Dezent ist anders. Der Abarth trägt seine Sportlichkeit zur Schau. Die Karosserie kauert tief auf dem Asphalt, am Heck trägt er einen mächtigen Spoiler mit vier Lufteinlässen. Auch die Front zeigt dicke Lippen und die Radhäuser sind aufgrund einer Spurverbreiterung und mit mächtigen 20-Zoll-Rädern gut gefüllt. Die Bremssättel der Vierkolben-Anlage des Rennsport-Spezialisten Alcon sind giftgrün lackiert, nur einen „Record Monza“-Sportauspuff sucht man vergeblich. Denn das Sondermodell des Abarth 600e namens „Scorionissima“ fährt vollelektrisch.
Aber nicht lautlos. Als wir den Startknopf drücken, knurrt es im Heck (fast) wie in alten Zeiten. Und das schon im Leerlauf. Ein (abschaltbarer) Soundgenerator macht’s möglich. Und der Lautsprecher sorgt dafür, dass nicht nur die Insassen beschallt werden, sondern auch die Umgebung einiges auf die Ohren bekommt. Zumindest bis Tempo 80 – danach wird der synthetische Motorsound gedrosselt. Auf der Autobahn bekommt das allerdings kaum jemand mit – so schnell, wie der Abarth 600e im Rückspiegel auftaucht, ist er auch schon wieder weg. Und lässt dabei so manchen Fahrer eines konventionell angetriebenen Sportwagens sichtlich verblüfft zurück.

„Hypnotic Purple“ heißt die Lackierung, die Abarth exklusiv für den 600e in der limitierten „Scorpionissima“-Edition anbietet.
Nein, dieses Elektroauto ist wahrlich kein Verzichtsauto, sondern ein echtes Spaßmobil. Mit einer Spitzenleistung von 280 PS oder 207 kW und einer Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h. Tempo 100 ist aus dem Stand nach weniger als sechs Sekunden erreicht und Kurven durcheilt der Stromer mit der Souveränit und Härte eines echten Sportwagens. Immerhin haben bei der Abstimmung des Fahrwerks und des Antriebs Spezialisten nicht nur von Stellantis Motorsport mitgewirkt, sondern auch Ingenieure von Michelin (Reifen), Alcon (Bremsen) und JTect. Letztere sorgten dafür, dass ein mechanisches Torsen-Sperrdifferential an die Vorderachse kam. Auf diese Weise bleibt der Giftzwerg auch in schnellen Kurven und auf nasser Piste gut beherrschbar.
Stromvorrat für drei Runden auf dem Nürburgring
Und das ist gut so. Denn Elektroautos haben derzeit schon einen schweren Stand. Sie gelten nicht nur als teuer und wenig alltagstauglich. Viele Petroheads halten sie auch für echte Spaßbremsen. Man kann sich da leicht vorstellen, welche Reaktionen die Entscheidung von Stellantis im vergangenen Jahr bei den Mitglieder der Scorpionship-Community hervorrief, die Produktion der benzingetriebenen Modelle einzustellen und Abarth zu einer reinen Elektromarke zu machen.

Das Markenzeichen von Abarth – abgeleitet vom Sternzeichen des Firmengründers Carlo Abarth – findet sich beim 600e beinahe überall.
Die 1.368 Exemplare der Abarth 695 75° Anniversario-Version – der letzten Verbrenners – waren trotz eines vergleichsweise happigen Preises von knapp 38.000 Euro jedenfalls ruckzuck vergriffen, erzählt später Vertriebschef Andreas Mayer. Aber inzwischen hätten sich die Wogen wieder geglättet – weil sich schnell herumgesprochen habe, wie schnell und sportlich sich auch ein elektrischer Abarth bewegen lässt. Sogar auf Rennstrecken wie dem Nürburgring. Einziger Schönheitsfehler: Die Kapazität des Akkus von 54 kWh ist bei forscher Fahrweise nur für drei Runden über die Nordschleife gut – also etwas mehr als 60 Kilometer.
Feines Sammlerstück für 48.990 Euro
Bei zurückhaltender Fahrweise und maximal 120 km/h auf der Autobahn sollen theoretisch Reichweiten von über 300 Kilometer drin sein, aber wer fährt ein solches Fahrzeug ausschließlich im Turismo-Modus? Auf unserer Testrunde durch Frankfurt und den Odenwald kamen wir auf einen durchschnittlichen Stromverbrauch von 33 kWh/100 km – demnach hätten wir spätestens nach 160 Kilometern eine Ladesäule aufsuchen müssen. Und da hätten wir dann ausreichend Zeit zum Abkühlen gehabt: Bei einer maximalen Ladeleistung von 100 kW braucht es rund eine halbe Stunde, um den Akku wieder auf 80 Prozent mit Gleichstrom zu befüllen.

Das Lenkrad des Abarth 600e ist mit Alcantara bezogen und in der 12-Uhr-Position farbig markiert – damit der Fahrer immer weiß, wo es geradeaus geht. Auf dem Display kann er dabei die Beschleunigskräfte oder auch die Batterietemperatur abrufen. Fotos: Dino Eisele
Das dürfte dem Erfolg des vorerst schnellsten Abarth aller Zeiten trotz eines ambitionierten Preises von 48.990 Euro aber keinen Abbruch tun. Denn vom „Scorpionissimo“ werden – in Erinnerung an das Gründungsjahr der Marke – lediglich 1949 Exemplare gebaut und auch nicht im Leasing angeboten: Es handelt sich um ein echtes Sammlerstück mit hohem Suchtfaktor. Alternativ gäbe es noch eine zahmere Version des Abarth 600e namens „Turismo“ mit einer Antriebsleistung von 175 kW oder 240 PS für 44.900 Euro. Oder – auf gleicher Plattform – den Alfa Romeo Junior Elettrica 280 Veloce. Inklusive Sportpaket sind wir dann aber auch schon bei 51.000 Euro. Jede Menge Fahrspaß versprechen alle drei. Das Rennen beginnt am 12. April, wenn der Abarth zu den deutschen Händlern kommt. Etwa zehn Prozent aller in Deutschland verkauften Fiat 600 sollen nach Vorstellungen von Vertriebschef Mayer einen spitzen Stachel tragen. Das sollte gelingen. Wir empfehlen Interessenten eine Probefahrt.