Eigentlich wollte Daimler auf der Tech-Messe CES in Las Vegas das weltweit erste Elektroauto präsentieren, das mit einer Akkuladung über 1000 Kilometer weit kommt. Doch der Plan ging nicht auf: Bereits Mitte November präsentierte die Guangzhou Automobile Group (GAC) auf der größten chinesischen Automesse mit dem Aion LX plus einen Stromer, der die magische 1000-Kilometer-Marke zumindest auf dem Papier knackt. Die Chinesen pflanzten dafür ihrem Elektro-SUV eine ternäre Lithiumbatterie mit einer Speicherkapazität von 144 Kilowattstunden (kWh) und einer Energiedichte von 205 Wattstunden pro Kilogramm ein.

Mit der seriennahen Technologiestudie Mercedes Vision EQXX, die nun einige Wochen später in Las Vegas Weltpremiere hat, gehen die Stuttgarter einen anderen Weg. Der viertürigen Reiselimousine reicht für Etappen von rund 1000 Kilometern – wie etwa von Stuttgart nach Rom – ein kompakter Akkupack von nur knapp 100 kWh Speicherkapazität. Um trotzdem auf eine solch spektakuläre Reichweite zu kommen, haben die Mercedes-Ingenieure viel Gehirnschmalz vor allem in die Themen Aerodynamik und Leichtbau investiert. Ein Ergebnis: Die Karosserie des Mercedes Vision EQXX erreichte im Windkanal einen cW-Wert von gerade einmal 0,17. Zum Vergleich: Der Mercedes EQS, das aktuell aerodynamischste Serienautomobil der Welt, kommt auf einen cw-Wert von 0,20.

Geformt im Windkanal

Damit setzt der Mercedes EQXX ähnlich technologische Bestmarken wie Volkswagen vor rund zehn Jahren mit seinem hybriden Sparmodell XL 1, das auf Verbrauchsfahrten seinerzeit mit weniger als einem Liter Kraftstoff auf 100 Kilometern auskam. Optisch ist der Mercedes EQXX dabei fast ein alter Bekannter. Denn das Design orientiert sich an der Studie „IAA“ (Intelligent Aerodynamic Automobile) des Jahres 2015, die sich schon damals mit einem ausfahrbaren Heck auf den cW-Bestwert von 0,19 kam.

Stromverbrauch unter 10 kWh/100km

So exzellent wie der Luftwiderstandswert sind auch andere Kenndaten der Elektroflunder. Beispielsweise das Gewicht von nur 1.750 Kilo. Erreicht wurde es durch ein kompaktes Akkupaket im Unterboden sowie eine ultrahochfeste Stahlkarosserie mit zahlreichen Modulen aus Aluminium, Kohle- und Glasfaserverstärkten Kunststoffen. Und der Mercedes kommt auch nur mit einem 150 kW (204 PS) starken Elektromotor aus, um im Effizienzbetrieb auf immerhin 140 km/h zu beschleunigen.

Um den Stromverbrauch zu senken, wurde der Mercedes ähnlich wie seinerzeit der VW XL1 oder auch der BMW i3 auf mit 20 Zoll zwar große, aber mit einer Breite von 18,5 Zentimetern auch sehr schmale „Tall and Narrow“-Räder gestellt. Das Ergebnis soll ein Durchschnittsverbrauch von unter zehn Kilowattstunden pro hundert Kilometer Strecke sein.

„Der Mercedes-Benz Vision EQXX zeigt, wie wir uns die Zukunft des Elektroautos vorstellen. In nur eineinhalb Jahren haben wir den effizientesten Mercedes aller Zeiten entwickelt – mit einem Energieverbrauch von weniger als 10 kWh pro 100 Kilometer“, lobt Daimler-CEO Ola Källenius die Arbeit seiner Mitarbeiter.

