Etwa 80 Prozent der Ladepunkte für Elektroautos werden hierzulande von Unternehmen der Energiewirtschaft bereitgestellt, hat der Bundesverband der Eneergie- und Wasserwirtschaft (BDEW ) ausgerechnet. Doch auch andere Akteure haben inzwischen erkannt, dass der Betrieb von Ladesäulen nicht nur ein hervorragendes Instrument zur Kundenbindung ist, sondern auch ein neues lukratives Geschäftsmodell sein kann, wenn immer mehr Elektroautos auf den Straßen unterwegs sind. Parkhaus- und Parkplatzbetreiber, Werkstatt- und Möbelhaus- und Supermarktketten, aber auch Autohäuser, Gastronomen, Kinobetreiber und kommunale Unternehmen investieren deshalb kräftig in den Aufbau der Ladeinfrastruktur – für Mitarbeiter, Kunden, aber für eine öffentliche Nutzung.
Denn sie haben geeignete, verkehrsgünstige Stellflächen, bereits Zugänge zur Stromversorgung und verfügen oft auch schon über Wallboxen und andere Lademöglichkeiten, die bislang allerdings nur sporadisch genutzt werden. „In Norwegen gibt es inzwischen eine große Anzal von Privatinvestoren, die in das Geschäft mit Ladestationen eingestiegen sind, nachdem immer wieder große CPOs (Charge Point Betrieber) an ihre Türen geklopft hatten, die an der Nutzung ihrer Grundstücke interessiert waren“, berichtet . Sie wurden darüber zum Entrepreneuer“, berichtet Bjørn Utgård, der Vertriebschef der niederländischen EVBox-Gruppe, die seit 2010 in über 70 Ländern zusammen mit Industriepartner weltweit eine Viertelmillion Ladepunkte installiert haben. Auch in den Niederlanden sei es relativ leicht, mit einer Ladestation schnell Geld zu verdienen, wenn der Standort gut sei.
Kein Wunder, dass nun auch der japanische Reifenhersteller Bridgestone Witterung aufgenommen hat und in das Geschäft einsteigt. Schließlich machen Reifen für Elektroautos bereits elf Prozent des gesamten Erstausrüstungsgeschäfts von Bridgestone in Europa aus – mit stark steigender Tendenz.
Zusammen mit den Spezialisten von EVBox will das Unternehmen in den kommenden fünf Jahren deshalb nun seine 3500 Verkaufsstützpunkte und Servicepartner in Europa nach und nach mit Ladeanschlüssen für Elektroautos ausstatten. „Wir sehen uns längst nicht mehr nur als Reifenhersteller, sondern als Mobilitätsanbieter und wollen eine aktive Rolle beim Umbau der Antriebswende spielen“, erläuterte der für die Retail-Aktivitäten verantwortliche Bridgestone EMIA Vizepräsident Christophe de Valroger im Gespräch mit EDISON die Hintergründe der Initative.
Bridgestone startet „Reise in die Zukunft“
„Wir starten eine Reise in die Zukunft“, umschrieb de Valroger die Mission. Mitnehmen wolle man dabei nicht nur die unternehmenseigenen Betriebe, sondern auch interessierte Franchise-Partner – im Reifenhandel, aber auch bei den Autowerkstatt-Ketten wie Speedy in Frankreich, an denen Bridgestone beteiligt ist. Im Auge habe man dabei in erster Linie Flottenbetreiber. Aber auch Privatkunden wolle man ein Angebot machen. Gestartet werden soll der Auf- und Ausbau des Ladenetzes zunächst in Frankreich (de Valroger: „Da haben wir bereits 130 Ladepunkte“). Betriebe in Deutschland sollen 2022 folgen, später dann auch die in Italien, Spanien, Großbritannien und Polen.
Wie das neue Geschäftsmodell rund um die Elektromobilität ausgestaltet wird, wird sich in den kommenden Monaten und Jahren erweisen. „Wir versuchen zu lernen, wie es es funktionieren könnte“, gab de Valroger offen zu. Dabei werde man die Kontakte der Partner in den Ländern nutzen und auf die lokalen Verhältnisse Rücksicht nehmen .
Reifenservice und Stromtankstelle
„Am Anfang kann die Lademöglichkeit für das Elektroauto so etwas wie eine zusätzliche Kaffeemaschine sein – an der sich der Kunde kostenlos ein Getränk zubereiten kann, während sein Auto gewartet wird“, umschreibt EVBox-Manager Utgård eine mögliche Herangehensweise. Als Stand-Alone-Lösung sei es derzeit noch schwierig, mit dem Betrieb von Ladestationen Geld zu verdienen: „Erst wenn eine große Anzahl von Elektroautos auf der Straße sind und man sicher sein kann, dass täglich große Mengen Kilowattstunden fließen, rechnen sich die Investitionen in die Technik.“
Aber als zweites Standbein – etwa als zusätzlicher Service neben dem Werkstattgeschäft oder dem Reifenhandel – könne es Sinn machen. Utgård: „Elektroautos haben zwar einen geringeren Wartungsbedarf, aber in aller Regel einen höheren Reifenverschleiß.“ Insofern sei Bridgestone in einer guten Ausgangsposition.
„Einige neue Geschäftsmodelle nehmen bereits Gestalt an, andere sehen wir wahrscheinlich erst später“, beschrieb de Valroger den weiteren Kurs. Aber er zeigte sich zuversichtlich, dass sich das neue Geschäftsfeld dynamisch entwickeln werde. Unter anderem denke man auch über einen mobilen Ladeservice nach – etwa für Elektroautos, aber auch E-Roller, die in Großstädten von Sharing-Anbietern eingesetzt werden. Da könnte es in Zukunft neue Partnerschaften geben.
Autoflotten als Treiber der Transformation
„Wir haben eine Menge Kunden im Reifengeschäft, die bei der Transformation der Flotten ganz vorne mit dabei sein werden, weil sie dazu von ihren Unternehmen dazu gedrängt werden, aus Gründen des Umweltschutzes auf Elektroautos umzusteigen. In dem Zusammenhang ist es für uns wichtig, unseren Reifen-Kunden auch einen leicht zugänglichen Ladeservice anbieten zu können. Zudem haben wir eine große Anzahl von Standorten, die hervorragend positioniert sind und auch für das DC-Schnellladen gut geeignet sind. Hier wollen wir gemeinsam und mit Unterstützung von EVBox lernen, wie man damit Geld verdienen kann.“
Aber darüber hinaus wolle Bridgestone auch einen Beitrag leisten zu den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen: Bridgestone verfolge im Rahmen seiner langfristigen Umweltvision den Plan, die Emissionen bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 2011 zu verringern und ab 2050 komplett klimaneutral zu agieren.