verfeinert. Der Scheinwerfer wanderte vom Schutzblech des Vorderrad hinauf an den Lenker, aus zwei Schwingsätteln wurde eine Doppelsitzbank. Es gibt mittlerweile Elektrostarter, Scheibenbremsen, Automatikgetriebe, ABS und eine Antischlupfregelung. Aber der Direktantrieb – ohne Kette oder Riemen – der Vespa blieb ebenso wie die Kurzarmschwinge vorn und die Triebsatzschwinge hinten. Natürlich stiegen im Laufe der Jahre die Antriebsleistungen und die Fahrgeschwindigkeiten – das 7.500 Euro teure Topmodell GTV 300 kommt inzwischen auf fast 24 kW und verfügt über Vierventilsteuerung, Flüssigkeitskühlung und elektronischer Kraftstoffeinspritzung. Mit dem Inhalt des 8,5 Benzinmotors lassen sich damit Reichweiten von bis zu 265 Kilometer erzielen – bei einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h.

Italian Style
Bei Tempo 60 ist das Tragen von Schutzkleidung und Helm dringend angeraten. Hier drücken wir mal kurz die Augen zu.

Der kleine Exkurs in die lange Geschichte des Motorrollers ist ganz hilfreich, um unser Testfahrzeug einordnen zu können: Die Vespa Elettrica 70 – das elektrisch angetriebene Schwestermodell der Primavera. Mit einem Verkaufspreis von 7.399 Euro ist der Stromer in der Ausführung „RED“ fast genauso teuer wie das Spitzenmodell und gut 2.000 Euro teurer als eine 8 kW (11 PS) starke Primavera 125 mit Einzylinder-Viertaktmotor. Aber dafür summt diese „Wespe“ erstmals in der Firmengeschichte wirklich. Und sie fährt obendrein lokal emissionsfrei. Ist das also das perfekte Zweirad für die (verwöhnte) Generation E?

70 Kilometer Reichweite, 70 km/h Topspeed

Nach dem zweiwöchigen Alltagstest bei herrlichem Spätsommerwetter fällt die Bilanz zwiespätig aus. Wir erlebten eine Menge Fahrspaß – aber auch Reichweitenangst wieder kennen. Schon bei der Abholung in der Düsseldorfer Zentrale von Piaggio Deutschland. Der unter dem Helmfach festverbaute Akku mit einer Kapazität von 4,2 Kilowattstunden (kWh) war zu 100 Prozent gefüllt, der kleine Bordcomputer des kleinen Multimedia-Cockpits wies in kleinen Lettern auf eine maximale Reichweite von 68 Kilometern hin. Das würde nicht reichen – bis zum Redaktionssitz waren es laut Google Maps 78 Kilometer. Da würde ich nachladen müssen. Werkstattleiter Karsten, der mich in die Technik der knallroten Vespa Elettrica einführt, beruhigt mich aber: „Im Eco-Modus sind bis zu 100 Kilometer drin“. Allerdings betrage die Fahrgeschwindigkeit dann statt 70 km/h nur noch 40 km/h wie in der preisgünstigeren Ausführung „Moped“. Na klar, wer spart, kommt weiter.

Der lässt nicht locker
Der 4,2 kWh große Lithium-Ionen-Akku mit 48,1 Volt Spannung steckt unter Sitzbank und Helmfach. Eine Entnahme zum Laden ist nicht vorgesehen. Fotos: Rother
Der lässt nicht locker
Der 4,2 kWh große Lithium-Ionen-Akku mit 48,1 Volt Spannung steckt unter Sitzbank und Helmfach. Eine Entnahme zum Laden ist nicht vorgesehen. Fotos: Rother

So begann die erste Fahrt mit leicht erhöhtem Blutdruck und in der Alarmstufe Rot. Auch, weil sich die immerhin 130 Kilogramm schwere Elettrica im Überlandverkehr nicht so dynamisch bewegen ließ, wie ich nach Abertausenden Kilometern im Elektroauto erhofft hatte. Bis zu 200 Newtonmeter Drehmoment soll nach Werksangaben die Maschine am Hinterrad mobilisieren können – viel davon kam davon gefühlt nicht auf dem Asphalt an. Und selbst in geduckter Haltung, Babypo-glattem Neuasphalt und topfebener Straße blieb Tempo 70 unerreicht. Das Abbiegen auf die Autobahn in Richtung habe ich mir und den Lkw-Fahrern dort deshalb erspart und deshalb den Weg zum Ziel über Land- und Stadtstraßen gesucht.

