Der Löwenberg ist zwar nur 455 Meter hoch. Die letzten 400 Meter auf dem Weg vom Rheintal hoch zur mittelalterlichen Burgruine haben es jedoch in sich, auch trainierte Mountainbike kommen hier ins Schnaufen. Den Radlern, die ich auf dem holprigen Waldweg überhole, ist die Anstrengung jedenfalls ins Gesicht geschrieben. Die Blicke gehen zu mir rüber, ich höre noch ein verächtliches „E-Bike“ – dann bin ich mit mehr als doppelter Geschwindigkeit schon vorbeigezischt. Minuten später sehen wir uns auf dem Gipfel wieder. Während ich meinen Blick bereits über das Siebengebirge schweifen lasse und einen Schluck aus der Wasserflasche nehme, atmen die Bio-Radsportler erst einmal hörbar aus. „Ich will auch so ein E-Mountainbike“, meint einer, während er langsam näher kommt und mein Bike in Augenschein nimmt, das in der Sonne an der Burgmauer lehnt. Hohn ist da schon nicht mehr zu spüren, vielmehr echtes Interesse, ja Staunen darüber, was E-Mountainbikes der neuesten Generation inzwischen so drauf haben. An Kraft, an Ausdauer, an technischen Finessen, aber auch an Eleganz: Man muss schon genauer hinschauen – und auch hören – um zu erkennen, dass die Fahrräder nicht allein von Muskelkraft angetrieben werden.

Unser Testbike aus der Domstadt Köln ist in der Beziehung eines besonderes Prachtstück. Beim Bulls E-Stream EVO AM4 27+ arbeitett, wie Insider anhand der kryptischen Modellbezeichnung erkennen, der neue, ebenso bärenstarke wie kompakte Brose S mag-Motor an der Tretkurbel. Bis zu 250 Watt Leistung und 90 Newtonmeter Drehmoment vermag die nur 2,9 Kilo schwere Antriebseinheit zu mobilisieren, wenn es bergauf geht. Die dafür erforderliche Energie liefert der neue Super Core-Akku von BMZ, der 750 Wattstunden Strom speichert. Das Kraftpaket ist voll in den Rahmen integriert, kann aber leicht nach unten entnommen werden, wenn er zum Beispiel in der Wohnung daheim oder in einer Gaststätte unterwegs wieder aufgeladen werden soll. Reichweitenangst muss man damit nicht haben: Eher geht dem Fahrer die Puste aus als dem Akku. Nach einer Tour durch das Bergische Land über 70 Kilometer war der Akku noch zur Hälfte voll. Und nach einer 60 Kilometer langen Tour über vier der sieben Hügel des Siebengebirges und durch das Siegtal leuchteten auf dem Kontrolldisplay am Lenker noch zwei der insgesamt fünf Balken: Wer die elektrische Trittunterstützung sparsam einsetzt, wird mit einer enormen Reichweite belohnt.

Vollausstattung ab Werk

Auch die übrige Ausstattung des vollgefederten Bikes kann sich sehen lassen. Das Fahrwerk besteht aus einer FOX 36 Rhythm-Federgabel und einem FOX Float DPS-Dämpfer am Hinterbau – beides mit 150 Millimeter Federweg. Für die optimale Übersetzung von Kraft auf Weg sorgt eine 11-Gang-Kettenschaltung von Shimano in XT-Qualität, für kraftvolle Verzögerung auch bei hohen Geschwindigkeiten – bei 25 km/h ist zumindest bergab noch lange nicht Schluss – vorn wie hinten eine hydraulische Vierkolben-Scheibenbremse von Magura vom Typ MT5 mit einem Disc-Durchmesser von 203 Millimetern vorne und 180 Millimeter hinten. Obendrein gibt es noch eine Sattelstütze von Kind Shock, die sich blitzschnell um 125 Millimeter absenken lässt – auf einer Bergab-Passage oder ganz einfach beim Stopp an einer Ampel.

Und da auch Mountainbikes nicht ausschließlich im Gelände und bei strahlendem Sonnenschein bewegt werden, kann man über das so genannte MonkeyLink-System einfach, schnell und abfallsicher Schweinwerfer und Rücklicht montieren. Da bleiben kaum Wünsche offen. Die Laufräder im Format 27,5 Zoll sind eine Eigenentwicklung, für ordentlich Grip auf dem Trail sorgt ein Paar „Magic Mary von Schwalbe in 2,8 Millimeter Breite. Was will man mehr?

Bockiger Motor bei Tempo 25

Nun ja, vielleicht eine Motorsteuerung, die sich nicht so anfühlt, als wäre sie von Verkehrsminister Andy Scheuer und seinen Beamten persönlich programmiert worden: Hart an den Grenzen der gesetzlichen Vorgaben – und verbunden mit harten Sanktionen, wenn das Pedelec einmal schneller zu werden droht. Bis Tempo 20 jedenfalls ist der Brose-Motor ein munterer Geselle, der spürbar Spaß an der Geschwindigkeit. Aber wehe, der Fahrer tritt so heftig in die Pedale, dass sich die Tachoanzeige dem gesetzlichen Grenzwert von 25 km/h nähert: Dann bockt und ruckelt die Maschine, die Pedale scheinen plötzlich gummigelagert. Je heftiger man tritt, desto größer scheint der Widerstand zu werden. Es ist zu hoffen, dass Brose bald ein Update für die Motorsteuerung liefert. Bis dahin hilft nur eines, um auf der Bergabstrecke mit „Bio-Radlern“ mithalten zu können: Motor ausstellen – und weiter treten. Auf diese Weise kam ich auf einem asphaltierten Waldweg mit starkem Gefälle dann doch bis auf Tempo 63. Das Gewicht des Fahrrads von knapp 24 Kilo half dabei ebenso mit wie das exzellente Fahrwerk, das dem E-Stream einen stabilen Geradeauslauf beschert.

Die Kehrseite der Medaille: Das vergleichsweise hohe Gewicht und der vergleichsweise lange Radstand schränken die Wendigkeit im Gelände deutlich ein, wie sich bei der Bewältigung meiner „Hausstrecke“ zeigte: Spitzkehren verlangten hier vollen Körpereinsatz. Auch wenn es gilt, das Vorderrad anzuheben, um über eine Geländekante zu springen oder einen querliegenden Ast zu überfliegen, stellt sich das Bike etwas störrisch an. Eine Rolle dürfe dabei der große und entsprechend lange Supercore-Akku im Unterrohr spielen, der für einen relativ hohen Schwerpunkt sorgt. Nein, ein Racer ist das Bulls E-Stream nicht. Dafür aber ein erstklassiger Marathonläufer mit viel Fahrkomfort und einem tollen Preis-/Leistungsverhältnis: 5000 Euro sind zwar kein Pappenstiel, aber für die Summe kriegt man bei anderen Herstellern Fullys mit deutlich weniger technischer Feinkost. Wer überwiegend Touren fährt und sich vor allem über Feld- und Forstwege bewegt, ist mit dem Bike bestens bedient.

Stärken:

1. Exzellenter Antrieb,

2. Hoher Federungskomfort,

3. Enorme Reichweite,

4. Kräftige Bremsen,

5. Gutes Preis-/Leistungsverhältnis.

Schwächen:

1. nervige Motorsteuerung,

2. Hoher Schwerpunkt,

3. Geringe Wendigkeit im Gelände.

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