Kaum ein Berufsfeld ist so vielschichtig wie die Polizeiarbeit. Sie reicht vom reinen Präsenz zeigen über Unfallaufnahme und Streitschlichtung bis hin zu extrem komplexen Anforderungen zwischen Terrorismusabwehr und der Aufdeckung mafiöser Strukturen.
Eines hat dabei aber eine unabänderliche Konstanz: Die Beamten müssen in jeglicher Hinsicht auf neuzeitliche Hilfsmittel vertrauen können. In der heutigen Zeit bedeutet dies eine große digitale Komponente. Schon, weil so viele Straftaten in irgendeiner Form die digitale Welt berühren, aber ebenso, weil digitale Hilfsmittel die Polizeiarbeit in anderer Hinsicht verbessern, beschleunigen, effizienter oder rechtssicherer machen. Doch welche Möglichkeiten haben die Behörden heutzutage? So viel sei bereits verraten: Es hat nicht ausschließlich mit Kriminalistik im klassischen Sinn zu tun.
Plattformübergreifende Systeme
Egal ob eine Streifenpolizist gerade eine Anzeige wegen Ladendiebstahl aufnimmt oder ob ein MEK-Team einem Staatsanwalt Überwachungsergebnisse einer Rocker-Gang übermittelt: Polizeiarbeit in jeglicher Hinsicht bedeutet eine wahrhaft gigantische Menge von Akten, Formularen, Schriftsätzen, Daten – und immer wieder deren Vervielfältigung und Weiterleitung.
Nun sind zwar Polizeidienststellen sicherlich keine Orte von Schreibmaschinen und überquellenden Aktenschränken mehr – wenigstens nicht so sehr wie noch zur Jahrtausendwende. Dennoch gab es lange Zeit unterschiedlichste Computersysteme. Beispielsweise eines für Ermittlungsakten, ein anderes für Verwaltungsakten – nicht selten höchst unterschiedlich zwischen Bundesländern und sogar Dienststellen und damit voller Fehlerpotenziale und Schwachstellen.
Die neue VIS-Polizei
Die Zukunft, die bereits in einigen Bundesländern eingeführt wurde oder kurz davorsteht, heißt VIS-Polizei. Dabei handelt es sich um eine digitale Plattform, auf der sämtliche Akten jeglicher Art unter einem gemeinsamen Dach und medienbruchfrei bearbeitet und weitergeleitet werden können.
Alle Beamten nutzen für jeden Vorgang dasselbe System. Zugleich greifen andere Behörden ebenfalls darauf zurück. Die Vorteile liegen auf der Hand: Alle Berechtigten müssen nur ein System erlernen, Informationen können ohne Formatierungsprobleme oder sonstige Schwierigkeiten dorthin geleitet werden, wo sie benötigt werden – und das alles im Rahmen einer gleichbleibend hohen Sicherheitsarchitektur.
Virtuelle Obduktionen
Im Prinzip muss die Kriminalpolizei (kurz: Kripo) über jeden einzelnen Todesfall informiert werden. Sollte es dabei nur den geringsten Zweifel über eine natürliche Todesursache geben, muss die Rechtsmedizin in Form forensischer Pathologie einschreiten, um den Verdacht zu erhärten oder auszuräumen.
Das bedeutet nicht weniger als Ermittlungsarbeit an der Leiche – und häufig eine langwierige und sehr aufwendige Obduktion. Es muss also die Leiche geöffnet und minutiös auf verschiedene Weisen untersucht werden, teilweise durch Zerlegung.
Unter anderem am Institut für Rechtsmedizin in Bern wird seit einiger Zeit an einer moderneren, schnelleren und digitaleren Methode gearbeitet. Sie nennt sich Virtopsy und nutzt miteinander kombinierte Techniken, die bei der Untersuchung von Lebenden schon seit teilweise Jahrzehnten zum normalen medizinischen Repertoire gehören:
- 3D-Farbscans des Körpers, um Auffälligkeiten zu entdecken (etwa Einstichstellen).
- Ebenfalls dreidimensionale Computer- und Magnetresonanztomografie, bei der der Körper und sein Inneres schichtweise aus allen Ebenen betrachtet werden können.
- Robotergestützte Entnahme von Proben für verschiedenste Analysen, etwa Toxikologie.
