„Wir stehen am Beginn einer neuen Ära, und Volkswagen geht voran“, ruft Thomas Ulbrich. Richtig laut wird er dabei, der Drängler und Macher hinter den hochfliegenden Plänen der Wolfsburger. Vorstand für Elektromobilität. Wirkt ständig so geladen, als ob er in den nächsten Minuten sein dunkelblaues Sakko in die Ecke pfeffern und die Ärmel hochkrempeln würde. Wie eigentlich immer in den letzten Monaten. Klar, der Druck ist riesig.

Denn 2020, so Ulbrich, und das habe man im Konzern definitiv erkannt, sei das „entscheidende Jahr des Systemwechsels hin zur E-Mobilität“. Genau, und bis 2025 sollen schon 1,5 Millionen Stromer verkauft sein. Und danach? Bis 2029 will der Konzern 75 neue Elektromodelle auf die Straße gebracht haben, sollen weltweit 26 Millionen E-Autos abgesetzt sein. Ziemlich steile Kurve für ziemlich wenig Zeit.

Der Komplett-Umbau des Fahrzeugwerks Zwickau, ist da nur der zarte Anfang. Denn auch die VW-Standorte Emden, Hannover und Dresden sollen künftig Elektroautos fertigen. Und Skodas Mladá Boleslav in Tschechien ist als europäischer E-Standort vorgesehen, in China entstehen in Anting und Foshan zwei weitere E-Werke, die noch im Laufe dieses Jahres die Produktion starten. Auch das US-Werk in Chattanooga (Tennessee) wird um einen großen MEB-Standort ergänzt, der bis 2022 seine Arbeit aufnehmen soll. Bis zu diesem Zeitpunkt, so ist die Ansage, sollen weltweit acht neue MEB-Werke in Aktion sein.

Ach so, MEB? Ist das gängige Kürzel für den Modularen E-Antriebs-Baukasten, der hoch flexiblen, speziell für den Elektroantrieb konzipierten Technik-Architektur aller künftigen vollelektrischen Modelle des VW-Konzerns, die, je nach Radstand und Achsen, künftig für alle möglichen Karosserieversionen passt — und deshalb lukrative Skaleneffekte bringen dürfte. Die Batterie jeweils platzsparend und sicher flach im Unterboden in gekoppelten Zell-Modulen. Beim ID.3 zum Beispiel sind bis zu zwölf Module möglich, was denn aktuell eine Reichweite von 550 Kilometern bringen würde.

Thomas Ulbrich, Member of the Board of Management of the Volkswagen Brand, responsible for E-Mobility.
„2020 ist das entscheidende Jahr des Systemwechsels hin zur E-Mobilität“
Thomas Ulbrich ist der oberste Elektriker der Marke Volkswagen.
Foto: Volkswagen

Klingt alles gewaltig, ist es auch. Besonders, wenn man die Alles-oder-nichts-Strategie von VW zum Beispiel mit den absichernden E-Tippelschritten von Mercedes (lange Startprobleme, sehr niedrige Stückzahlen) und BMW (erst sensationeller E-Pionier, nun Nachzügler bis 2021) vergleicht. Andererseits, und auch das wurde jetzt in Berlin deutlich, fahren die Wolfsburger gerade voll am Limit, über die Auswirkungen des Corona-Virus (Verkaufseinbruch des chinesischen Marktes, die Ansteckungsgefahr in den Werken) wollen sie dabei noch gar nicht reden.

VW-Vorstand Ulbrich beharrt: ID.3 kommt im Sommer

Aktuelle Lage? Die vollelektrische Limousine ID.3, quasi der „Golf des Elektrozeitalters“ (Originalton VW) soll, einigen bösen Gerüchten über Verzögerungen (nachträgliche Software-Aktualisierungen und so) zum Trotz im Sommer dieses Jahres auf die Straße kommen — nahezu zeitgleich in 27 europäischen Märkten. Die Serienproduktion in Zwickau läuft schon. Auf dieses Timing schwört man bei VW. Nach wie vor. Und Ulbrich sowieso: „Der Zeitplan steht, die Markteinführung erfolgt wie angekündigt“. Die Probleme habe man im Griff, jetzt würden die Stückzahlen planmäßig hochgefahren.