Mit „Kers“ ein paar Kilometer mehr

Dabei lernte ich auch gleich das knochentrockene Fahrwerk kennen, das mich präzise über jede Unebenheit in der Fahrbahn informierte. Über den Lenker als auch über die rot gepolsterte Sitzbank. In dem Punkt hat sich in den zurückliegenden 75 Jahren in der Tat wenig gebessert. Immerhin ist der Motorroller aufgrund des tiefen Schwerpunkts bestens ausbalanciert – leichte Körperbewegungen reichten aus, um Schlaglöcher und Gullideckel zu umkurven.

Von wegen Navi 
Die "Map"-Taste aktiviert nicht die Zielführung, sondern verändert den Fahrmodus. Auch ein Rückwärtsgang findet sich hier.
Von wegen Navi
Die „Map“-Taste aktiviert nicht die Zielführung, sondern verändert den Fahrmodus. Auch ein Rückwärtsgang findet sich hier.

Und ich lerne unterwegs auch, mit dem Energiemanagement-System der Elettrica zu jonglieren. Also vom „Power“-Modus auf der Landstraße in den „Eco-Modus“ im Stadtverkehr zu wechseln. Oder zu mappen, wie es auf der Schalttaste am Lenker heißt – im ersten Augenblick dachte ich, darüber ließe sich das Navigationssystem aktivieren. Denkste. Auf diese Weise schaffte ich es tatsächlich ohne Ladepause ans Ziel. Und das auch noch mit fünf Kilometern Restreichweite. Dabei half sicher auch das verbaute „Kers“-System zur Rückgewinnung von Bremsenergie am Hinterrad.

Ohne Adapter strömt nichts

Wieder aufgeladen wurde der Akku dann an der Steckdose in der Garage. Das Ladekabel steckt praktischerweise unter der Sitzbank und muss wie bei einem Staubsauger nur herausgezogen werden. Eher unpraktisch ist hingegen, dass das Spiralkabel eher kurz ist und zudem einen Adapter benötigt, um mit deutschen Schuko-Steckern konform zu gehen. Zu empfehlen ist deshalb auf jeden Fall die Anschaffung eines Adapters, um die Elettrica an einer Wallbox oder öffentlichen AC-Ladesäule mit Strom versorgen zu können. Vor allem dann, wenn keine Garage mit Steckdose zur Verfügung steht. Bei einer maximalen Ladeleistung von 3,2 kW dauert es aber auch dann etwa vier Stunden, ehe der Akku wieder voll ist.

Strom-Sauger 
Wie bei manchen Staubsaubern lässt sich das Ladekabel bei der Vespa Elettrica aus einem Fach unter der Sitzbank ziehen. Für deutsche Schuko-Stecker ist allerdings noch ein Adapter notwendig, ehe der Strom in den Akku fließt.
Strom-Sauger
Wie bei manchen Staubsaubern lässt sich das Ladekabel bei der Vespa Elettrica aus einem Fach unter der Sitzbank ziehen. Für deutsche Schuko-Stecker ist allerdings noch ein Adapter notwendig, ehe der Strom in den Akku fließt.

Leider ist der Akku der Elettrica auch fest verbaut und lässt sich deshalb nicht mal schnell entnehmen. Für Stadtmenschen mit Etagenwohnung dürfte das in vielen Fällen ein Ausschlusskriterium sein. So bleibt die elektrische Vespa ein Transportmittel für Vorstadt-Bewohner – und junge Singles: Mit zwei Personen auf der Sitzbank kommt der Roller nicht über 50 km/h hinaus. Und an Steigungen im Vorgebirge kann man dann auch schon mal von E-Bikern überholt werden.

Auch da hatten wir uns mehr versprochen. Erst recht mit Blick auf den Preis. Aber Piaggio ist lernfähig, wie die Unternehmensgeschichte zeigt. Und angeblich ist auch schon ein stärkerer Elektroroller in der Entwicklung. Vielleicht eine Elettrica 125, mit 125 Kilometern Reichweite und einer Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h? Diese Vespa-e würde ein Renner.

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3 Kommentare

  1. Felix

    Ist diese Vespa 70 überhaupt mit einem normalen Führerschein fahrbar? 70 kmh klingen hier schnell.

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    • Franz W. Rother

      Ein normaler Führerschein der alten Klasse 3 reicht dafür völlig. Wer bereits einen Führerschein der Klasse B besitzt, muss zusätzlich einen FS der Variante B196 erwerben – oder einen A1. Ersteres erfordert lediglich eine Fahrerschulung ohne Prüfung. Der Führerschein der Klasse B muss dann allerdings seit fünf Jahren vorhanden, der Fahrer wenigstens 25 Jahre alt sein.

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  2. Horst

    Also für den Preis bekommt man aber ein deutlich besseres E-Leichtkraftrad!
    Mit entnehmbaren Akkus, grösserer Reichweite, schneller…

    Ist dann eben nur keine Vespa. Muss natürlich jeder selbst wissen…

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