Die Strompreise an öffentlichen Ladesäulen sind in den zurückliegenden Monaten deutlich gestiegen. Dabei findet das Laden von Elektroautos meist nicht an öffentlichen Ladesäulen statt. Und eine weitere Perspektive kommt oft zu kurz: Die meisten Ladevorgänge finden dort statt, wo der Pkw ohne zusätzlichen Stopp die meiste Zeit steht, nämlich zu Hause und am Arbeitsplatz. Daher sollte der Fokus darauf gelegt werden, den Ausbau dort zu fördern, findet Florian Lüft, der Director Business Development bei der deutschen Niederlassung von Envision Digital in einem Gastkommentar. Das Greentech-Unternehmen beschäftigt sich mit der digitalen Transformation der Energie-Branche und mit der Elektrifizierung von Fahrzeugflotten.

Florian Lüft
Foto: Flo Hagena

Es vergeht kaum ein Tag, an dem sich derzeit nicht über die hohen Strompreise an öffentlichen Ladesäulen beschwert wird. Zurecht. Denn wenn das Laden so teuer wird wie das Tanken, fehlt für viele Autofahrer wichtiger Motivator, auf die Elektromobilität umzusteigen. Wenn wir die ambitionierten Ziele und die damit verbundenen Erwartungen an Emissions-Einsparung erreichen wollen, können wir uns dies angesichts der sich weiter zuspitzenden Klimakrise aber nicht leisten.

15 Millionen Elektroautos bis 2030 sind unrealistisch

Die Bundesregierung sollte alle Kraft daran setzen, das Ziel zu erreichen, bis 2030 15 Millionen Elektroautos auf die deutschen Straßen zu bringen. Dies ist aktuell leider ein eher unrealistisches Ziel: Nach einer Hochrechnung des grünen Thinktanks „Agora Verkehrswende“ müssten zur Erreichung dieser Zahlen pro Tag im Schnitt 5.000 neue E-Autos zugelassen werden.

Insgesamt geht es beim Thema Elektromobilität aber nicht nur um den Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur und eine Neugestaltung des Energiemarkts, der frei ist von den Preisgestaltungen einiger weniger Platzhirsche. Im Vordergrund sollte der Ausbau von Ladeinfrastruktur stehen, wo das Auto die meiste Zeit steht und lädt – zu Hause und am Arbeitsplatz.

Das zeigen die Zahlen: Im Schnitt liegt die mittlere Betriebszeit eines Pkw bei zwei Fahrten und 30 Kilometern Fahrstrecke pro Tag. Nur ein Prozent aller Fahrten ist länger als 100 Kilometer. Und die mittlere Betriebszeit liegt pro Pkw und Tag bei circa 45 Minuten – das hat das Bundesverkehrsministerium ermittelt.

Über fünf Millionen Autos haben gewerbliche Halter

Hinzu kommt, dass Deutschland ein Dienstwagen-Land ist. Sage und schreibe rund 5,15 Millionen aller in Deutschland zugelassenen Autos haben gewerbliche Halter. Und bezogen auf die Neuzulassungen sind immer noch fast zwei Drittel der Fahrzeuge Firmenwagen. Demnach vermisse ich in der öffentlichen Debatte zur Förderung der E-Mobilität eine klare Ansage dazu, wie die Ladeinfrastruktur an Firmenstandorten und vor der Haustür forciert werden kann.

Das Laden an diesen beiden Orten ist nicht nur komfortabler (ohne Wartezeiten, keine technischen Ausfälle), sondern es ist bei der Wahl des richtigen Stromanbieters auch günstiger. Laut dem Vergleichsportal Verivox zahlt man bei einem Neuvertrag für Haushaltsstrom im Schnitt aktuell (Stand: 24. März 2023) 32,96 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Und hat eine deutlich bessere Kontrolle über die gesamten Kosten als an einem gewerblich betriebenen öffentlichen Ladepunkt.

Neben dem Ladeverhalten der Nutzer entscheidet die Verfügbarkeit von privater Ladeinfrastruktur darüber, wie viele Ladevorgänge im privaten Raum stattfinden.

Ladelösungen mit ganzheitlichem Konzept

Eine Studie der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur kommt zu dem Schluss, dass bei „Hoher Verfügbarkeit von privater Ladeinfrastruktur“ der Anteil privater Ladevorgänge im Jahr 2025 bereits bei circa 81 Prozent liegt. Bis 2030 steigt der prognostizierte Anteil dann auf knapp 88 Prozent. Was wir also ganz klar brauchen, ist eine Ladeoffensive für Unternehmen sowie vor der eigenen Haustür.

In Ein- und Mehrfamilienhäusern sollte nicht nur die Anschaffung der Hardware gefördert werden, sondern auch die ganzheitliche Beratung, die dazu dient, eine zukunftsfähige Ladelösung zu installieren: Diese ist eichrechtskonform, auf eine Steigerung von 11kW auf 22kW ausgelegt, mit Lastmanagement versehen und leicht skalierbar. Auch sollten schon heute innovative Lösungen wie das bidirektionale Laden und weitere Trends der Zukunft mitbedacht werden.

Für die Unternehmen braucht es auf lange Sicht Konzepte, die darauf ausgelegt sind, mit der steigenden Nachfrage nach E-Ladesäulen am Arbeitsplatz mitzuwachsen. Beachtet werden sollte dabei auch immer, dass E-Mobilität und Energienutzung zusammengehören. Durch intelligente Ladelösungen und Software ist es heute schon möglich, Ladevorgänge intelligent und kostenoptimiert zu managen und die Ladelösung sogar in das Energiemanagement des ganzen (Büro)-Gebäudes einzubinden. Mit solchem Weitblick steigt auch der Anreiz für Unternehmen, E-Mobilität voranzutreiben. Eine wirkliche Lade-Offensive für Unternehmen ist heute mehr als nötig, denn sonst bekommen wir statt eines Doppel-Wumms für die Elektromobilität – d.h. Fahrzeuge plus Ladeinfrastruktur – eine ordentliche Doppel-Klatsche, die wir uns erst recht nicht leisten können.

Über den Autor:

Florian Lüft ist seit 2020 Director Business Development der deutschen Niederlassung von Envision Digital. In dieser Position verantwortet der Betriebswirt die strategische und operative Weiterentwicklung des Unternehmens durch das Erschließen neuer Geschäftsfelder, vor allem in den Bereichen Elektromobilität und Energiemanagement.

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