Jeden Freitag sei er in Zwickau, auch heute Abend will er noch los. Sein ID.3-Dienstwagen, mit dem er schon siebentausend elektrische Kilometer runtergerissen hat („Das zeige ich Ihnen gerne auf dem Tacho“), wartet schon in der Tiefgarage. Auf den freut er sich den ganzen Tag, „weil Elektromobilität einfach unglaublich Spaß macht.“

ID.3 Produktion Angeblich finden Tester täglich Hunderte Fehler in der Betriebssoftware des Elektroautos ID.3. Liegt das am neuen Betriebssystem VW.OS? Elektroauto

Und morgen wird er in dieser sächsischen Vorzeigefabrik garantiert wieder Druck machen. „Aktuell bauen wir hundert E-Autos am Tag, und die Anlaufkurve ist wirklich verdammt steil.“ Er wippt unruhig auf den Zehenspitzen. Über 3500 Autos seien schon fertig, in wenigen Wochen gäbe es eine erste ID.3-Flotte für VW-Mitarbeiter „zum Echttest für allerletzte Optimierungen“. Und Ende Mai laufe in Zwickau definitiv das letzte Verbrennerauto vom Band. „Dann müssen wir in nur drei Monaten auch die zweite Produktionslinie für Elektromodelle umbauen.“ Holla. Und jetzt auch noch die Corona-Probleme. Überall im Konzern Krisenstäbe, nur noch Skype-Konferenzen, niemanden anfassen.

ID.3 günstiger als Golf

Ob er denn diesen Zeitbegriff „Sommer“ nicht etwas verifizieren könne, wollen wir natürlich wissen. Nee, darauf will er sich nun nicht einlassen: „Sommer ist Sommer!“ Sei ja bei den geplanten Dimensionen der ID.3-Fertigung eigentlich auch völlig egal, ob das Auto nun zwei Wochen früher oder später käme. Im Moment sieht es wohl eher nach Spätsommer aus für dieses vollelektrische Auto, das es mit 330 Kilometer Reichweite nach Abzug der Umweltprämie für günstige 23.400 Euro gibt, mit größerer Batterie (420 Kilometer) für 28.400 Euro. Die Version mit 550 Kilometer Reichweite folge später. Der Basis-ID.3 läge somit preislich unter vergleichbaren Verbrenner-Modellen wie dem VW Golf Life 1,5l TSI oder dem Golf Life 2,0l TDI, argumentieren die Wolfsburger stolz.

Spätestens im Herbst wollen sie mit dem SUV-ähnlichen ID.4 schon das zweite MEB-Elektromodell vorstellen, das in etwa das Format eines VW Tiguan hat. Ursprünglich sollte dieser nächste Stromer aus Zwickau (der später auch in China und Chattanooga vom Band rollt) im April auf der „New York Auto“ seine Weltpremiere haben, die nun wegen des Corona-Virus auf Ende August verschoben ist. Erste Auslieferungen in Deutschland? VW will mit dem ID.4 „noch vor dem Jahresende“ auf dem Markt sein. Realistisch und in größeren Stückzahlen dürfte es das erste Quartal 2021 werden.

Cockpit ID.3 von Volkswagen
Ziemlich aufgeräumt
Das Cockpit des ID.3. Man achte auf die Symbole auf den Pedalen.
Foto: Volkswagen

„Danach werden wir in kürzester Zeit ein Elektroauto nach dem anderen präsentieren“, erklärt uns Michael Jost, Chefstratege bei Volkswagen. Das seien dann E-Modelle aller Konzernmarken, egal ob Audi, Skoda oder Seat, betont er und zeigt auf einem Chart mit einer rasant ansteigenden Kurve und vielen, vielen Bildchen von noch verhüllten Autos. „Gehen Sie mal davon aus, dass bei uns jetzt alle 660.000 Mitarbeiter des Konzerns mitziehen“, schiebt er dann noch gern nach. Okay, das sei intern natürlich ein gewaltiger Akt der Überzeugung gewesen.

Und nein, Lieferschwierigkeiten bei den Batteriezellen sähe VW in keinem Fall, obwohl der Konzern für seine E-Offensive ab 2025 allein in Europa einen jährlichen Bedarf von mehr als 150 Gigawattstunden habe — in Asien nochmal in gleicher Höhe. Deshalb habe VW auch gleich mehrere Partner unter Vertrag, unter anderem LG Chem (Südkorea, neues Riesenwerk in Polen), SK Innovation (Südkorea) und insbesondere CATL (Chinas führender Zellhersteller). Aber sicher ist sicher: VW baut zusammen mit dem schwedischen Unternehmen Northvolt zusätzlich eine eigene Gigafactory für die Fertigung von Lithium-Ionen-Batterien in Salzgitter, die, wie jetzt in Berlin zu hören war, bereits 2023 mit der Produktion starten soll.

