Corona hat uns verändert – politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, sozial und individuell. Das Virus hat uns vor Augen geführt, was wirklich systemrelevant ist und den Blick auf die Zukunft unserer Städte geschärft. Im Interview erläutert Rudi Scheuermann, Fellow und Director des weltweit tätigen Planungs- und Beratungsbüros Arup, warum zukunftsweisende Stadtplanung nicht nur Antworten auf künftige Pandemien, sondern auch auf den klimatischen, demografischen und digitalen Wandel geben muss.
Herr Scheuermann, müssen wir das komplexe Konstrukt Stadt nach Corona neu denken?
In der Tat, denn die Pandemie hat wie durch ein Brennglas gezeigt, was in unserer Gesellschaft gut läuft und wo wir nachjustieren müssen. In der Krise wurde deutlich, wie wichtig das unmittelbare Umfeld ist, die Nachbarin, der Laden um die Ecke, der Park vor der eigenen Haustür. Trotz Social Distancing sind sich die Menschen wieder nähergekommen. Diesen neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt gilt es durch kluge Stadtgestaltung zu stärken. Wir haben erfahren, wie fragil globale Wertschöpfungsketten sind. Deshalb sollten wir dafür Sorge tragen, dass die Herstellung lebensnotwendiger Güter wieder in Europa erfolgt. Ob Homeoffice, Homeschooling, Online-Shopping oder der Video-Chat mit Freunden und Familie – allen ist klar geworden, wie wichtig eine funktionierende digitale Infrastruktur ist, um unseren Alltag aufrechtzuerhalten.
Laut Prognosen des Zukunftsinstituts werden 2050 rund 75 Prozent aller Menschen in Städten leben. Ist Verdichtung in Zeiten von Social Distancing noch zukunftsfähig?
Ob die Stadt der kurzen Wege auch in Zukunft noch das Ideal sein wird, ist eine Frage, die Architekten, Planer und Stadtentwickler weltweit beschäftigt. Ich denke, dass wir das Konzept der Verdichtung anhand der gemachten Krisenerfahrungen weiterentwickeln müssen. Wenn wir die richtigen Schlüsse ziehen, könnte Corona ein Katalysator sein, der die nachhaltige Transformation unserer Städte beschleunigt. Denn nachhaltige Städte sind resilienter gegenüber Krisen. Sie können besser auf Veränderungen reagieren und sind eher in der Lage, diese zu bewältigen.
Corona hat unser Leben digitaler gemacht. Sind Smart Cities resilienter?
Absolut. Ob Bewegungsströme, Energieverbrauch, Infrastrukturauslastung oder Nutzungsverhalten – datenbasiertes Wissen ermöglicht eine wesentlich bessere Steuerung des Systems Stadt. Digitale Lösungen, wie z.B. eGovernment, eLearning, eCommerce, eHealth, sorgen dafür, dass unsere Gesellschaft auch in Krisenzeiten anpassungsfähig, handlungsfähig und damit überlebensfähig bleibt. Das setzt allerdings voraus, dass flächendeckend eine funktionierende digitale Infrastruktur vorhanden ist. Hier sehe ich in den nächsten Jahren dringenden Handlungsbedarf.
Städte sind für 70 Prozent des globalen Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen verantwortlich. Mit Blick auf die Erreichung der Klimaziele scheint das Konstrukt Stadt eher kontraproduktiv?
Paradoxerweise ist die Urbanisierung nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Denn rechnet man die Emissionen auf die Einwohner um, ist der CO2-Ausstoß in Städten pro Kopf um bis zu 40 Prozent geringer als in ländlichen Regionen. Die bessere Umweltbilanz resultiert aus kleinerem Wohnraum mit entsprechend geringerem Energieverbrauch, kürzeren Wegen und der stärkeren Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Nichtsdestotrotz müssen unsere Städte bis 2050 klimaneutral werden. Durch den Ausbau regenerativer Energien, nachhaltige Mobilitätskonzepte und die Begrünung der Städte.
Welche Rolle spielen Quartiere bei der nachhaltigen Stadtplanung?
Die Pandemie hat sehr deutlich gezeigt, welche Bedeutung funktionierende Nachbarschaften für den Zusammenhalt der Gesellschaft haben. Deshalb sind Quartiere das Herzstück nachhaltiger Stadtplanung. Als Keimzellen bürgerlichen Engagements sind sie für die Resilienz von Städten unverzichtbar. Aber nicht nur das, Quartiere sind auch Labore für die urbane Zukunft. Denn hier kann in kleinem Rahmen ausprobiert werden, was im Großem funktionieren soll.
Zusammen mit Kees Christiaanse haben Sie den Masterplan für die Zukunftsstadt PHVision entwickelt. Was macht dieses Projekt so zukunftsweisend?
Arup hat lediglich die Studie zur programmatischen Profilierung und Nutzungsmischung erstellt. Der Masterplan stammt von Christiaanses Büro KCAP Architects&Planners. Auf dem Gelände einer ehemaligen Wohnsiedlung der US-Streitkräfte entsteht in Heidelberg ein komplett neuer Stadtteil, in dem 10.000 Menschen wohnen und 5.000 weitere arbeiten werden. Das Projekt bietet die Chance, ein Musterquartier zu schaffen, das wichtige Antworten auf Zukunftsfragen gibt. Experimentelle Wohn- und Arbeitsformen werden mit innovativen Freiraum- und Gemeinschaftsangeboten sowie klimaneutralen Energie- und Mobilitätskonzepten kombiniert. Ziel ist es, einen Modulbaukasten zu entwickeln, der Architekten und Planern Inspirationen für die Planung resilienter urbaner Räume bietet.
Ein Gerücht verdichtet sich zum Verdacht, je weiter das Coronavirus seine Kreise zieht. In vielen Pandemie-Hotspots mit hohen Feinstaubwerten ist die Covid-19-Sterblichkeit höher. An einen Zufall wollen einige Forscher nicht mehr glauben.
In Norditalien, um Madrid, in der Provinz Wuhan oder in NRW, sind mehr Schadstoffe in der Luft als anderswo. Forscher stellen in Studien fest: In diesen Regionen sterben deutlich mehr Menschen nach der Infektion mit dem Coronavirus als in anderen.
Aber der Witz daran ist: Die schlechte Luft wird durch die Verbrennung verursacht. Und daran haben Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor neben Heizung und Industrie einen hohen Anteil.
Wenn wir Städte „Corona-fest“ machen wollen, dann muss es ein Ende der Verbrennung in den Städten geben. Je eher desto besser. Mein Favorit für neue Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor wäre das Jahr 2025. Nach 15 Jahren wäre dann die Bestandsflotte praktisch ausgetauscht. Das wäre im Jahr 2040.