Schöne neue Elektrowelt: Tagsüber fahren, nachts bei billigem Strom laden. So malen die Automobilhersteller und die Politik die Elektromobilität und das problemlose Füllen der Stromspeicher in schillernden Farben. Doch die Realität sieht oftmals anders aus. Im öffentlichen Ladenetz klaffen regional immer noch große Lücken. Und wenn die Batterien vieler Elektroautos in den Abendstunden an der Wallbox in der Garage hängen, kommt das Stromnetz hier und da schon einmal an seine Grenzen. Steigen die Neuzulassungen weiterhin so rasant an wie seit dem Frühsommer, könnte es zu einem Blackout kommen, warnen bereits manche Experten. Schließlich saugen nicht nur die BEVs und PHEVs in zunehmendem Maße Strom, sondern während der kalten Jahreszeit auch immer elektrische Wärmepumpen: Nach den Vorstellungen der Politik sind Wärmepumpen die Schlüsseltechnologie für die Energiewende in der Gebäudetechnik, für das Heizen und die Erzeugung von Warmwasser etwa durch elektrische Durchlauf-Erhitzer.

Das Schreckensszenario eines Blackouts gilt es zu verhindern. Aber der Ausbau des Stromnetzes kostet Geld. Und die Stromerzeugung mit regenerativen Energien wird aufgrund der hohen Anfangsinvestitionen in Wind- und Solarparks so schnell auch nicht billiger. Deswegen drängen die Stromkonzerne für die Übergangszeit auf eine gesetzlich verankerte Spitzenglättung. Dieser Terminus technicus, der zunächst eher harmlos nach einem Friseurbesuch klingt, birgt in Wirklichkeit einiges an Zündstoff. Denn das bedeutet nichts anderes, dass künftig zu Stromtanken-Stoßzeiten die Ladeleistung begrenzt wird.

Wallbox muss fernsteuerbar sein

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) unterstützt dieses Ansinnen und will dieses Instrument im Paragrafen 14a des Energiewirtschaftsgesetzes festschreiben. Die Förderung privater Ladestationen für Elektroautos durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ist bereits darauf abgestellt: Die staatliche Förderung für die Anschaffung und Montage einer Wallbox in Höhe von aktuell 900 Euro gibt es deshalb auch nur für Ladestationen, die über eine „sichere digitale, bidirektionale Kommunikationsschnittstelle“ mit „anderen Komponenten innerhalb des Energiesystems kommunizieren können“. Und sie muss in der Lage sein, „auf Vorgaben und Fahrpläne des Leistungs- und Energiemanagementsystems für Netzanschlussleistungsmaximalwerte von berechtigten Stellen zu reagieren“. Der Betreiber muss sich zudem verpflichten, „die Steuerung der Ladestation zuzulassen“.

Die Basis für dieses Ansinnen ist ein Gutachten mit dem Namen „Digitalisierung der Energiewende“, das das BMWi in Auftrag gegeben hat. Unter anderem von Verbraucherschutzorganisationen werden diese Pläne heftig kritisiert. Denn betroffen wären von der Regelung in erster Linie Privathaushalte.

In dem Gutachten, das im wesentlichen von Experten der Unternehmensberatungen EY (früher: Ernst & Young) und BET verfasst wurde, sind die Stromkunden in drei Gruppen aufgeteilt. In die Gruppe der klassischen Verbraucher ohne flexible Verbrauchseinrichtungen, wie eben das Elektroauto oder Wärmespeicher, bei dem kein „netzdienliches“ Strommanagement stattfinden kann. Bei einem Pilotprojekt in Baden-Württemberg hat diese Kundengruppe die potenziellen Einschränkungen gar nicht bemerkt und sei letztendlich beruhigt mit der getesteten Regulierung umgegangen. Allerdings überschreiten diese Nutzer nur selten den kritischen Wert von fünf Kilowattstunden und einen Jahresverbrauch von 6.000 kWh. „Kurzzeitige Überschreitungen der hier genannten 5-kW-Grenze, zum Beispiel von Durchlauferhitzern, werden toleriert“, heißt es in dem Gutachten fast schon gönnerhaft.

Förderung nur für „netzdienliche“ Wallboxen
Einen Zuschuss von bis zu 900 Euro zahlt die KfW nur, wenn die Ladeleistung des privaten Ladeplatzes vom Netzbetreiber im Notfall heruntergeregelt werden kann. Und die Wallbox darf auch nur maximal 11 Kilowatt Strom liefern. Foto: Mennekes

Ein wenig anders sieht das schon in der zweiten Gruppe aus, den „Teilflexiblen“ aus. Diese nutzen neben den klassischen Stromverbrauchern (Lampen, Kaffeemaschinen, Kühlschränken) auch ein paar „flexible Stromverbraucher“ nutzen. Wie eben eine Wallbox beziehungsweise Ladesäule oder eine Wärmepumpe. Auch hier gelten die Toleranzgrenzen für eine Spitzenlast von 5000 Watt beziehungsweise einem Jahresverbrauch von 6.000 Kilowattstunden (kWh). Allerdings müssen diese Nutzer hier mit „netzorientierten Management“ rechnen, sprich mit einer Regulierung des Strompreises entlang der Nachfrage – und der zeitweiligen Abschaltung von Verbrauchern, dem so genannten „Lastabwurf“ durch den Stromnetz-betreiber. Dafür ist der Leistungspreis niedriger als bei der „unbedingten Leistung“, also dem garantierten Stromdurchfluss.