Elektromotor mit 95 Prozent Wirkungsgrad

Mercedes EQS Mercedes hat den vollelektrischen Luxusliner EQS vorgestellt. Wir durften mit dem Elektroauto sogar schon eine Runde drehen. Elektroauto

Um mit einer vergleichsweise kompakten Batterie auf eine Reichweite von über 1000 Kilometer zu kommen, wurde auch der Energiespeicher in vielen Details optimiert. Eine Anode mit hohem Siliziumgehalt erlaubt es, deutlich mehr Energie im Akku zu speichern als mit negativen Elektroden konventioneller Bauart aus Graphit. Die Mercedes-Ingenieure nutzten zudem ihre Erfahrungen aus der Formel 1, um den knapp 500 Kilogramm schweren Energiespeicher zu komprimieren. Ergebnis: Das Batteriepaket des EQXX speichert knapp 100 kWh Strom bei 50 Prozent weniger Volumen und 30 Prozent weniger Gewicht als das im Mercedes EQS.

Auch der Wirkungsgrad des Elektromotors setzt nach Mercedes-Angaben mit 95 Prozent Bestmarken. Nicht ganz neu, aber hilfreich, wenn es um jeden Kilometer an Reichweite geht: 117 ultradünne Solarmodule auf dem Dach speisen tagsüber Sonnenstrom in das Batteriesystem. Bis zu 25 Kilometer Reichweite sollen sich damit gewinnen lassen.

Heimkino auf Rädern
Quer über die gesamte Armaturentafel zieht sich im Mercedes Vision EQXX das hochauflösende Info-Display. Foto: Mercedes

Im Innenraum präsentiert sich der EQXX beinahe wie ein Serienfahrzeug. Es gibt hier vier Einzelsitze, eine schmales, 47,5 Zoll großes Display mit 8K-Auflösung, das sich quer über die gesamte Armaturentafel zieht, und eine Mittelkonsole mit Becherhaltern, die den puristischen Gesamtcharakter noch unterstreicht. Edles Leder wie in Mercedes-Serienmodellen sucht man in der Zukunftsstudie jedoch vergeblich – Sitzbezüge, Verkleidungen und Teppiche sind komplett tierfrei herstellt. Die Bodenbeläge etwa bestehen zu 100 Prozent aus schnell nachwachsenden Bambusfasern.

Mercedes EQXX mit 900-Volt-Architektur

Noch ist der Mercedes EQXX eine Vision. Doch das Einzelstück hat im Erprobungsbetrieb bereits erste Kilometer zurückgelegt. Auf jeden Fall werden wir seine Technologien schon bald in Serienfahrzeugen erleben. Das gilt nicht nur für die neuen Materialien im Innenraum, sondern auch für den effizienten Antrieb – oder das 900-Volt-Bordnetz, das hohe Ladeleistungen verspricht.

„Das Technologieprogramm, das hinter dem Vision EQXX steht, wird zukünftige Modelle und Fahrzeugfunktionen von Mercedes-Benz neu definieren und ermöglichen“, sagt Daimler-Entwicklungsvorstand Markus Schäfer.

Und wer weiß: Vielleicht legt Mercedes von dem Vision EQXX auch eine Kleinserie auf. So wie Volkswagen seinerzeit vom XL 1. Immerhin 200 Exemplare des Ein-Liter-Autos mit diesel-elektrischem Antrieb wurden damals im Osnabrücker VW-Werk produziert und für 111.000 Euro an handverlesene Kunden verkauft. Auf dem Gebrauchtwagenmarkt sind die Fahrzeuge heute immer noch deutlich mehr als 100.000 Euro wert.

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1 Kommentar

  1. Harald Reißenweber

    Ja, Kleinserie mehr nicht. Die Ansätze sind wohl richtig, aber wenig praxistauglich, wenn ich mir den hinteren Einstieg betrachte. Auch die schmalen Reifen werden wenig Zuladung zulassen. Abgesehen davon hatte der Prius 4 PHEV schon 2016 Leichtbau mit Aluhaube, Karbonkofferraumdeckel, usw. und -allerdings mit Benziner- über 1000 km Reichweite. Beim Lenkrad hat MB sich hier noch nichts einfallen lassen, ein Ruder wie immer. Noch nichts von steer by wire gehört. Gibt es schon seit der HE111. Aber naja, der PR-Auftritt stimmt.

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