Gehört der Motor in der alten Verbrennerwelt noch zu den differenzierenden Attributen eines Autos, so zählen Entwicklung und Bau von Elektromotoren bei den wenigsten Hersteller von Elektroautos zu den Kernkompetenzen. Die meisten Marken kaufen die Aggregate ein, seit 2008 auch bei ZF. Über zwei Millionen Elektromotoren für verschiedenste Anwendungen hat die Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF) inzwischen verkauft, darunter auch den Antrieb für Hochleistungs-Stromer mit 800-Volt-Technik wie den Porsche Taycan oder den Audi e-tron GT.
Nun stellte ZF in Friedrichshafen den Prototyp eines ultrakompakten 800-Volt-Antriebs vor, der KI-basiertes Energiemanagement mit einem neuen Thermomanagement kombiniert. Das modular aufgebaute System besteht aus einer Siliziumkarbid-Leistungselektronik, dem E-Motor und einem Reduziergetriebe. In Sachen Leistungsentfaltung, Spitzenleistung und Reichweite soll der EVSys800 genannte Antrieb weltmeisterliche Maßstäbe setzen.
Motor mit 5200 Newtonmeter Drehmoment
Dass E-Aggregate schon die 1000-PS-Marke knacken wie beispielsweise bei Tesla oder Lucid Air, dass sie ihr maximales Drehmoment quasi aus dem Nichts heraus bereitstellen und so selbst in einem normalen Mittelklassemodell sportwagentaugliche Beschleunigungen ermöglichen, ist nicht neu. „Der Unterschied liegt im Detail“, erklärt Otmar Scharrer, der bei ZF die Entwicklung von E-Antriebssystemen verantwortet.
„Kunden müssen unterscheiden zwischen Peak-Leistung, die der Motor in der Regel nur ein paar Sekunden lang bereitstellt, und der Dauerleistung.“ Im schlechtesten Fall betrage die (unter anderem im Kfz-Schein ausgewiesene) Dauerleistung nur ein Drittel des Wertes, mit dem die Hersteller vollmundig werben, erklärt der Ingenieur. Ein Beispiel: Der Renault Megané E-Tech wird vom Hersteller als elektrisches Kraftpaket mit 160 kW oder 220 PS angepriesen. Die liegt aber maximal 30 Minuten an – danach beträgt die Dauerleistung nur noch mickrige 55 kW oder 75 PS.
Der neue ZF-Antrieb EVSys800 dagegen gibt dauerhaft 206 kW (280 PS) ab. Das entspricht immerhin 75 Prozent der Spitzenleistung von 275 kW (374 PS). „Auch bei der Drehmomentdichte sind wir, verglichen mit allen derzeit verfügbaren Motoren, ganz vorne“, versichert ZF-Entwickler Scharrer. Satte 5.200 Nm Drehmoment leitet das Aggregat an die Hinterräder des Porsche Taycan weiter, in dem der Prototyp verbaut wurde. Das entspricht einer Drehmomentdichte von 70 Newtonmetern pro Kilogramm Antriebsgewicht und ist der höchste Wert, der bei Pkw mit Straßenzulassung jemals erzielt wurde. Die Kraftübertragung erfolgt durch ein koaxiales Reduziergetriebe mit zwei Planetensätzen.
74 Kilogramm weniger Gewicht
Aber um die Daten des neuen, ab 2026 in Serie gehenden Motors einzuordnen, sollte man sie mit dem aktuellen 800-Volt-Antrieb von ZF vergleichen. Wichtigster Unterschied: Der modular aufgebaute EVSys800 kommt mit weniger Bauteilen aus und vereinigt sämtliche Komponenten kompakt in einem Gehäuse. Das spart Platz, den man beispielsweise für die Batterie nutzen könnte. Zudem ist der Elektromotor deutlich leichter. Mit 74 Kilo wiegt rund ein Drittel weniger als das aktuelle System.
Als wesentlicher Baustein wurde auch das Kühl- und Heizsystem im Antriebsstrang integriert. Kaum größer als ein dickes Taschenbuch kombiniert das zentrale Thermomanagementsystem eine Wärmepumpe mit einer kleinen Steuereinheit. Dass Heizung und Kühlung die Reichweite eines E-Autos eklatant verringern können, merken Besitzer von E-Autos spätestens an eisigen Wintertagen. „Unser Ansatz ist, auch bei minus 10 Grad oder noch kälteren Temperaturen höhere Reichweiten darzustellen“, sagt Scharrer. Im winterlichen Realbetrieb soll der neue Antrieb bis zu 30 Prozent mehr Reichweite bringen.
Bessere Kühlung für höhere Leistung und Reichweite
Im Sommer, beim Schnellladen oder bei hoher Leistungsabgabe, muss die Batterie dagegen schnell auf ihren Wohlfühlbereich zwischen 20 und 30 Grad kommen. Möglich machen soll dies die Verwendung von nur 200 Milliliter natürlichem Propangas statt von 700 Milliliter des giftigen, fluorhaltigen Kältemittels R1234yf, das im aktuellen Motor eingesetzt wird – und vermutlich bald verboten wird. Außerdem führen jetzt Slots im E-Antrieb das kühlende Öl direkt an die Kupferstäbe – also genau dorthin, wo die höchsten Temperaturen anfallen. „Die bessere Kühlperformance ist ein Grund für die hohe Dauerleistung des Motors“, erklärt Scharrer.
Da das Propan bei minus 20 Grad in der Wärmepumpe eine Effizienz von 2,5 hat, wird zudem die Reichweite des Elektroautos bei niedrigen Temperaturen erhöht. Auch bei Hitze zahlen sich die chemischen Vorteile des neuen Kältemittels aus. Im Schnitt sollen bei 500 Kilometern Normreichweite aufgrund der höheren Effizienz der Wärmepumpe rund 50 Kilometer hinzukommen.
Orchestriert werden sämtliche Antriebskomponenten über eine KI-gesteuerte Software. Ihre wesentliche Aufgabe ist, sämtliche Fahrzeugsysteme miteinander zu vernetzen und die Komponenten im thermisch optimalen Bereich zu halten. Bei geringer Geschwindigkeit und hohem Drehmomentbedarf beispielsweise muss der Motor stärker gekühlt werden als bei hoher Dauergeschwindigkeit, wenn er wenig Drehmoment an die Antriebsachse liefern muss.
Lademanagement mit KI
Nur: Den Motor ganz fix aufheizen oder herunterkühlen geht nicht. Deshalb denkt das lernende System mit und berechnet anhand vom Fahrverhalten und GPS-Daten die optimale Temperatur vorausschauend. Beispielsweise, wenn der Fahrer an mehreren Tagen immer um die gleiche Zeit auf die gleiche kurze Strecke ins Büro gestartet ist. Bei der dritten, vierten Fahrt weiß die Software: Kurzstrecke, also ist wenig Heizung für den Motor nötig.
Auf der anderen Seite hilft die Software, Reichweiten exakter zu berechnen. Verknüpft mit dem Navigationssystem, lassen sich so lange Strecken samt Ladestopps genauer berechnen. Im Idealfall empfiehlt die Software dem Fahrer gleich die passende Geschwindigkeit, damit der er ohne Ladestopp zum Wunschtermin am Ziel ankommt.