E-Bikes liegen schwer im Trend, nicht erst seit diesem Jahr. Wer kommt eigentlich noch ohne elektrische Trittunterstützung aus, wer kauft eigentlich noch ein „Bio-Bike“, das ganz klassisch allein mit Muskelkraft bewegt wird? Wer einmal für längere Zeit an der Kasse eines Fahrradhändlers gestanden oder Kundengesprächen im Showroom eines Fahrrad XXL-Shops gelauscht hat, kann sich schon diese Frage stellen. Ob City-, Trekking- oder Mountain-Bike, Lasten-, Gravel- oder Rennrad – kaum eine Gattung, die es inzwischen nicht auch in elektrifizierter Form gibt. Das gilt sogar für Kinderräder – damit die Kleinen mit den vorneweg radelnden Eltern Tritt halten können.

Gleichzeitig differenziert sich das Angebot immer weiter aus. Der neueste Trend heißt „Light“-Bike: Leichte Pedelecs mit flüsterleisem und kompaktem Antrieb sowie einem kleinem Akku, die dem Fahrer ein natürliches Unterstützungsgefühl geben und (zumindest bei schneller Vorbeifahrt) optisch kaum mehr von Bio-Bikes zu unterscheiden sind – aber an der Steigung doch noch zusätzliche Kräfte mobilisieren, wenn die Beinmuskulatur nach einer anstrengenden Trainingseinheit schon fast übersäuert ist.

Leicht und trotzdem kraftvoll

Vor allem bei Mountainbikes erfreut sich der Trend derzeit großer Beliebtheit. Das Angebot, das nagelneue Haibike Lyke 11 noch vor der Markteinführung ausgiebig in freier Wildbahn auszuprobieren, ließen wir uns deshalb nicht entgehen. Schon der Blick auf das Datenblatt ließ uns das Wasser im Munde zusammenlaufen: Trotz Vollfederung und dank Karbonrahmen nur etwa 19 Kilogramm schwer, trotz des kompakten Antriebs des Porsche-Tochterunternehmens Fazua eine maximale Motorleistung von 250 Watt und ein Drehmoment von immerhin 60 Newtonmetern am Hinterrad, dazu ein Akku mit einer Speicherkapazität von 430 sowie Scheibenbremsen und eine XT-Schaltgruppe von Shimano – was will man mehr?

Ende Gelände? Von wegen 
Mit dem nur 19 Kilogramm schweren Fully Haibike Lyke 11 kriegen Fahrten durchs Gelände eine neue Qualität.
Ende Gelände? Von wegen
Mit dem nur 19 Kilogramm schweren Fully Haibike Lyke 11 kriegen Fahrten durchs Gelände eine neue Qualität. Fotos: Rother

Für einen Ausflug in die Berge fehlte uns die Zeit. Aber auch im Siebengebirge (den immerhin höchsten Bergen der Niederlande) und entlang der Sieg gibt es hübsche Trails, um die neue Leichtigkeit des Seins mit einem Light-E-Trailbike zu erfahren, ohne an die Grenzen des technisch wie körperlich Möglichen gehen zu müssen.

Range Extender im Flaschenhalter

Schon im Stand macht das Haibike Lyke, das uns der Pressedienst Fahrrad aus Göttingen zur Verfügung stellte, eine gute Figur. Die Farbstellung ist vielleicht nicht Jedermanns Geschmack, aber das Karbon, das an einigen Stellen durch die Lackierung hindurchschimmert, ließ schon Freude an der Technik und so etwas wie Besitzerstolz aufkommen. Und das betont schlanke Rahmen-Design ist schon echte Falt- und Versteckkunst: Die Züge verschwinden schon vor dem Steuersatz im Rahmen und auf ein Display am Lenker haben die Experten bei Haibike komplett verzichtet. Wie schnell man mit dem Lyke 11 gerade unterwegs ist, erfährt man lediglich über den feinen Sensor an der eigenen Nasenspitze. Und über Füllgrad des Akkus und die aktuelle Unterstützungsstufe eine Lichterkette auf dem Oberrohr. Alle weiteren Informationen liefert die Smartphone-App, über die sich auch das Ansprechverhalten des Antriebs in den drei Stufen individualisieren lässt.

Ring of Power 
Direkt neben dem linken Handgriff liegt der schlichte Ring Control-Remote, mit dem der Fazua-Antrieb unterwegs in drei Stufen gesteuert wird. Ein langer Druck nach oben sorgt für einen Boost-Effekt und setzt 100 Watt Mehrleistung frei.
Ring of Power
Direkt neben dem linken Handgriff liegt der schlichte Ring Control-Remote, mit dem der Fazua-Antrieb unterwegs in drei Stufen gesteuert wird. Ein langer Druck nach oben sorgt für einen Boost-Effekt und setzt 100 Watt Mehrleistung frei.