VW arbeitet an der Feststoffbatterie …

Für die fernere Zukunft sind auch die Wolfsburger hinter den Kulissen schwer an der Feststoffbatterie dran, von der alle in der Branche träumen. Partner ist in diesem Fall der führende US-Pionier QuantumScape in San José (Kalifornien). Aus der Forschungsphase sei man bereits heraus, wird jetzt verraten, in den nächsten Monaten beginne schon mal eine Pilotproduktion in kleinen Stückzahlen. Diese deutlich leichteren Superakkus (bis zu 50 Prozent höhere Energiedichte), die mal entspannt über 800 Kilometer Reichweite und Ladezeiten von wenigen Minuten ermöglichen sollen, werden nach Auskunft von Jost bis 2028 serienreif sein. Was in Berlin auch zu hören ist: Bestimmte Wolfsburger Elektromodelle sollen bis 2025 in nur zehn Minuten Strom für 400 Kilometer bunkern können.

Logisch, die gigantische Elektro-Offensive kostet viel Geld. Sehr viel Geld sogar. In den kommenden fünf Jahren will der VW-Konzern mindestens 33 Milliarden Euro in die E-Mobilität investieren, davon allein 11 Milliarden Euro bei der Marke Volkswagen. Geld, das der VW-Konzern aktuell noch hat. Die Kasse ist voll: 2019 stieg das Ergebnis vor Steuern um 17,3 Prozent auf 18,4 Milliarden Euro. Andererseits sind die aktuellen Absatz- und Gewinnprognosen allesamt unsicher, eben allein durch die möglichen Auswirkungen der weltweiten Corona-Krise.

VW-Werk Zwickau
Nur noch Naturstrom
Im Zwickauer Werk nutzt Volkswagen ausschließlich Ökostrom. Auch die Zulieferer verpflichtete der Autobauer, auf Erneuerbare Energie zu setzen. Foto: Volkswagen

Gutes Thema. Grundsätzlich, so nämlich Jost, müssten auch die neuen E-Modelle mal finanzielle Erträge bringen. Ziel des Konzerns: Schon die zweite Generation der neuen MEB-Autos soll lukrative Gewinne auf dem Niveau der aktuellen Verbrennermodelle à la Golf oder Passat abwerfen. Auch sollen ID.3 und ID.4 bilanziell schon CO2-neutral gefertigt werden. So bezieht das E-Werk Zwickau von extern nur noch zertifizierten Naturstrom aus regenerativen Quellen, sämtliche Zulieferer wurden auf Nachhaltigkeits-Standards vergattert. Eisenhart. Wer nicht mitmachen wollte, flog raus.

… und am Akku-Recycling

Auch spannend: In Salzgitter wird gerade eine Pilotanlage fürs Batterie-Recycling aufgebaut, die noch 2020 starten soll. Künftig sollen dort 1200 Tonnen Batterien pro Jahr zerlegt und wiederverwertet werden. Fürs Ende der 2020er Jahre rechnet VW nämlich mit der ersten großen Welle von Batterie-Rückläufern. Neben der Rückgewinnung von Aluminium, Stahl und Kupfer liegt der Fokus auf wieder einsatzfähigem Nickel, Mangan und Kobalt. Holt Geld zurück und soll mal ein richtiges Geschäft werden.

Spätestens jetzt muss über das hehre Öko-Ziel des Konzerns geredet werden. Die grüne Null. Bis 2050 soll das ganze Unternehmen bilanziell CO2-neutral sein. Auch die gesamte Pkw-Flotte. Das bedeute, so rechnet Jost vor, dass man spätestens zehn Jahre vorher mit Zulassungen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren aufhören müsste. „Deshalb werden wir 2026 die letzte neue Plattform für Benziner und Diesel in den Markt bringen, die dann zeitlich für zwei Fahrzeug-Generationen reichen würde.“ Also: Zweimal rund sieben Jahre, und schon sei 2040 erreicht.

Lesen Sie im zweiten Teil des Artikels, zu welchen Kampfpreisen VW Wallboxen auf den Markt wirft.

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