- Nutzung sogenannter Virtangio-Maschinen. Sie ermöglichen einen Scan samt Abbildung des gesamten Blutgefäßsystems.
Der wesentliche Vorteil: Die Leiche kann weitgehend unangetastet bleiben. Daneben erfolgt die Obduktion jedoch deutlich präziser und wird von menschlichen Denkmustern und somit Fehleranfälligkeit entkoppelt – und dadurch insgesamt sicherer. Nebenbei können die Leichen weitgehend unbeschädigt bleiben, was für viele Hinterbliebene wichtig ist.
Digitale Verbrechensvorhersagen
Im 2002er Film „Minority Report“ wirkte es noch wie eine leicht dystopisch anmutende Zukunftsmusik: Durch Analyse Verbrechen verhindern, bevor die Täter selbst wissen, dass sie zu Tätern werden.
Zugegeben, so personenspezifisch geht es selbst heute nicht zu – und wird es vermutlich auch nie. Dennoch sind Behörden mittlerweile tatsächlich immer besser darin, Verbrechen wenigstens in regionaler Hinsicht vorherzusagen.
Möglich macht das ein System namens Precops – Pre Crime Observation System. Es arbeitet mit möglichst umfassenden Datensätzen begangener Verbrechen in einer Region. Vereinfacht gesprochen analysiert das Programm für eine bestimmte Tat – etwa Einbrüche – solche Faktoren wie Täterprofile, Herangehensweisen, örtliche Schwerpunkte, Tageszeiten und vieles mehr.
Aus diesen Daten ermittelt das Programm eine Vorhersage dafür, wie wahrscheinlich eine bestimmte Tat in einem definierten Ort in naher Zukunft sein wird.
Bayern fehlten die Daten
Das erste deutsche Nutzerland, Bayern, stellte zwar jüngst die Nutzung ein. Allerdings nicht wegen inhärenten Mängeln des Systems, sondern weil aufgrund der Pandemie die Einbruchzahlen so weit sanken, bis die Software nicht mehr genügend analysierbare Daten bekam.
Jedoch zeigt die dahinterstehende politische Diskussion ebenso auf, wie heikel derartige Vorhersagen sein können. Nicht zuletzt, weil natürlich niemand bemessen kann, wie viele Taten tatsächlich verhindert wurden, weil ein solches Tool Beamte rechtzeitig an einen Gefahrenherd sendete, wo sie durch reine Präsenz Straftaten unterbanden.
Verräter in der Jackentasche
98,1 Prozent aller deutschen Haushalte besaßen 2022 ein Mobiltelefon. Was Smartphones anbelangt, so besitzen 62,6 Millionen Deutsche eines – bei etwa 83 Millionen Einwohnern. Die fast einzigen Personenkreise, die keine Handys nutzen, sind Säuglinge und kleine Kinder sowie Senioren im allerhöchsten Alter.
Für Verbrechensbekämpfer bedeutet das eines: Praktisch jedes Mitglied einer „relevanten Zielgruppe“ besitzt ein Gerät, das SMS empfangen und versenden kann. Hier wird es nun vor allem für Kriminalisten interessant.
Damit ein Handy diese Nachrichten nutzen kann, muss es in einer bestimmten Funkzelle angemeldet sein. Auf dem Land ist diese relativ groß, in Großstädten kann sie hingegen nur wenige hundert Meter oder noch weniger durchmessen.
Stille SMS zur Ortung von Verdächtigen
Heißt, wenn ein Handy eine SMS empfängt, weiß zumindest der Computer der Provider, in welcher Zelle sich Gerät und Nutzer befinden. Das wiederum nützt den Verbrechensbekämpfern: Gibt ein Richter grünes Licht für die Maßnahme, können Polizisten bei bekannter Handynummer eine sogenannte „Stille SMS“ an das Gerät versenden.
Technisch verhält sich diese Kurznachricht wie jeder andere – jedoch mit einem feinen Unterschied: Der Benutzer bekommt absolut nichts davon mit. Dennoch werden die Funkzellendaten zurückgesendet und die Beamten wissen nun wenigstens, wo sich das Handy befindet und damit ein Verdächtiger ebenso wie ein gesuchtes potenzielles Opfer. Dabei handelt es sich um eine zehntausendfach jährlich angewandte Methode – die aufgrund ihrer Arbeitsweise naturgemäß ebenfalls nicht frei von Kritik ist.