Nun ist es amtlich: Deutsche Städte dürfen künftig Straßen für dieselgetriebene Fahrzeuge sperren, wenn bei Messungen festgestellt wird, dass die Konzentration an bestimmten Schadstoffen in der Luft die gesetzlichen Grenzwerte überschreiten. Nicht sofort, nicht zwingend und nicht generell, sondern erst ab September kommenden Jahres, erst einmal nur für bestimmte ältere Dieselfahrzeuge, für bestimmte Straßenzüge – und obendrein auch nur als letztes Mittel, nach sorgfältiger Abwägung.

Die Börse reagierte sofort und schickte die Aktien der deutschen Autohersteller auf Talfahrt. Denn die Erfolgsgeschichte des Diesels, so das Kalkül der Börsianer, dürfte damit schneller zu Ende gehen als den Konzern mit Blick auf den CO2-Grenzwert von durchschnittlich 95 Gramm bei den Neuzulassungen und den drohenden Strafzahlungen ab 2020 recht sein kann.

Umweltverbände frohlockten, dass der heutige Tag ein großer Tag sei für saubere Luft in Deutschland und der Startpunkt für eine umfassende Verkehrswende – hin zu weniger individuellem Autoverkehr, hin zu mehr Fahrradverkehr, zu mehr Elektromobilität und öffentlichem Nahverkehr.

Deutschland wird kein Luftkurort

Wäre schön, aber mit dem Urteil aus Leipzig allein wird aus Deutschland sicherlich noch lange kein riesiger Luftkurort. Denn viele Fragen bleiben: Wie sollen die Städte die Fahrverbote durchsetzen? Dieselfahrzeuge der Kategorie Euro 4 – und das sind in Deutschland immerhin noch rund vier Millionen Fahrzeuge – tragen ebenso wie Selbstzünder der Kategorie Euro 5 eine grüne Umweltplakette in der Windschutzscheibe. Erst der Blick in den Fahrzeugschein erlaubt eine feinere Differenzierung.

Dass sich Autobesitzer allein von einem Verbotsschild am Straßenrand abschrecken lassen, mit ihrem alten Diesel in die Verbotszone zu fahren, ist also nicht zu erwarten. Und wenn doch, so werden die Abgasprobleme nur in andere Stadtteile verlagert, weil sich die Fahrzeuge – Pkw und Transporter – andere Wege suchen werden, um ans Ziel zu kommen, an den Arbeitsplatz oder den Einsatzort.

Blaue Plakette wird notwendig

An der Einführung einer blauen Plakette für besonders schadstoffarme oder lokale emissionsfreie Fahrzeuge führt also kein Weg vorbei. Warum sich der Bundesverkehrsminister bislang dagegen so heftig gesträubt hat, ist mir ein Rätsel.

Denn nur so lässt sich auch eine Flut von Ausnahmegenehmigungen verhindern. Handwerker und Logistikdienstleister werden diese beantragen, nötig werden sie aber auch für Kommunalfahrzeuge, ja selbst für die Streifenwagen der Polizei. Denn sie sind heute fast ausnahmslos dieselgetrieben. Andernfalls könnte die Versorgung der Städte zusammenbrechen. Saubere Luft – aber kein Obst, keine Milch oder kein Brot mehr im Supermarkt? Das sollte nicht die Alternative sein.

In diesen Tagen rollen – endlich – die ersten elektrisch betriebenen Lieferwagen vom Produktionsband. Aber die Umstellung der gewerblichen Transporterflotten wird ebenso Zeit brauchen wie die Umstellung des privat genutzten Pkw auf umweltfreundlichere Antriebe, auf Fahrzeuge mit Elektromotoren, mit Wasserstoff- und Erdgasantrieb, ja auch auf Dieselaggregate der neuesten Generation, deren Schadstoffemissionen auch im Alltagsbetrieb locker die gesetzlichen Grenzwerte unterschreiten.

Anlass, Mobilität neu zu denken

Nein, mit dem Richterspruch aus Leipzig allein ist noch nichts gewonnen. Er wird erst denn eine historische Dimension erlangen, wenn er zum Anlass genommen wird, unsere Mobilität komplett neu zu denken – von der Politik, von der Autoindustrie, wie von den Bürgern.

Öffentlicher Nahverkehr zum Nulltarif ist eine Vision, aber derzeit nicht zu finanzieren. Aber es gibt viele andere, intelligente wie preiswerte Möglichkeiten, den Autoverkehr in den Städten zu reduzieren. Ideen dafür gibt es zuhauf – in den Niederlanden, in Großbritannien oder Norwegen sind viele davon bereits realisiert.

Ein erster Schritt wäre der Ausbau des ÖPNV, ein zweiter der Ausbau des Radwegenetzes und des Angebots an P+R-Parkplätzen an den Endhaltestellen von Bussen und Bahnen am Stadtrand. Auch die City-Logistik muss neu gedacht werden, nicht nur antriebstechnisch, sondern organisatorisch.

Und warum keine Citymaut – gestaffelt nach Einfahrtzeiten, Fahrzeugkategorien, Abgasstandards und Besetzung der Fahrzeuge? Parallel dazu könnte man damit beginnen, die Zahl der Parkplätze am Straßenrand Schritt für Schritt zu reduzieren – und die öffentlichen Parkhäuser intelligent zu vernetzen. Die Digitalisierung liefert dafür die erforderlichen Werkzeuge – beispielsweise auch für einen massiven Ausbau von Telearbeit: Für die Rush-hour in den Städten sorgen im wesentlichen Berufspendler auf dem Weg ins Büro oder zurück nach Hause.

All das erfordert große Investitionen und viel Überzeugungsarbeit. Es würde sich aber lohnen, nicht nur für die Menschen in den Städten. Wir alle würden an Lebensqualität gewinnen. Und Deutschland könnte zu einem Musterland der Mobilität nach den Maßstäben des 21. Jahrhunderts werden. Die Zeit ist reif dafür.

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