Auch der Ladeport für den Akku ist dezent untergebracht – am Schnittpunkt von Unterrohr und Sitzrohr – knapp unterhalb des Flaschenhalter. Was auf den ersten Blick eine Fehlkonstruktion scheint, macht auf den zweiten Blick durchaus Sinn: Denn für längere Touren lässt sich das Lyke 11 mit einem kleinen, 210 Wattstunden großen Zweitakku ausrüsten, der einfach anstelle der Trinkflasche in den Halter gesteckt und über den Ladeanschluss mit dem Motor verbunden wird – echt pfiffig.

100 Watt Extra-Leistung

Die Entnahme des großen Akkus aus dem Unterrohr – etwa zum externen Laden auf dem Hotelzimmer – ist dafür komplizierter und aufwändiger. Erst ist der Unterfahrschutz zu demontieren, dann mit einem Inbus-Schlüssel eine weitere kleine Steckachse, um den Akku schließlich nach unten herausziehen zu können. Das macht man vielleicht einmal – dann aber nie wieder.

Feintuning per App 
Über die Fazua-App lässt sich per Smartphone das Ansprechverhalten des Motors in den verschiedenen Unterstützungsstufen nach den persönlichen Vorlieben einstellen.
Feintuning per App
Über die Fazua-App lässt sich per Smartphone das Ansprechverhalten des Motors in den verschiedenen Unterstützungsstufen nach den persönlichen Vorlieben einstellen.

Schnell gewöhnt hat man sich hingegen an die schlanke ringförmige Einheit am Lenker, mit der der Fazua-Antrieb unterwegs geregelt wird. Durch Drehbewegungen nach oben und nach unten. Und wer mit dem Daumen den Ring ein wenig länger nach oben drückt, erfährt wie in manchen Elektroautos einen zusätzlichen Boost: Für einige Sekunden stehen dann 100 Watt Extra-Leistung zur Verfügung, um beispielsweise eine Steilpassage zu meistern.

Freilauf übertönt den Antrieb

Aber auch so schon geht der kleine Fazua-Motor überraschend kraftvoll zu Werke. Und das – je nach Einstellung im Individualisierungsprogramm und persönlichen Geschmack – vom ersten Tritt an oder mit leichter Verzögerung. Und der Motor arbeitet auch in der höchsten Unterstützungsstufe erfreulich leise – der Freilauf im Mavic-Laufrad war da in manchen Passagen schon deutlicher vernehmbar.

Trinkflasche oder Range Extender 
Der Halter am Unterrohr liegt sehr nahe am Ladeport für den Akku. Ganz bewusst: Denn statt der Wasserflasche kann dort für längere Touren eine Zusatzbatterie platziert und über den Ladeanschluss mit dem Antrieb verbunden werden.
Trinkflasche oder Range Extender
Der Halter am Unterrohr liegt sehr nahe am Ladeport für den Akku. Ganz bewusst: Denn statt der Wasserflasche kann dort für längere Touren eine Zusatzbatterie platziert und über den Ladeanschluss mit dem Antrieb verbunden werden.

Mit einem Federweg von 140 Millimetern ist das Lyke 11 für anspruchsvolle Down-Hill-Partien etwas unterdimensioniert und auch die am Testrad montierten Schwalbe-Laufreifen („Magic Mary“ und „Hans Dampf“) sind eher für mittleres Gelände und trockenes Geläuf ausgelegt. Trotzdem machte das Lyke auch auf schweren und nassen Waldböden und steileren Passagen einen Heidenspaß – bergab wie auch bergauf. Denn das Haibike erwies sich als erfreulich wendig und reaktionsschnell, fast wie ein Bio-Bike. Das Mehrgewicht des Antriebs war kaum spürbar, die Reifen lieferten ausreichend Grip. Unser Referenz-Bike – ein Bulls E-Stream EVO AM 4 mit einem fast sechs Kilogramm höheren Lebensgewicht – kam da nicht mit.

Ja, das Haibike kann man schon „lyken“. Wenn da nicht der hohe Preis wäre: Für 7.500 Euro könnte man sich alternativ auch einen kleinen Gebrauchtwagen zulegen.

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1 Kommentar

  1. Michael Ratka

    Für 1850,- Euro kann http://www.backwind.at jedes BioBike zum E-Bike machen… einfacher geht’s nicht!

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