Permanente Verfügbarkeit gegen Aufpreis

Der soll gemäß dem Gutachten den Kunden durchaus zur Verfügung – aber nicht mehr zum Nulltarif, sondern gegen Aufpreis. „Der teilflexible Kunde kann abweichend vom Standardfall auch für seine flexiblen Verbrauchseinrichtungen eine unbedingte Netznutzung realisieren. Er muss dann eine ausreichende unbedingte Leistung im Netzanschlussvertrag vorsehen und entsprechend unbedingte Leistung in der fortlaufenden Netznutzung bestellen“, heißt es in dem Gutachten. Im Klartext: Wer jederzeit die volle Stromleistung braucht, um etwa sein Elektroauto jederzeit und mit voller Ladeleistung zu „betanken“, muss dafür einen Aufpreis bezahlen. Schwer vorzustellen, dass Autofahrer, die auf ihr Gefährt angewiesen sind, diese Option nicht ziehen und erst dann auf das flexible Bezahlmodell umsteigen, wenn die Erfahrung lehrt, dass der Wagen trotz der Einschränkungen immer morgens vollgetankt ist.

Der vollflexible Kunde kombiniert mit einem Energiemanagementsystem die klassischen und flexiblen Verbrauchsanlagen und bestellt bei Bedarf unbedingte Leistung sowie vergünstigte bedingte Leistung, bei der ein netzorientiertes Management zeitlich eng begrenzt durchgeführt werden kann. Allerdings wird bei diesen Verbrauchern die Null-Toleranz-Linie gefahren. Das Gutachten ist in diesem Punkt eindeutig. „Eine gesonderte Berücksichtigung der Eigenerzeugung ist weder erforderlich noch geboten, da bei den vollflexiblen Kunden im Gegensatz zu den nicht- und teilflexiblen Kunden mit zugewiesener Leistung wiederholte Überschreitungen der bestellten Leistung nicht toleriert werden. Dies hat zur Folge, dass vollflexible Kunden Auswirkungen einer ggf. vorhandenen Erzeugungsanlage auf ihre tatsächliche Netzbelastung bei der Leistungsbestellung mitberücksichtigen müssen.“

Doch es regt sich Kritik an diesem Geschäftsmodell. „Während hier eine rein technisch geprägte Diskussion geführt wird, wäre es notwendig, das Kunden- und Nutzerverhalten genauer zu betrachten. Die vielfach zitierten Spitzenzeiten am Abend, wenn jeder sein EV auflädt, sind bisher selbst in den EV-Hochburgen ausgeblieben. Das Ladeverhalten der Kunden folgt einem anderen Muster. Je zuverlässiger die Technologie und die Infrastruktur werden, desto seltener wird getankt“, sagt Andreas Radics von der Unternehmensberatung Berylls und liefert die Lösung gleich mit: „Also sollte nicht über einen Hebel diskutiert werden, der nur ausschließlich bei Engpässen genutzt werden darf, sondern über die Förderung der Infrastruktur, um diese Engpässe auszuschließen.“

Eine Million Stromer sind kein Problem

Außerdem ist noch gar nicht gesichert, dass der Stromverbrauch aufgrund der wachsenden Zahl von Elektroautos und Wärmepumpen durch die Decke geht und die Netze destabilisiert. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) hat bereits 2018 eine Studie im Auftrag der Übertragungsnetzbetreiber erstellt und geht für das Jahr 2025 von einem Nettostrombedarf von nur noch 502,2 Milliarden kWh aus. Im Jahr 2019 waren es noch 517,8 Milliarden. Als Gründe für diesen Rückgang führen die Forscher hauptsächlich einen gesunkenen Verbrauch der Industrie an – sowie eine wachsende Eigenstromversorgung der Eigenheimbesitzer durch Photovoltaikanlagen an. Aber auch effizientere Geräte im Haushalt mit einem geringeren Stromverbrauch tragen ihr Scherflein dazu bei.

Im übrigen ist auch gar nicht gesagt, dass der Ansturm der Elektroautos das Stromnetz tatsächlich an seine Grenzen bringt. Für eine Million Elektroautos seien rund 0,4 Prozent Strom zusätzlich nötig – bei einem durchschnittlichen Verbrauch pro Fahrzeug von 20 Kilowattstunden je 100 Kilometer und 15.000 Kilometern Jahresfahrleistung, haben Experten des Energieversorgers EnBW ausgerechnet. Und auch das gleichzeitige Laden von Elektroautos in den Abendstunden führt keineswegs zum Blackout, wie ein Versuch der EnBW-Tochter Netze BW zeigte. In Ostfildern wären die Anlieger einer Wohnstraße mit Elektroautos und Wallboxen für 18 Monate mit Elektroautos und Wallboxen ausgestattet worden, um das Stromnetz einem Stresstest zu unterziehen. Doch weder flogen hier die Sicherungen raus noch verschmorten Leitungen. Denn nie luden mehr als fünf Elektroautos gleichzeitig: alles gut.

Netze BW hat deshalb im Frühjahr in einen weiteren Feldversuch in Tamm gestartet, um herauszufinden, wie sich die Elektromobilität mit Mehrfamilienhäusern verbinden und ins Netz integrieren lässt. 45 Haushalten einer Wohnanlage wurden dafür Elektroautos zur Verfügung gestellt. Bei dem Feldversuch „E-Mobility-Carré“ ist allerdings auch ein intelligentes Lademanagement für ein „netzvertträgliches Laden“ vorgesehen. Im Februar soll der Abschlussbericht vorliegen.

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