Um die Ansteckungsgefahr zu verringern, sollen die Menschen auf Distanz gehen. Tatsächlich aber müssen wegen Corona die Menschen in vielen Haushalten enger zusammenrücken: Home-Office könnte zur Pflicht werden, Home-schooling ist in vielen Regionen seit Jahresbeginn schon Standard. Arbeiten, Lernen, Schlafen, Essen rücken zusammen. Wohl dem, der ein Eigenheim oder eine große Wohnung besitzt und deshalb den Küchentisch nicht zum Schreibtisch umfunktionieren muss.

Als Ausweichquartiere taugen durchaus auch Wohmobile, von denen inzwischen viele vollvernetzt sind. Und wer weiß – vielleicht werden wir größere Teile der Arbeit und auch der Freizeitaktivitäten künftig ins Auto verlegen. „Das steht sowieso die meiste Zeit nur herum“, weiß Tom Rivers.

Der Manager, zuständig für das weltweite Marketing für Automotive & Connected Services bei der Samsung-Tochter Harman International, hat sich in den vergangenen Monaten zusammen mit seinen Ingenieuren und Software-Spezialisten Gedanken darüber gemacht, wie sich die im Auto verbauten Kommunikations- und Informationstechnik nutzen und weiterentwicklen ließen, um den Innenraum zu einem „dritten Lebens-Raum“ des Menschen werden zu lassen – neben Wohn- und Arbeitsplatz.

Harman ExP Drive Live-Konzert
Die Künstler spielen fernab von den Fans, können aber die Reaktionen ihrer Fans im Auto sehen – und darauf gleich reagieren. Bild: Harman

„Wir glauben, dass Autos nicht nur zum Fahren, sondern zum Leben da sein sollten“, erläutert Rivers im Gespräch mit EDISON die Grundide der „Harman ExPs“ – Erlebniswelten – die das Unternehmen für die Elektronikmesse CES entwickelt hat: das „ExP Creator Studio“ für das Schneiden von Videos und Audio-Aufnahmen oder „ExP Gaming“ , die das Auto in eine Daddelbude und das Lenkrad zum Spiele-Controller macht.

Tom Rivers
Der Marketingexperte aus Detroit arbeitete 18 Jahre für Ford, ehe er zu Harman Automotive wechselte. Foto: Harman

Oder beispielsweise „ExP Drive-Live Concert“ – für packende, interaktive Konzerterlebnisse in Corona-Zeiten: „Damit könnte das Auto in einer Welt, in der Live-Konzerte mit Tausenden von Menschen auf Eis gelegt sind, zum idealen Konzertort werden“ – mit einem Topsound aus den Hifi-Lautsprechern in den Kopfstützen und bunten Videobildern auf dem großen Zentraldisplay (oder der zur Großbildschirm umfunktionierten Frontscheibe). Aber auch mit der Möglichkeiten, über das Internet mit den Künstlern zu agieren, die in ihrem Studio – fernab vom Publikum – musizieren. Denn die Künstler können über die Kameras im Fahrzeug die Reaktionen ihrer Fans sehen und direkt darauf reagieren. Schöne neue Welt mit magischen Momenten der virtuellen Art.

Gespielt wird nur auf dem Parkplatz

Natürlich soll die ganze Technik nur genutzt werden können, wenn das Auto parkt – „andernfalls wäre die Ablenkung zu groß“. Aber aus Verbraucherbefragungen wisse man, dass die Menschen auch jenseits von Corona viele „Ausfallzeiten“ haben, wenn sie etwa vor der Schule im Auto sitzen und auf die Kinder warten. Diese Zeit werde oft mit Ablenkungen gefüllt, nicht nur mit dem Checken von E-Mails, sondern auch mit Spielen auf dem Smartphone. „Auf größeren und hochauflösenden OLED-Bildschirmen im Auto macht das aber viel mehr Spaß“, weiß er.

Harman ExP-Gaming
Auf den hochaulösenden OLED-Monitoren im Auto lassen sich auch Flugsimulationen leicht darstellen. Gesteuert wird das Spiel über das zum Controler umfunktionierte Lenkrad.

Tesla hat deshalb bereits im vergangenen Jahr alte Arcade-Spiele auf den Zentralbildschirm gebracht. Gesteuert werden können sie über den USB-Anschluss mit einschlägigen Spiele-Controllern. Harman will den Innenraum des Autos per 5G und Internet sogar in eine Multiplayer-Arena verwandeln. Audiotechnologien wie ClearChat sollen dabei Echos und Hintergrundgeräusche während des Spiels reduzieren – nichts soll den Spielgenuss stören.

Unter den Bedingungen könnte sich die Lage am Küchentisch rasch entspannen: Wenn die Kinder nach dem Autoschlüssel fragen, wollen sie nicht mehr unbedingt „einmal um die Ecke fahren“, sondern sich einfach nur zum Spielen auf den Parkplatz verziehen. Allzu fern sind die Optionen nicht mehr: „Die Technologien, die es dafür braucht, sind alle da“, sagt Rivers.

Es brauche jetzt nur noch Kunden aus der Autoindustrie, die das Auto nicht nur als Transportmittel, sondern als „dritten Lebensraum“ begreifen.

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